6. November 2025
Paarvergleich Entgeltdiskriminierung
Arbeitsrecht

BAG: Paarvergleich als Instrument gegen Entgeltdiskriminierung

Der direkte Vergleich mit einem männlichen Kollegen reicht aus, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen. 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 23. Oktober 2025 (Az.: 8 AZR 300/24) eine wegweisende Entscheidung getroffen, die Arbeitnehmer beim Thema Entgeltgleichheit erheblich stärkt. Im Kern geht es darum, dass ein direkter Vergleich mit einem männlichen Kollegen – der sogenannte Paarvergleich – ausreicht, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen. Anders als bisher angenommen, müssen dafür weder große Vergleichsgruppen noch statistische Medianwerte herangezogen werden. Bereits der konkrete Vergleich mit einem einzelnen Kollegen kann ausreichen, um eine Vermutung zu erzeugen, die der Arbeitgeber im weiteren Verfahren widerlegen muss.

Im zugrunde liegenden Fall forderte die Klägerin rückwirkend die Angleichung verschiedener Entgeltbestandteile. Grundlage für ihre Forderungen waren u. a. Informationen aus einem internen Dashboard, das Auskünfte im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes bereitstellt. Der Arbeitgeber argumentierte, die Vergleichspersonen verrichteten nicht die gleiche oder gleichwertige Arbeit und die geringere Vergütung der Klägerin sei auf Leistungsmängel zurückzuführen. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage zunächst ab. Es war der Ansicht, dass eine einzelne Vergleichsperson nicht ausreiche und eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung nachgewiesen werden müsse.

Das BAG hob diese Entscheidung auf und stellte klar: Der Paarvergleich ist ausreichend, um die Vermutung einer Benachteiligung auszulösen. Die Größe der Vergleichsgruppe, statistische Werte oder Medianentgelte spielen hierbei keine Rolle. Sobald ein Arbeitnehmerdarlegt, dass ein männlicher Kollege für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine höhere Vergütung erhält, entsteht eine Vermutung, die der Arbeitgeber im Verfahren widerlegen muss.

Praktische Bedeutung des Paarvergleichs 

Der Paarvergleich eröffnet Arbeitnehmern eine konkrete Möglichkeit, Entgeltgleichheit durchzusetzen. Entscheidend ist dabei nicht die formale Bezeichnung der Tätigkeit, sondern die tatsächlichen Anforderungen der Arbeit. Dazu zählen Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen.

Beispielsweise könnte eine Mitarbeiterin im Controlling, die Budgetverantwortung trägt und komplexe Berichte erstellt, feststellen, dass ein männlicher Kollege mit vergleichbaren Aufgaben ein höheres Gehalt erhält. In einem solchen Fall reicht der direkte Vergleich mit diesem Kollegen aus, um die Vermutung einer Benachteiligung zu begründen. Interne Gehaltsinformationen oder Dashboards können als Nachweis dienen.

Damit bedeutet das Urteil konkret: Die Erfolgsaussichten für Entgeltklagen steigen deutlich. Die bisher gängige Praxis, auf große Vergleichsgruppen oder Mediane abzustellen, ist nach dieser Entscheidung nicht mehr erforderlich. Dadurch können Arbeitnehmer zielgerichteter und schneller Ansprüche geltend machen, ohne auf umfangreiche statistische Analysen angewiesen zu sein.

Konsequenzen für Arbeitgeber

Für Arbeitgeber bedeutet das BAG-Urteil, dass Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Vergütung zentral sind. Vergütungssysteme sollten klar dokumentiert und geschlechtsneutral gestaltet sein. Besonders variable Entgeltbestandteile wie Boni, Sonderzahlungen oder individuelle Absprachen müssen auf nachvollziehbaren, sachlichen Kriterien beruhen. Fehlen solche Nachweise, steigt das Risiko, dass die Vermutung der Benachteiligung greift.

