15. Juni 2022
Löschungspflicht Falschzitat Plattformbetreiber
TMC – Technology, Media & Communications

Weitgehende Löschungspflichten bei Falschzitaten auf Facebook

Social-Media-Anbieter müssen auch Varianten rechtswidriger Postings löschen, ohne dass es eines ausdrücklichen Hinweises durch den Verletzten bedarf.

In seiner vielbeachteten Entscheidung hat sich das LG Frankfurt (8. April 2022 – 2-03 O 188/21) ausführlich mit der Reichweite des Löschungsanspruchs bei rechtsverletzenden Postings auf Social-Media-Plattformen befasst. Im Ergebnis hat es den Anbietern* der Plattformen die Verantwortung zugeschrieben, selbständig auch Varianten von rechtswidrigen Inhalten aufzuspüren und diese ggf. manuell zu überprüfen.

Klägerin des Verfahrens war die Bundestagesabgeordnete Renate Künast. Die von ihr beanstandeten Memes stellen Varianten eines angeblichen Zitates dar, das in unterschiedlichen Wort-Bild-Kombinationen auf der Plattform Facebook kursierte. Unter Verwendung einer Abbildung der Politikerin wurde jeweils der Eindruck erweckt, Künast habe geäußert, „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen!″. Dass dies ein Falschzitat war, war im Verfahren unstreitig. Mit dem Urteil hat das Gericht die Facebook-Betreiberin Meta verpflichtet, nicht nur die von der Klägerin konkret benannten Postings, sondern auch fast identische oder ähnliche Varianten zu identifizieren und zu löschen.

Falschzitate in Gestalt von Memes verletzen das Persönlichkeitsrecht

Das Vorliegen einer Rechtsverletzung war unproblematisch, da die Klägerin durch die Verbreitung des Falschzitates in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurde. In Frage stand hingegen die Reichweite der Haftung des Plattformbetreibers als mittelbarer Störer. 

Hier setzt der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch neben der Rechtsverletzung auch die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Das Landgericht hatte insbesondere zu prüfen, ob solche Pflichten nur für Postings gelten, deren URL von der Klägerin benannt worden ist, oder ob der Betreiber verpflichtet ist, auch nach identischen oder ähnlichen Postings auf der Plattform zu suchen, auf die die Klägerin nicht konkret hingewiesen hatte, und sie ggf. zu löschen.

Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern auch für kerngleiche Uploads

Das Landgericht hat zunächst klargestellt, dass den Plattformbetreiber keine umfassende Pflicht zur Vorabprüfung von Uploads trifft. Seine Haftung bestehe jedoch nach den Grundsätzen des TMG ab Kenntnis einer Rechtsverletzung. Diese Kenntnis erstrecke sich nach einem Hinweis auf einen einzelnen Verstoß auch auf kerngleiche Verstöße. 

Kerngleich sind nach der vom Landgericht zitierten Definition des BGH (Beschluss v. 3. April 2014 – I ZB 42/11) alle 

Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.

Dementsprechend hat das Landgericht alle Postings als kerngleich angesehen, die den Eindruck erweckten, die falsch zitierte Äußerung stamme von der Klägerin. Zur Ermittlung solcher Postings habe der Betreiber der Plattform zwar nicht alle dort vorhandenen Inhalte zu prüfen, aber doch diejenigen, die durch eine Filtertechnologie als ähnliche Inhalte identifiziert werden. Es handele sich insoweit um eine europarechtskonforme Überwachungspflicht in spezifischen Fällen (gem. EuGH, Urteil v. 3. Oktober 2019 – C-18/18, Glawischnig-Piesczek).

Manuelle Kontrolle von Zweifelsfällen ist zumutbar

Bemerkenswert ist das Urteil insbesondere wegen der Ausführungen des Gerichts zur Zumutbarkeit menschlicher Moderationsentscheidungen im Anschluss an einzusetzende Filtertechnologien. Hier verlangt das Gericht eine zweistufige Prüfung: 

  1. Zunächst hat die Plattform Filtertechnologien einzusetzen, um identische und ähnliche Postings zu identifizieren. 
  2. Anschließend ist in Zweifelsfällen eine „manuelle“ Einzelfallprüfung dahingehend vorzunehmen, ob der Inhalt der so herausgefilterten Postings eine Rechtsverletzung darstellt.

Damit soll sichergestellt werden, dass rechtmäßige Inhalte nicht gelöscht werden, etwa solche, bei denen das Zitat unter expliziter Klarstellung der Unwahrheit durch die jeweilige Caption verbreitet wird. 

Dabei war zwischen den Parteien unstreitig, dass sich mittels Abgleich des „digitalen Fingerabdrucks“ aller Postings auf der Plattform (dem sog. Hashwert) sowohl identische als auch ähnliche Beiträge finden lassen. Das Gericht hat es als zumutbar angesehen, im Einzelnen zu prüfen, ob das jeweilige Meme das Falschzitat als solches enthält oder ob wesentliche Abweichungen vorliegen, etwa wenn der Verbreiter das Zitat ernsthaft als falsch gekennzeichnet hat. Es sei ein Grundsatz des deutschen Rechts, dass der Unterlassungsverpflichtete selbst festzustellen hat, ob ihm bekannte Abwandlungen einer bekannten Verletzung kerngleich sind.

Verschärfung gegenüber der bisherigen Spruchpraxis zur Löschungspflicht kerngleicher Rechtsverletzungen

Dass Facebook auch manuelle Nachkontrollen potenziell kerngleicher Verletzungen zumutbar sind, hatte bspw. das LG Würzburg im Jahr 2017 in einem vergleichbaren Fall noch verneint (LG Würzburg, Urteil v. 7. März 2017 – 11 O 2338/16). Hier ging es um die Verbreitung verleumderischer Postings, durch die ein Selfie missbraucht wurde, das den Verfügungskläger mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte. 

