19. Dezember 2019
Auszahlung Überstunden
Arbeitsrecht

Auszahlung von Überstunden trotz monatelanger Freistellung?

Kein automatischer Abbau des Arbeitszeitkontos durch unwiderrufliche Freistellung und Urlaubsanrechnung im gerichtlichen Vergleich.

Ein Vergleich vor Gericht soll den Streit der Parteien beilegen und das Verhältnis insgesamt befrieden. Umso ärgerlicher ist es, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass doch nicht alle Ansprüche bedacht wurden.

So geschehen in einem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 20. November 2019 – 5 AZR 578/18). Eine Arbeitnehmerin hatte trotz monatelanger, bezahlter und unwiderruflicher Freistellung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch die Abgeltung von Überstunden geltend gemacht.

Die Entscheidung des BAG: Freistellung bedeutet nicht automatisch Überstundenabbau

Was war passiert? Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit einer Sekretärin außerordentlich. Im folgenden Kündigungsschutzprozess einigten sich die Parteien Mitte November auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar des folgenden Jahres. Der Vergleich beinhaltete zudem die sofortige unwiderrufliche Freistellung der Arbeitnehmerin unter Anrechnung des noch ausstehenden Urlaubs bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine allgemeine Erledigungsklausel (auch Abgeltungsklausel oder Ausgleichsquittung genannt) enthielt der Vergleich nicht.

Im Februar des nächsten Jahres, also nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verlangte die ehemalige Sekretärin von ihrem Arbeitgeber die Abgeltung von rund 67 Überstunden. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung mit Verweis auf den geschlossenen Vergleich im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren. Die ehemalige Arbeitnehmerin hingegen argumentierte, die Überstunden seien von dem damals geschlossenen Vergleich nicht umfasst.

Das Bundesarbeitsgericht gab der ehemaligen Arbeitnehmerin Recht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses könnten die Überstunden nicht mehr durch Freizeit abgegolten werden, daher seien sie in Geld auszugleichen. Die Überstunden seien auch nicht durch die vorangegangene Freistellung in Natura abgegolten worden. Denn die Arbeitnehmerin habe nicht erkennen können, dass mit der Freistellung neben dem Urlaub auch die Überstunden abgegolten werden sollten. Dem Vergleich sei eine solche Überstundenabgeltung durch Freistellung nicht zu entnehmen.

Uneinigkeit zwischen den Vorinstanzen

Ähnlich urteilte zuvor bereits das Arbeitsgericht Münster (ArbG Münster, Urteil vom 28. September 2017 – 2 Ca 572/17). Der Wortlaut des Vergleichs gebe hinsichtlich der Überstunden auf dem Arbeitszeitkonto der ehemaligen Arbeitnehmerin nichts her. Die Freistellung diene in erster Linie dazu, die Arbeitsverpflichtung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zu regeln. Zudem enthielt der Vergleich keine Erledigungsklausel. Auch aus diesem Grund sei der Abgeltungsanspruch der ehemaligen Arbeitnehmerin nicht ausgeschlossen.

Gegenteilig urteilte die zweite Instanz. Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm, Urteil vom 19. Juni 2018 – 12 Sa 218/18) entschied, dass die Parteien ihr Rechtsverhältnis im vorangegangenen Vergleich endgültig regeln wollten. Dies ergebe sich aus der Interessenlage der Parteien. Daher sei auch eine Abgeltungsklausel unnötig gewesen.

Wichtig: Vergleiche eindeutig formulieren!

Interessant ist, dass alle Instanzen ihre (unterschiedlichen) Ergebnisse jeweils auf die Auslegung des Prozessvergleichs stützen. Diese Erkenntnis ist Risiko wie Chance zugleich und zeigt besonders eindrücklich die Wichtigkeit, Vergleiche eindeutig zu formulieren und keinen Raum für Interpretation zu lassen.

Den Parteien bieten sich gleich zwei Möglichkeiten: Zum einen können die Parteien die jeweiligen Ansprüche einzeln (und damit beispielsweise auch die Überstunden) im Vergleich regeln und/oder zum anderen eine umfassende Abgeltungsklausel vereinbaren.

Beide Möglichkeiten haben ihre Vor- und Nachteile. Vereinbaren die Parteien ausdrücklich, was mit einer bestimmten Position, also beispielsweise den Überstunden geschehen soll, so ist diese Position ohne Zweifel vom Vergleich erfasst. Der Nachteil besteht jedoch darin, dass den Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses manche Positionen gar nicht bekannt sind oder die Parteien nicht daran denken. Es besteht also die Gefahr, dass einzelne Position nicht im Vergleich geregelt werden, die nach Vergleichsschluss zu weiteren Streitereien führen. Das ist besonders ärgerlich, da ein weiterer Disput Zeit und Geld kostet.

Daher bietet sich eine umfassende Abgeltungsklausel an. Diese erfasst alle (verzichtbaren) Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis. Dieser Vorteil der Abgeltungsklausel ist jedoch zugleich ihr Nachteil. Denn eine Abgeltungsklausel gilt immer beiderseitig. Das bedeutet, dass auch der Arbeitgeber mit etwaigen Ansprüchen gegen den Arbeitnehmer ausgeschlossen ist. Daher ist es besonders wichtig, dass der Arbeitgeber genau prüft, welche Positionen oder Ansprüche gegenüber dem Arbeitnehmer noch offen sein könnten. Es empfiehlt sich beispielsweise, vorher die Richtigkeit der Entgeltabrechnungen zu prüfen.

Tags: Abbau Arbeitszeitkonto Freistellung Überstunden Urlaub