14. Mai 2012
EuGH
Vergaberecht

Draußen nur Kännchen – Kaffee-Einkauf mit dem EuGH

Die in vielen Landesvergabegesetzen vorgesehene Frauenförderung steht europarechtlich auf immer wackligeren Füßen. Grund dafür ist ein auf den ersten Blick nicht einschlägiges Urteil des EuGH vom 10.05.2012 (C-368/10) zum Kaffeeeinkauf nach Öko- und Fair-Trade-Kriterien – aber der Reihe nach:

Die niederländische Provinz Nord-Holland hatte die Belieferung und Bewirtschaftung ihrer Kaffeeautomaten europaweit ausgeschrieben. Das „Lastenheft“ enthielt dabei verschiedene Vorgaben zur nachhaltigen Beschaffung, zum Fair-Trade-Gütezeichen „Max Havelaar“ sowie zum ökologischen „EKO-Gütezeichen“. Die Kommission hielt diese Vorgaben für unzulässig und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren ein.

I. Die Entscheidung des EuGH: Folgen für Öko- und Fair-Trade-Beschaffung

  • Öko-Gütezeichen können Auftraggeber dadurch nutzen, dass sie die dahinterstehenden Kriterien als „technische Spezifikationen“ in die Leistungsbeschreibung aufnehmen. Sie müssen aber auch Produkte zulassen, die diese Anforderungen ohne das entsprechende Gütezeichen erfüllen.

 

  • Für Fair-Trade-Gütezeichen lässt sich dem Urteil nur entnehmen, dass sie nicht den Anforderungen einer „technischen Spezifikation“ genügen müssen. Sie sind „Bedingungen für die Auftragsausführung“. Grundsätzlich hat ein Auftraggeber bei solchen Bedingungen größere Freiheiten als bei „technischen Spezifikationen“. Die Vorgabe eines bestimmten Gütezeichens dürfte aber wegen der Diskriminierung anderer Gütezeichen auch hier nicht zulässig sein.

 

  • Schwierig zu handhaben sind gemischte Gütezeichen, deren Kriterien sowohl ökologische als auch Fair-Trade-Aspekte abdecken. Hierzu hat der EuGH nichts gesagt. Im Einzelfall werden Auftraggeber die Gütezeichen-Kriterien der einen oder anderen Kategorie zuordnen müssen.

 

  • Als Zuschlagskriterium können Auftraggeber beide Kategorien von Kriterien nutzen. Es sei nämlich „nicht erforderlich, dass sich ein Zuschlagskriterium auf eine echte innere Eigenschaft eines Erzeugnisses, also ein Element, das materiell Bestandteil von ihm ist, bezieht“. Oder um es mit Generalanwältin Kokott auf den Punkt zu bringen: „Zwar schmeckt Zucker streng genommen nicht unterschiedlich, je nachdem, ob er fair oder unfair gehandelt wurde. Gleichwohl hinterlässt ein Produkt, das zu unfairen Bedingungen auf den Markt kam, bei einem sozial verantwortungsbewussten Kunden einen bitteren Nachgeschmack.“ (Rnr. 110 der Schlussanträge). Das gilt auch für Öko-Kriterien. Auftraggeber dürfen allerdings nicht ein bestimmtes Gütezeichen dabei positiv bewerten.

 

  • Eignungskriterien dürfen den Bietern keine Vorgaben zur allgemeinen Geschäftspolitik unabhängig vom konkreten Auftrag machen. Ob solche allgemeinen Vorgaben „Bedingungen für die Auftragsausführung“ sein können, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Generalanwältin Kokott hatte in ihren Schlussanträgen (Rnr. 88) aber ausgeführt, dass solche Bedingungen sich auf den konkreten Auftrag beziehen müssen. Bedingungen für die allgemeine Geschäftspolitik eines Bieters seien nicht zulässig.

II. Folgen für die Frauenförderung

Mit dem letzten Punkt wird die vergaberechtliche Frauenförderung in einigen Landesvergabegesetzen immer kritischer.

Das „Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Nordrhein-Westfalen (TVgG-NRW)“ z.B. sieht in § 19 vor, dass sich Bieter verpflichten müssen, Maßnahmen zur Frauenförderung durchzuführen oder einzuleiten. Das soll sich zwar nur auf die Ausführung des Auftrags beziehen. Es ist aber schwer vorstellbar, wie eine derartig allgemeine Anforderung mit der Ausführung eines konkreten Auftrags verknüpft werden soll.

Ähnlich sieht es bei der Berliner Frauenförderverordnung aus. Auch diese verknüpft zwar die Frauenförderung mit der „Durchführung des Auftrags“. Das von den Bietern auszufüllende Formular (Anhang zur Frauenförderverordnung) verlangt aber verbindliche Zielvorgaben zur Erhöhung des Frauenanteils an Beschäftigten in allen Führungsebenen, Einsetzung einer Frauenbeauftragten, Überprüfung der Entgeltgleichheit im Unternehmen, etc. Bei solchen Vorgaben noch einen konkreten Bezug zum jeweiligen Auftrag zu sehen, ist fast unmöglich.

Spätestens nach der Entscheidung des EuGH ist klar, dass derartig allgemeine Anforderungen keine Eignungskriterien sein dürfen. Können sie aber zulässige „Bedingungen für die Auftragsausführung“ sein? Das lässt sich dem Urteil des EuGH selbst nicht entnehmen. Zumindest die Antwort von Generalanwältin Kokott fällt aber eindeutig aus: Nein!

Tags: Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG Ausschreibung Bedingungen für die Auftragsausführung EuGH Fair Trade Frauenförderung Gütesiegel Gütezeichen Kaffee Landesvergabegesetze Noord-Holland Nord-Holland Öko technische Spezifikation Vergaberecht
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Philipp-Christian Scheel