Nach Entscheidung des BAG bestehen Einsichtsrechte seitens des Betriebsrates in Entgeltlisten nicht, wenn Arbeitgeber Auskunftsansprüche nach EntgTranspG selbst beantworten.
Betriebsräte haben kein Einsichts- und Auswertungsrecht hinsichtlich der Bruttoentgeltlisten, wenn der Arbeitgeber die Erfüllung der Auskunftsansprüche der Arbeitnehmer* generell oder in einzelnen Fällen übernommen hat. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nunmehr entschieden (Beschluss v. 28. Juli 2020 – 1 ABR 6/19).
Ursprünglicher Streitpunkt: Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung der Entgeltlisten?
Um das Recht zur Einsicht und Auswertung von Entgeltlisten nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) gestritten hatten eine GmbH und der dort gebildete Betriebsrat. Die Arbeitgeberin hatte die in § 14 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG vorgesehene Möglichkeit genutzt, die Beantwortung der Auskunftsverlangen der Arbeitnehmer generell selbst zu übernehmen. In der Folge informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die gestellten Auskunftsverlangen von Beschäftigtenseite und teilte ihm die daraufhin erfolgten Antworten mit. Ferner gewährte sie dem Betriebsrat Einblick in aufbereitete Bruttoentgeltlisten. Dazu wurden die Bruttoentgelte inklusive aller Entgeltbestandteile nach Geschlecht getrennt in einem PDF-Dokument auf einem Computer zum Abruf bereitgestellt. Von diesem Computer aus bestand auch die Möglichkeit des Ausdrucks.
Der Betriebsrat verlangte in dem angestrengten Beschlussverfahren nunmehr darüber hinaus, ihm die Entgeltlisten in bestimmten Dateiformaten zur eigenständigen Auswertung ganz zu überlassen und stütze dieses Begehren auf § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG.
LAG: Umfang des Einsichts- und Auswertungsrechts beschränkt
Die Vorinstanzen hatten dem Begehren des Betriebsrates eine Absage erteilt und das mit einer fundierten Auslegung des noch relativ jungen EntgTranspG untermauert.
Das EntgTranspG gewähre lediglich ein Einsichts- und Auswertungsrecht. Weder hiernach, noch nach dem korrespondierenden betriebsverfassungsrechtlichen Recht aus § 80 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sei ein darüberhinausgehendes Recht auf Überlassung der Listen abzuleiten. Den kollektivrechtlichen Aufgaben könne der Betriebsrat durch das Abrufen der Listen hinreichend nachkommen; das EntgTranspG erweitere den Kompetenzbereich der Betriebsräte insoweit nicht.
BAG: Kein Einsichts- und Auswertungsrecht, wenn Arbeitgeber Auskunftsansprüche selbst beantworten
Letztlich hatte sich das BAG mit diesen noch in den Vorinstanzen streitbefangenen Rechtsfragen deshalb nicht zu beschäftigen, weil es den Anwendungsbereich der klägerseits bemühten Rechtsgrundlage des § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG schon nicht als eröffnet ansah.
Zur Begründung dieser Rechtsauffassung setze sich der erste Senat genauer mit dem Anwendungsbereich und dem systematischen Verhältnis der Auskunftsansprüche auseinander: Im Ergebnis sei das Recht auf Einsichtnahme und Auswertung der Entgeltlisten nach § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG nicht eröffnet, wenn sich der Arbeitgeber dazu entschieden habe, die Erfüllung der Auskunftsansprüche selbst zu übernehmen. Das EntgTranspG sehe in solchen Fällen das Einsichtsrecht nach § 13 Abs. 2 S. 1 schlicht nicht vor.
Hintergrund: Systematische Alternativität von Einsichtsrecht des Betriebsrates und eigener Erfüllung der Auskunftsansprüche durch den Arbeitgeber
Das BAG weist darauf hin, dass in den Fällen, in denen der Arbeitgeber von der Möglichkeit, die Auskunftsansprüche an Stelle des Betriebsrates selbst zu übernehmen Gebrauch macht (§ 14 Abs. 2 S. 1 bzw. i.V.m. § 15 Abs. 2 EntgTranspG), für das Einsichts- und Auswertungsrecht kein Raum bestehe. Der Anspruch knüpfe an die Aufgabe des Betriebsrates an, individuelle Auskunftsbegehren der Arbeitnehmer zu beantworten.
Zwar ist die Zuständigkeit des Betriebsrates der Regelfall (siehe § 14 Abs. 1 S. 1 bzw. § 15 Abs. 1 EntgTranspG). Dem Arbeitgeber steht es indessen frei, die benannten Ansprüche selbst zu erfüllen. Hierfür muss er seine Entscheidung lediglich dem Betriebsrat erläutern. Entfällt hiernach die Kompetenz des Betriebsrates, muss folgerichtig auch das dieser Kompetenz dienende Einsichts- und Auswertungsrecht entfallen.
Zu der Frage des Umfangs eines etwaigen Einsichts- und Auswertungsrechts kommt der Senat hiernach – vorbehaltlich ggf. anderslautender, bisher noch nicht veröffentlichter Entscheidungsgründe – nicht mehr.
Die restriktiven Annahmen zur Anwendbarkeit sind jedoch Anhaltspunkt dafür, dass das BAG auch den Umfang des Einsichts- und Auswertungsrechts in Zukunft begrenzen könnte. Hierfür spricht auch die systematische Argumentation des BAG, die eine zumindest unterschwellige Sympathie für die Argumente der Vorinstanzen annehmen lässt. Eine abschließende Bewertung wird allerdings erst nach der Veröffentlichung der vollständigen Entscheidungsgründe möglich sein.
Fazit: Einsichtsrechte des Betriebsrats in Anwendungsbereich und Umfang beschränkt
Die Entscheidung des BAG überzeugt sowohl in der Sache, als auch in methodischer Hinsicht und schafft insbesondere Klarheit im Umgang mit Ansprüchen des EntgTranspG und deren Systematik.
Das BAG begrenzt den Anwendungsbereich des Einsichts- und Auswertungsrechts sachlich sowie gesetzessystematisch konsequent und richtig. Dadurch klärt der erste Senat das Verhältnis der verschiedenen Ansprüche und der Verfahrensregelungen im Zusammenhang mit dem Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG überzeugend. Das Gericht stellt dadurch klar, dass Einsichts- und Auswertungsrechte in Entgeltlisten nicht uneingeschränkt bestehen, sondern auf den jeweils erforderlichen Umfang zu begrenzen sind.
Arbeitgebern ist weiterhin anzuraten, die Erfüllung der Auskunftsansprüche eigener Mitarbeiter nach dem EntgTranspG an sich zu ziehen. Die Hürde hierfür ist wegen einer bloßen Pflicht zur „Erörterung“ der Entscheidung mit dem Betriebsrat gering. Dem Betriebsrat ist es hingegen auch nach der jetzigen Entscheidung des BAG unbenommen, seine Einsichtsrechte unabhängig vom EntgTranspG nach § 80 Abs. 2 S. 2 HS. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2a BetrVG geltend zu machen.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.