Ab 28. Juni 2025 gilt das BFSG. Was bedeutet das für Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern und Bewerbern?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Dasselbe gilt für die Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem BFSG (BFSGV).
Mit diesen Vorschriften sollen im Interesse der Verbraucher* und Nutzer die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen nach den weiteren Maßgaben ihrer Regelungen gewährleistet werden und für Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen werden.
Wer ist vom BFSG betroffen?
Grundsätzlich richtet sich das BFSG an Personen, die nach dem 28. Juni 2025 die in § 1 Abs. 2 BFSG genannten Produkte in den Verkehr bringen oder die in § 1 Abs. 3 BFSG genannten Dienstleistungen für Verbraucher erbringen. Als Verbraucher ist dabei nach § 3 Nr. 16 BFSG jede natürliche Person zu verstehen, die ein unter das BFSG fallendes Produkt oder eine entsprechende Dienstleistung zu Zwecken erwirbt oder empfängt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Folgt man der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG, Urteil v. 31. August 2005 – 5 AZR 545/04; BAG, Urteil v. 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04), ist der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber als Verbraucher i. S. d. § 13 BGB anzusehen. Arbeitsverträge sind daher Verbraucherverträge i. S. d. § 13 BGB. Dies folgt bereits daraus, dass ein Arbeitnehmer eine natürliche Person ist, die ihre Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit erbringt und gerade keine selbständige berufliche Tätigkeit ausübt. Dass dies durch das Unionsrecht (EuGH, Urteil v. 9. März 2023 – C-177/22) nicht zwingend vorgegeben wird, spielt dabei keine Rolle.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Arbeitnehmer grundsätzlich als Verbraucher in den Anwendungsbereich des BFSG fallen. Denn nach § 2 Nr. 16 BFSG ist jede natürliche Person erfasst, die ein Produkt oder eine Dienstleistung, die unter das BFSG fällt, zu überwiegend privaten Zwecken erwirbt oder nutzt. Im Gegensatz zu Art. 3 Nr. 22 der Richtlinie 2019/882/EU schließt das BFSG dabei Personen nicht vom Anwendungsbereich aus, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit an dem Vertrag beteiligt sind.
Arbeitgeber als Wirtschaftsakteure
Trotz einer solchen Einbeziehung von Arbeitnehmern und Bewerbern bestehen allerdings Zweifel, ob der Arbeitgeber im Verhältnis zum Arbeitnehmer als Wirtschaftsakteur qualifiziert wird, der in einer Weise Produkte auf dem Markt bereitstellt oder Dienstleistungen anbietet oder erbringt, die vom Geltungsbereich des BFSG erfasst wird. Bedeutsam sind diese Zweifel insoweit, als nur dort, wo der Arbeitgeber als Wirtschaftsakteur tätig wird, das BFSG überhaupt zur Anwendung kommen kann.
Der Begriff des Wirtschaftsakteurs wird in § 2 Nr. 15 BFSG legaldefiniert als „Hersteller, Bevollmächtigter, Einführer, Händler oder Dienstleistungserbringer“.
Daran anknüpfend wird man den Arbeitgeber in Bezug auf Arbeitnehmer zwar dann als Hersteller oder Händler einbeziehen müssen, wenn es um den (rabattierten) Verkauf eines Produkts geht, das auch an Dritte veräußert wird (z.B. Getränke, Energie, Autos). Bei solchen Deputaten muss die Barrierefreiheit gewährleistet werden. Denn hier stellt die Veräußerung an den Arbeitnehmer eine Erscheinungsform des Inverkehrbringens durch den Hersteller oder Händler dar, wie es auch in § 2 Nr. 10 bis 14 BFSG definiert wird. Schließlich verlässt das jeweils in Rede stehende Produkt auch den Einfluss- und Organisationsbereich des Arbeitgebers. Das entspricht auch den im Produkthaftungsrecht gewonnenen Ergebnissen (siehe BGH, Urteil v. 25. Februar 2014 – VI ZR 144/13). Hiervon ausgehend müssen Produkte, die der Arbeitgeber auch an Dritte verkauft, bei ihrer Veräußerung an den Arbeitnehmer den Vorgaben des BFSG und der BFSGV genügen.
Anders dürfte dies allerdings bei Dienstleistungen sein, die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zugunsten eines Arbeitnehmers erbracht werden. Beispielhaft sei auf den Betrieb einer Website im Intranet hingewiesen, mit der freiwillige Unterstützungsleistungen des Arbeitgebers in bestimmten Lebenslagen angeboten werden (z.B. Unterstützung bei der Vermittlung eines Kindergartenplatzes). Gleiches gilt für ein E-Learning, unterstellt man, dass die darin vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch den Arbeitnehmer auch außerhalb des konkreten Arbeitsverhältnisses verwertet werden können.
In Bezug auf solche Leistungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Durchführung des Arbeitsverhältnisses werden die Voraussetzungen einer Dienstleistung nicht erfüllt. Denn nach den gesetzlichen Regelungen werden nur selbstständige Tätigkeiten erfasst, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Dies aber ist bei den vorstehenden Dienstleistungen im Arbeitsverhältnis nicht der Fall.