Bereits in diesem Urteil hatte das Gericht aber proaktive Überwachungspflichten in spezifischen Fällen nicht ausgeschlossen und war von der Pflicht des Plattformbetreibers ausgegangen, auch kerngleiche Schutzrechtsverletzungen zu verhindern, soweit dies technisch möglich und damit zumutbar sei. Das LG Würzburg hatte aber die Prüfpflicht nur auf 

klare, d.h. grobe, ohne weitere Nachforschungen unschwer zu erkennende Verstöße erstreckt.

Fälle, in denen eine menschliche Moderationsentscheidung zur Bewertung der Rechtmäßigkeit nötig ist, hatte es von der Prüfpflicht ausgeschlossen:

Eine manuelle Kontrolle der Inhalte ist dem Anbieter grundsätzlich nicht zuzumuten. Es genügt, wenn der Anbieter eine Filtersoftware zur Verfügung stellt, die Verdachtsfälle aufspüren kann.

Auch hier hatte Facebook sich darauf berufen, dass die vorhandenen Werkzeuge zur automatischen Filterung von Inhalten nicht geeignet seien, Rechtsverletzungen zu identifizieren, die aufgrund des Umfelds und des Sachzusammenhangs nicht eindeutig seien. 

„Notice and take down“-Prinzip der E-Commerce-Richtlinie darf auch auf kerngleiche Handlungen erstreckt werden 

Die Frankfurter Entscheidung berührt auch die Frage nach den europarechtlichen Grenzen der Inanspruchnahme von Host-Providern für rechtsverletzende Drittinhalte. Das in Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie (RL 2019/790/EU) verankerte „Notice and take down“-Prinzip verpflichtet Host-Provider nicht nur zur Löschung gemeldeter rechtswidriger Inhalte, sondern auch dazu, sicherzustellen, dass solche gelöschten Inhalte nicht wieder hochgeladen werden. 

Grenzen ergeben sich wiederum aus Art. 15 Abs. 1, wonach Host-Providern keine allgemeinen proaktiven Prüfungs- und Überwachungspflichten für Nutzerinhalte auferlegt werden dürfen. Indem die in die Zukunft gerichteten Prüfpflichten von Providern erst durch die Kenntnis einer bestimmten Rechtsverletzung ausgelöst werden, können sich Provider danach im Grundsatz auf die Prüfung gemeldeter Fälle beschränken. 

Allerdings hat der EuGH bereits 2019 entschieden, dass trotz Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie die Pflicht zur Verhinderung weiterer Rechtsverletzungen auch auf kerngleiche Handlungen erstreckt werden darf (EuGH, Urteil v. 3. Oktober 2019 – C-18/18, Glawischnig-Piesczek). Darauf bezieht sich explizit auch das Landgericht Frankfurt, das zum Ergebnis kommt, dass seine Vorgaben im Einklang mit dem Europarecht stehen.

Urteil zur Prüfpflicht von Uploads mit weitreichenden Folgen für Plattformbetreiber

Indem das LG Frankfurt nun auch die Zumutbarkeit individueller Moderationsentscheidungen für Postings, die keine klare Rechtsverletzung beinhalten, bejaht, geht es den nächsten Schritt, um Plattformen für rechtsverletzende Drittinhalte in die Verantwortung zu nehmen.

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, dürfte es für Plattformbetreiber einen erheblichen finanziellen Mehraufwand im Bereich der Content-Moderation zur Folge haben, da sie sich zur Vermeidung einer Haftung für hochgeladene Inhalte nicht mehr nur auf den Einsatz von Filteralgorithmen werden beschränken können. 

Offen ist, ob das Urteil, wenn es Bestand hat, in der Praxis dazu führen wird, dass Inhalte schon dann gesperrt werden, wenn ihre Rechtmäßigkeit zweifelhaft ist – und damit auch rechtmäßige Postings erfasst würden. Dass ein solches „Overblocking“ von Nutzerinhalten zum Schutz der Meinungsfreiheit vermieden werden muss, hat der EuGH in Bezug auf die Durchsetzung von Urheberrechten im Internet erst kürzlich unterstrichen (EuGH, Urteil v. 26. April 2022 – C-401/19). Eben mit Blick auf die Meinungsfreiheit hatte Meta argumentiert, mit einer zurückhaltenden Sperrpraxis i.S.d. „offenen, öffentlichen Debatte“ über Politiker bzw. deren Äußerungen und Positionen zu handeln. Das LG Frankfurt geht indes umgekehrt davon aus, dass diese Debatte durch das nicht konsequente Vorgehen gegen Falschzitate gerade Schaden nehmen wird. Das dürfte der Lebenswirklichkeit wesentlich näher kommen.

Die Relevanz einer effektiven Löschungspraxis hat das Gericht zudem dadurch betont, dass es eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung angenommen und der Klägerin eine Geldentschädigung i.H.v. EUR 10.000 zugesprochen hat. Der Fall zeige exemplarisch, so das Landgericht, wie schwer es für Betroffene sei,

sich von Falschzitaten zu befreien, obwohl deren Gemeinschädlichkeit auf der Hand liegt.

Für die wirksame Bekämpfung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet setzt das Urteil damit ein sehr deutliches und auch gebotenes Signal.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Falschzitat kerngleiche Rechtsverletzung Löschpflicht Plattformbetreiber
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Anne-Kristin Polster