Durch das „Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“ wurde der rechtliche Rahmen für die Zeitarbeit im Jahr 2011 erheblich geändert.
Neben der sog. Drehtürklausel (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) und einer Lohnuntergrenze (§ 3 a AÜG) hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Erlaubnispflicht der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung angepasst. Diese knüpft nunmehr nicht mehr an eine „gewerbsmäßige“, sondern an eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ an.
Welche Auswirkungen sich aus dieser Gesetzesänderung ergeben, veranschaulichen die ersten nunmehr dazu veröffentlichten gerichtlichen Entscheidungen.
Altes Recht: Anknüpfung an gewerbsmäßiges Handeln
Das alte Recht knüpfte die Erlaubnispflicht bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung u.a. an ein gewerbsmäßiges Handeln an: der Personaldienstleister musste mit Gewinnerzielungsabsicht tätig werden. Diese Anforderung war z.B. nicht erfüllt, wenn die Überlassung unentgeltlich erfolgte. Gleiches galt, wenn der Personaldienstleister gemeinnützig agierte.
Dabei ließen es die Erlaubnisbehörden in der Regel ausreichen, dass das Finanzamt der betreffenden Einrichtung eine entsprechende Gemeinnützigkeit zuerkannte (§ 52 AO). Ab dem 01. Dezember 2011 gilt eine Erlaubnispflicht bereits, wenn die Überlassung im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgt. Nach der Gesetzesbegründung sollte damit im Wesentlichen klargestellt werden, dass konzerninterne Personalservicegesellschaften, die die Zeitarbeitnehmer an andere Konzernunternehmen zum Selbstkostenpreis überlassen, einer Erlaubnispflicht unterworfen sind (BT-Drucksache 17/4804, S. 8). Hinreichend ist damit, dass der Personaldienstleister – ob mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht – am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teilnimmt.
Neues Recht: Anknüpfung an wirtschaftliche Tätigkeit
Das LAG Düsseldorf hat sich jüngst mit der Auslegung des neuen Tatbestandsmerkmals „wirtschaftliche Tätigkeit“ befassen müssen (Urteile vom 26.07.2012 – 15 Sa 336/12, 15 Sa 788/12, 15 Sa 1452/11).
Der klagende Zeitarbeiter war im Rahmen befristeter Arbeitsverträge bei der Beklagten beschäftigt, die sich als gemeinnützige Gesellschaft mit der Betreuung und ggf. Vermittlung von Langzeitarbeitslosen beschäftigte und deren Anteilseigner der Kreis Viersen und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises sind.
Im Rahmen sog. Personalgestellungsverträge hatte es die Beklagte seit einigen Jahren übernommen, den Personalbedarf der ARGE bzw. seit 2011 des JOB Centers des Kreises Viersen durch Einstellungen geeigneter Arbeitnehmer und entsprechende Zuweisungen an die ARGE bzw. das JOB Center sicherzustellen. Der Zeitarbeitnehmer machte sodann die Unwirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrages geltend.
Das LAG Düsseldorf hat die Berufung mit folgender Begründung zurückgewiesen: das Arbeitsverhältnis wird auf Grund der Änderung des AÜG zum 01. Dezember 2011 mit dem Kreis Viersen als fortbestehend fingiert, da die Beklagte bisher nicht im Besitz einer Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung ist. Auch gemeinnützige Aktivitäten stellen dabei eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. § 1 Abs. 1 AÜG n.F. dar.
Konsequenz ist, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten seit diesem Zeitpunkt nicht mehr besteht und die erstinstanzlich geprüfte Rechtsfrage (Wirksamkeit der Befristung mit dem Arbeitgeber) nicht mehr zu bescheiden war. Zwar war Arbeitnehmer in dem Verfahren nicht erfolgreich, jedoch wird dieser in einem nächsten Schritt verlangen können, beim Kreis Viersen, dem Kunden des Personaldienstleisters, aufgrund der Fiktionswirkung des AÜG mit Blick auf ein Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden.
Auch konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung wird erfasst
In einer am 15. Mai 2012 veröffentlichten Entscheidung des ArbG Krefeld (Az. 1 Ca 2551/11) hat die 1. Kammer sich in einem Parallelsachverhalt ebenfalls umfänglich mit der Frage der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ auseinandergesetzt.
In dem Urteil heißt es:
Dementsprechend entspricht es der ganz herrschenden Meinung, dass auch der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit in § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG dahingehend auszulegen ist, dass darunter jede Tätigkeit zu verstehen ist, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, soweit dies nicht in Ausübung hoheitlicher Befugnisse geschieht. Damit werden nunmehr sowohl Fälle konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung als auch solche einer durch oder zu Gunsten von gemeinnützigen Gesellschaften durchgeführten Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich erfasst. Soweit z.T. abweichend vertreten wird, dass demgegenüber Unternehmen, die ausschließlich gemeinnützige, karitative, wissenschaftliche, künstlerische oder sonstige ideelle Zwecke verfolgen, vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG und folglich von einer Erlaubnispflicht ausgeschlossen seien (Hamann, RdA 2011, 323), folgt die Kammer dem nicht. Diese Einschränkung ist mit Art. 1 Abs. 3. der Richtlinie 2008/104/EG nicht zu vereinbaren und widerspricht auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers. Denn ein Änderungsantrag des Bundesrates dahingehend, dass für gemeinnützige Einrichtungen eine Ausnahmeregelung in das AÜG eingefügt wird, ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neuregelung des AÜG nicht umgesetzt worden.
Die Entscheidungen verdeutlichen, dass die Reform des AÜG mit einer erheblichen Erweiterung der Erlaubnispflichtigkeit der Überlassung verbunden ist. Gemeinnützige Gesellschaften, die auf Grundlage des alten Rechts mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht „gewerbsmäßig“ agiert haben, werden nunmehr vom Anwendungsbereich des AÜG erfasst, da sie nach Ansicht der Rechtsprechung zumindest eine „wirtschaftliche“ Tätigkeit am Markt ausüben.
Unternehmen, die nicht rechtzeitig auf die gesetzlichen Änderungen reagiert haben, können – selbst wenn ursprünglich eine ganz andere Rechtsfrage im Raum stand (Wirksamkeit einer Befristung) – mit den im AÜG vorgesehenen Rechtsfolgen konfrontiert werden. Dies gilt im Übrigen auch für ggf. den arglosen Kunden des Personaldienstleisters, der auf einmal selbst Arbeitgeber der überlassenden Arbeitnehmer ist (Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach §§ 9 Ziff. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Eine (vorsorgliche) Einholung der Genehmigung zur Überlassung ist vor diesem Hintergrund insbesondere in „Grenzfällen“ zu empfehlen.