Dasselbe gilt für sogenannte „Karriereseiten“. Auch wenn in der aktuellen Diskussion immer wieder die Auffassung vertreten wird, dass jedenfalls Webseiten im Internet den Vorgaben des BFSG und der BFSGV genügen müssen, wenn dort Bewerber Informationen über das Unternehmen und ausgeschriebene Arbeitsplätze erhalten und ihre Bewerbungen hochladen können, überzeugt auch diese Einbeziehung in den Geltungsbereich des BFSG nicht. Denn auch hier liegt keine Dienstleistung i. S. d. § 2 Nr. 3 BFSG vor. Dass der Bewerber insoweit Verbraucher ist, genügt nicht.
Verpflichtung zur Barrierefreiheit durch andere Gesetze?
Unabhängig von der fehlenden Anwendbarkeit des BFSG sollte allerdings arbeitgeberseitig geprüft werden, ob sich bei Dienstleistungen, die gegenüber Arbeitnehmern und Bewerbern erbracht werden, aus allgemeinen Vorschriften Verpflichtungen zu der Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs ergeben können. Das betrifft insbesondere Websites, die für das Hochladen von Bewerbungen vorgehalten werden.
Bei einer entsprechenden Prüfung geht es vor allem um die Anforderungen nach §§ 12 f. BFSGV. Danach müssen die Informationen auf solchen Websites zum Beispiel über mehr als einen Sinneskanal (z.B. Sehen und Hören) zugänglich sein. Sie müssen so dargestellt werden, dass Verbraucher sie wahrnehmen können. Die Schriftart muss gut lesbar sein – das heißt: ausreichend groß, in einer passenden Form, mit gutem Kontrast und genug Abstand zwischen Buchstaben, Zeilen und Absätzen, angepasst an die übliche Nutzung der Website. Wenn es Inhalte gibt, die nicht aus Text bestehen (z. B. Bilder oder Videos), soll eine alternative Darstellung des Inhalts angeboten werden.
Auch wenn das BFSG hier nicht direkt gilt, kann sich eine Pflicht zur barrierefreien Gestaltung des Zugangs zur Beschäftigung oder zu arbeitsbezogenen Informationen ergeben. Diese Pflicht folgt nicht nur aus dem allgemeinen Grundsatz, Menschen mit Behinderungen zu integrieren – wie er etwa in § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG genannt ist. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang vor allem § 164 Abs. 4 SGB IX (für schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen) sowie § 8 AGG und § 241 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften gelten für alle Menschen mit Behinderungen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 UN-BRK oder § 2 Abs. 1 SGB IX. Sie verpflichten den Arbeitgeber, sowohl im laufenden Arbeitsverhältnis als auch schon im Bewerbungsverfahren auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen Rücksicht zu nehmen. Das kann auch die Verbesserung des Zugangs zu Produkten und Dienstleistungen zum Gegenstand haben.
Wichtig ist aber: Die vorgenannten Vorschriften begründen keine unbegrenzte Pflicht zur Barrierefreiheit. Es muss immer eine Abwägung der Interessen erfolgen. Dabei wird im Einzelfall geprüft, welche Maßnahmen notwendig, geeignet und verhältnismäßig sind, um Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Menschenrechten und Grundfreiheiten zu ermöglichen.
Das bedeutet konkret: Verpflichtungen, die mit einem unzumutbaren oder unverhältnismäßigen Aufwand verbunden sind, müssen nicht zur Umsetzung kommen, auch wenn das BFSG oder die BFSGV dies in Bezug auf seinen Geltungsbereich für Dienstleistungen bestimmt, die üblicherweise gegen Entgelt angeboten werden.
Für das generelle Gebot eines barrierefreien Zugangs zu Produkten und Dienstleistungen spricht auch der Umstand, dass die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) als unmittelbar in Deutschland geltendes Recht bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln zu beachten ist. Darauf hatte schon das BAG (Urteil v. 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12) bei der Kündigung eines Menschen mit Behinderung im Rahmen der Probezeit hingewiesen. Die insoweit maßgeblichen Verpflichtungen ergeben sich abstrakt-generell aus Art. 27 S. 2 UN-BRK. Danach müssen Exekutive, Legislative und Judikative bei der Ausgestaltung und Anwendung des Rechts in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu einer Stellenvermittlung erhalten, dass sie Unterstützung bei der Arbeitssuche, beim Erhalt und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes erfahren und beim beruflichen Wiedereinstieg gefördert werden. Das gilt auch für den privaten Sektor, wo am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden müssen.
Aktuell keine 1:1 Umsetzung des BFSG durch Arbeitgeber erforderlich
Es bleibt abzuwarten, ob Unternehmen und Gerichte die Diskussion über die Geltung des BFSG zum Anlass nehmen werden, jedenfalls über eine teilweise Umsetzung einzelner Regelungen und Gedanken der Richtlinie 2019/882/EU nachzudenken. Wichtig ist, dabei im Auge zu behalten, dass damit keine Pflicht zur Umsetzung der verschiedenen Vorgaben des BFSG zur Ausgestaltung von Produkten und Dienstleistungen verbunden ist. Das BFSG ist insoweit allenfalls ein Rahmen, der in den Grenzen der Zumutbarkeit zur Umsetzung kommt und Anhaltspunkte dafür liefert, was geeignet, erforderlich und angemessen sein könnte. Eine 1:1 Umsetzung ist damit nicht verbunden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.