Unternehmen sollten daher ihre Systeme regelmäßig überprüfen, dokumentierte Bewertungsmaßstäbe etablieren und potenzielle Diskriminierungsrisiken frühzeitig erkennen. Eine frühzeitige Anpassung von Gehältern, gezielte Überprüfungen von Entgeltentscheidungen und transparente Kommunikation innerhalb des Unternehmens können rechtliche Risiken deutlich reduzieren.

Zusammenhang mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie

Das BAG-Urteil steht in engem Zusammenhang mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970/EU)die Unternehmen verpflichtet, Tätigkeiten objektiv und geschlechtsneutral zu bewerten und gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich zu entlohnen. Die Richtlinie schreibt unter anderem vor, dass bei einem Gender Pay Gap von fünf Prozent oder mehr ohne sachliche Rechtfertigung Maßnahmen zur Angleichung ergriffen werden müssen. Von dieser Schwelle losgelöst bleibt die Möglichkeit für Arbeitnehmer, den Ausgleich konkreter Entgeltdifferenzen zu fordern.

Die Entscheidung des BAG zeigt praxisnah, wie Arbeitnehmer ihre Rechte durchsetzen können, während die Richtlinie Unternehmen zwingt, ihre Vergütungssysteme transparent und überprüfbar zu gestalten. Die Verbindung zwischen BAG-Urteil und Richtlinie unterstreicht die Notwendigkeit objektiver Bewertungsmodelle: Nur wenn Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen systematisch erfasst und verglichen werden, können Unternehmen sachlich begründete Entgeltunterschiede darlegen und Diskriminierung vermeiden.

Darüber hinaus fördert die Richtlinie die Einführung gemeinsamer Entgeltbewertungen („Joint Pay Assessment“) durch Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung, um strukturelle Ungleichheiten zu erkennen und zu beseitigen. Das Urteil des BAG verdeutlicht, dass selbst bei einzelnen Vergleichen mit Kollegen eine Vermutung ausgelöst werden kann – dies verdeutlicht den hohen Stellenwert transparenter Bewertungsmodelle und dokumentierter Entgeltsysteme.

Umsetzung in der Unternehmenspraxis

Unternehmen sollten ihre bestehenden Entgeltsysteme auf strukturelle Unterschiede überprüfen, insbesondere bei gleichwertigen Tätigkeiten. Die Bewertung sollte auf objektiven Kriterien basieren, unabhängig von Jobtiteln oder organisatorischen Einheiten. Alle Entgeltbestandteile sollten nachvollziehbar dokumentiert werden, um im Streitfall sachlich begründete Entscheidungen vorweisen zu können. Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Betriebsräte sollten geschult werden, um Entscheidungen transparent und rechtskonform zu treffen.

Digitale Tools wie CMS Pay Gap Compliance können Unternehmen dabei unterstützen, Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen systematisch zu ermitteln und gleichwertige Tätigkeiten objektiv zu bewerten. Das Tool ermöglicht Dokumentation, Reporting und Ableitung von Maßnahmen zur Angleichung und hilft so, sowohl die Vorgaben der BAG-Rechtsprechung als auch die Anforderungen der EU-Richtlinie umzusetzen. Unternehmen können damit Entgeltstrukturen rechtssicher, transparent und praxisnah gestalten.

Fazit: Das aktuelle BAG-Urteil stärkt die Rechte der Arbeitnehmer

Das BAG-Urteil vom 23. Oktober 2025 stärkt die Rechte von Arbeitnehmern maßgeblich: Ein konkreter Vergleich mit einem männlichen Kollegen reicht aus, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen. Arbeitgeber müssen ihre Vergütungssysteme daher transparent, nachvollziehbar und objektiv gestalten. In Kombination mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie zeigt sich, dass faire, dokumentierte und überprüfbare Entgeltstrukturen heute ein zentraler Bestandteil moderner Personalpolitik und rechtlicher Compliance sind. Unternehmen, die dies frühzeitig umsetzen, reduzieren rechtliche Risiken und stärken gleichzeitig das Vertrauen und die Motivation ihrer Mitarbeitenden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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