12. Dezember 2018
Selbstreinigung Zusammenarbeit Auftraggeber
Vergaberecht

Vergaberecht: Unternehmen müssen für Selbstreinigung auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenarbeiten

Der EuGH bestätigt die Pflicht von Unternehmen, nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenzuarbeiten.

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB können öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt wird. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB können öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

Bieter haben die Möglichkeit, ihrem Ausschluss durch eine Selbstreinigung zuvorzukommen. § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB sieht insoweit u.a. vor, dass das Unternehmen die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden im Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend klären muss. Diese Regelung geht insoweit über das europäische Vergaberecht hinaus, das lediglich eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, nicht aber mit dem öffentlichen Auftraggeber vorsieht (Art. 57 Abs. 6 Richtlinie 2014/24/EU).

Unternehmen wurde wegen Kartellverstoß vom Vergabeverfahren ausgeschlossen

Ein Unternehmen wurde von dem Auftraggeber von einem Qualifizierungssystem gemäß § 48 SektVO ausgeschlossen. Hintergrund des Ausschlusses ist die Beteiligung des Unternehmens am Schienenkartell, gegen dessen Mitglieder im Jahre 2013 Geldbußen in Höhe von insgesamt 100 Millionen Euro verhängt wurden. Das Unternehmen beruft sich auf Selbstreinigung.

Im Hinblick hierauf fordern der Auftraggeber das Unternehmen zur Kooperation auf und verlangen Informationen zu seinem Fehlverhalten, u.a. Übergabe des gegen das Unternehmen ergangenen Bußgeldbescheids des Bundeskartellamts. Als das Unternehmen dies verweigert, wird es vom Auftraggeber vom Qualifizierungssystem ausgeschlossen.

Hiergegen beantragt das Unternehmen Nachprüfung bei der Vergabekammer. Diese legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) diverse Fragen zur Vorabentscheidung vor. Sie will vor allem wissen, ob der deutsche Gesetzgeber berechtigt war, in § 125 GWB nicht nur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zu verlangen. Sie fragt außerdem, ob der höchstens zulässige Zeitraum von drei Jahren, für den ein Unternehmen von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann (vgl. § 126 Nr. 2 GWB und Art. 57 Abs. 7 Richtlinie 2014/24/EU), mit der Verwirklichung des Ausschlussgrundes oder mit der Erlangung gesicherter und belastbarer Kenntnisse durch den Auftraggeber beginnt.

EuGH: Pflicht zur Kooperation mit öffentlichen Auftraggebern europarechtlich zulässig

Der EuGH stellt fest (Urteil vom 24. Oktober 2018 – C-124/17), dass eine Bestimmung des nationalen Rechts, die neben der europarechtlich vorgeschriebenen Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden auch eine Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber verlangt, europarechtlich nicht zu beanstanden ist. Diese Zusammenarbeit muss allerdings auf die Maßnahmen beschränkt sein, die für die betreffende Prüfung unbedingt erforderlich sind. Das Unternehmen ist daher verpflichtet, dem Auftraggeber den angeforderten Bußgeldbescheid zu übergeben und muss gegebenenfalls auch Fragen des öffentlichen Auftraggebers zu den durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen beantworten.

Der EuGH stellt ferner klar, dass der höchstens zulässige Ausschlusszeitraum von drei Jahren ab dem Datum der Entscheidung der für die Ahndung des Rechtsverstoßes zuständigen Behörde läuft, hier also ab der Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamtes.

Fazit: Pflicht zur Kooperation erleichtert öffentlichen Auftraggebern die Informationsbeschaffung

Die im deutschen Vergaberecht enthaltene Pflicht von Unternehmen zur Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber und zur Übergabe des Bußgeldbescheids ist europarechtlich nicht zu beanstanden. Sie erleichtert öffentlichen Auftraggebern nicht nur die Ermittlung relevanter Sachverhalte. Sie können sich auf diesem Wege auch wertvolle Informationen beschaffen, die sie benötigen, um Schäden, die ihnen aufgrund von Kartellrechtsverstößen entstanden sind, bei den Kartellanten geltend zu machen.

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