Vormaliges Kabinenpersonal der insolventen Air Berlin scheitert mit Klagen auf Nachteilsausgleich auch vor dem BAG.
Die entlassenen Mitglieder des Kabinenpersonals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin haben keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Die betreffenden tariflichen Anspruchsvoraussetzungen lägen nicht vor, urteilte das BAG am 21. Januar 2020 (1 AZR 149/19, 1 AZR 295/19 u.a.).
Nachdem Air Berlin im November 2017 Insolvenz anmeldete, verloren Presseberichten zufolge mehr als 6.000 Beschäftigte* ihren Arbeitsplatz. Die arbeitsrechtliche Aufarbeitung der damals ausgesprochenen Kündigungen und möglicher Ansprüche ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Hunderte Verfahren liegen aktuell beim BAG sowie auch bei den Instanzgerichten.
Mit den ersten Entscheidungen des BAG vom letzten Dienstag begann hier die höchstrichterliche Befassung mit der Air Berlin Insolvenz. Der erste Senat hatte sich in den ersten Revisionsverfahren Air Berlin konkret damit auseinanderzusetzen, ob Flugbegleiterinnen, die infolge der Insolvenz entlassen wurden, zumindest eine Abfindung aus der Insolvenzmasse beanspruchen konnten. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nach der veröffentlichten Zeitplanung des BAG weitere Verhandlungen zu Revisionsverfahren Mitte bzw. Ende Februar 2020 bevorstehen. Natürlich sind die Entscheidungen unmittelbar insbesondere für die ehemaligen Air-Berliner und die am Insolvenzverfahren Beteiligten relevant. Daneben geht es aber – wie bei komplexen Betriebsänderungen im Insolvenzkontext üblich – in allen Revisionsverfahren um eine Vielzahl von bisher nicht abschließend geklärten Rechtsfragen.
Worum ging es nun im ersten Teil der arbeitsrechtlichen Aufarbeitung in Erfurt?
Interessenausgleichsverhandlungen gescheitert
Für das hier betroffene Kabinenpersonal der Air Berlin war auf der Grundlage eines mit der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Tarifvertrages Personalvertretung (TVPV) die Personalvertretung Kabine errichtet. § 83 Abs. 3 TVPV regelte, dass den Mitarbeitern ein Nachteilsausgleich zu zahlen ist, wenn eine geplante Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass über sie ein Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabine versucht wurde, und sie infolge dieser Maßnahme entlassen werden.
Air Berlin informierte Anfang Oktober 2017 die Personalvertretung Kabine über die geplante Stilllegung des Geschäftsbetriebes zu Ende Januar 2018. Die darauf folgenden Verhandlungen über einen Interessenausgleich blieben erfolglos. Die angerufene Einigungsstelle erklärte sich am 10. Januar 2018 für unzuständig, woraufhin der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse Ende Januar 2018 betriebsbedingt kündigte.
Kabinenpersonal fordert Nachteilsausgleich
Die vormals als Flugbegleiterinnen tätigen Klägerinnen verlangten daraufhin die Gewährung eines Nachteilsausgleichs auf Grundlage des § 83 Abs. 3 TVPV. Sie trugen vor, die Betriebsänderung in Form der Stilllegung des Flugbetriebs sei bereits Ende November 2017 mit Kündigung der Piloten erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabine noch nicht hinreichend versucht gewesen.
TVPV umfasst nur Maßnahmen in Bezug auf das Kabinenpersonal
Nachdem bereits die Vorinstanzen – auf unterschiedliche Erwägungen gestützt – die Klagen abgewiesen hatten, scheiterten die Klägerinnen nun auch vor dem ersten Senat. Nach der Pressemitteilung sind hierfür folgende Gründe ausschlaggebend gewesen: § 83 Abs. 3 TVPV umfasse ausschließlich Maßnahmen, die sich auf das Kabinenpersonal beziehen. Der TVPV gelte gerade nicht auch für das Cockpitpersonal, dem die Piloten zuzuordnen seien. Daher würde es der in § 4 Abs. 1 TVG angeordneten geltungsbereichsbezogenen Wirkung von tarifvertraglichen Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen zuwiderlaufen, wenn die Personalvertretung Kabine Sachverhalte gestalten könnte, die auch das Cockpitpersonal beträfe.
Kabine und Cockpit als unterschiedliche Betriebe
Die aus der Pressemitteilung ersichtlichen Überlegungen des BAG sind überzeugend: Denn mit Abschluss der Tarifverträge und der eigenen Zuständigkeitsregelungen der Personalvertretungen haben die Tarifvertragsparteien abgegrenzte Betriebe (Kabine und Cockpit) gebildet, die gerade auch aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht eigene Wege gehen.
Weitere spannende Urteile des BAG zu Fragen der Betriebsstilllegung und des Betriebsübergangs sowie formeller Fehler bei der Kündigung folgen
Im Februar beschäftigen sich der sechste und achte Senat mit Klagen von Piloten. Diese hatten zwar Abfindungen erhalten, rügen jedoch die Art und Weise der Kündigungen. Insbesondere wird es hier um zentrale Fragen rund um die Themen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang sowie formelle Fehler bei der Kündigung gehen.
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*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.