15. Juli 2024
Betriebsratswahl Matrixstruktur
Arbeitsrecht

Betriebsratswahlen in Matrixstrukturen

Gefährden Matrixstrukturen die Wirksamkeit von Betriebsratswahlen? Erfahren Sie mehr in unseren Blogbeitrag.

Das LAG Hessen hat entschieden, dass Matrixmanager das aktive Wahlrecht in jedem Betrieb haben, dessen arbeitstechnischen Zweck sie durch ihre Führungsleistung fördern und in dem sie dadurch eingegliedert sind (Beschluss v. 22. Januar 2024 – 16 TaBV 98/23). 

Im vorliegenden Blogbeitrag erläutern wir die arbeitsrechtlichen Grundlagen von Matrixstrukturen sowie den Hintergrund, den Inhalt und die praktischen Folgen der Entscheidung für Unternehmen und Konzerne, die in einer Matrixstruktur agieren.

Ausgangspunkt: Kennzeichen und Besonderheiten einer Matrixstruktur

Ziel von Matrixstrukturen in Konzernen ist es, eine effiziente Organisation aufzubauen, lange Entscheidungswege zu vermeiden und die Flexibilität zwischen einzelnen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu erhöhen (vgl. Wisskirchen/Block, NZA-Beil. 2017, 90, 90). 

Arbeitsrechtlich ist die Schaffung von Matrix-Strukturen durch eine vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisation gekennzeichnet. Die Arbeitnehmer stehen häufig in zwei oder mehr Weisungsbeziehungen.

(LAG Niedersachsen, Urteil v. 24. Juli 2023 – 15 Sa 906/22

Die zwei wesentlichen Eigenschaften der Matrixstruktur sind also: die Loslösung der arbeitstechnischen und betriebswirtschaftlichen Organisation von der Legalstruktur der Gesellschaften, und die Abkopplung des arbeitgeberseitigen fachlichen Weisungsrechts vom disziplinarischen Weisungsrecht. Das fachliche Weisungsrecht wird in der Matrixstruktur von Dritten – sog. Matrixmanagern oder Line-Managern – innerhalb oder außerhalb des Unternehmens ausgeübt. Damit unterliegen Arbeitnehmer Weisungen sowohl des Vertragsarbeitgebers als auch des Matrixmanagers. 

Spiegelbildlich bestehen zwei Berichtslinien, nämlich eine „solid line“ zum disziplinarisch verantwortlichen Arbeitgeber und eine „dotted line“ zum überwiegend fachlich weisungsbefugten Matrixmanager. 

Der Fall: War Betriebsratswahl wegen Teilnahme nicht örtlich ansässiger Matrixmanager unwirksam?

Zurück zum Sachverhalt der Entscheidung: Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Für die streitgegenständliche Betriebsratswahl waren 94 der 997 wahlberechtigen Arbeitnehmer sog. Matrixmanager. Alle waren im Wählerverzeichnis eingetragen, obwohl sie grundsätzlich einem anderen Betrieb der Beklagten angehörten. Die Matrixmanager führten aber Arbeitnehmer des von der Wahl betroffenen Betriebs. An der Betriebsratswahl nahmen 9 dieser Matrixmanager aktiv teil. 

Kern des Verfahrens war, ob die Matrixmanager aktiv wahlberechtigt, d.h. „Arbeitnehmer des Betriebs“ i.S.d. § 7 S. 1 BetrVG waren. Denn nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl des Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist (es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte).

Aktive Wahlberechtigung von Matrixmanagern bei Betriebsratswahl abhängig von Eingliederung

Die aktive Wahlberechtigung zu Betriebsratswahlen nach § 7 BetrVG erfordert neben der Arbeitnehmereigenschaft des Betroffenen auch dessen betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zum Betrieb. Diese Zuordnung orientiert sich an der Eingliederung des Betroffenen in den Betrieb. 

Entscheidend dafür sei, so das LAG, ob der Arbeitgeber mithilfe des betroffenen Matrixmanagers den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgt – so hatte es das BAG bereits im Rahmen von § 99 BetrVG entschieden (vgl. BAG, Beschluss v. 12. Juni 2019 – 1 ABR 5/18). Diese Verfolgung der betrieblichen Zwecke wird anhand der Gesamtschau aller Umstände für jeden Betrieb einzeln bewertet. Das LAG Hessen erteilt damit Stimmen in der Literatur eine Absage, die eine Eingliederung (nur) in den Betrieb fordern, in welchem der jeweilige Arbeitnehmer schwerpunktmäßig tätig ist (vgl. Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 7 Rn. 34). Es wendet sich mithin auch gegen Stimmen in der Literatur, die die BAG-Rechtsprechung für nicht auf das aktive und passive Wahlrecht übertragbar halten (vgl. Salamon/Iser, NZA 2023, 200, 205 f.).

Für die Bewertung, ob der Arbeitgeber mit dem Einsatz des Matrixmanager in einem anderen Betrieb dessen arbeitstechnischen Zweck verfolge, stellt das LAG Hessen klar, dass dies nicht zwingend die disziplinarische Verantwortung der Führungskraft erfordern könne, sondern fachliche Weisungsbefugnisse ausreichen würden. Denn von einer Eingliederung in den Betrieb könne regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Matrixmanager regelmäßig mit den Arbeitnehmern des Betriebs zusammenarbeite und im Rahmen dessen seine fachlichen Weisungsbefugnisse wahrnimmt. Unbeachtlich sei ferner die tatsächliche Anwesenheit vor Ort, auch wenn diese ein gewichtiges Indiz für die Eingliederung in den Betrieb darstelle. 

Das bejahte das LAG hier: Im streitgegenständlichen Fall führten die Matrixmanager die Arbeitnehmer im Betrieb unstreitig in fachlicher Hinsicht und waren damit nach Ansicht des LAG in die Erfüllung der operativen Aufgaben und Arbeitsprozesse des Betriebs eingebunden. Unschädlich war sowohl die fehlende disziplinarische Befugnis der Matrixmanager zur Ermahnung, Abmahnung oder Kündigung der Arbeitnehmer als auch die fehlende Anwesenheit vor Ort. Das LAG entschied daher, dass die betroffenen Führungskräfte wegen der Matrixstruktur aktiv wahlberechtigt i.S.d. § 7 BetrVG waren. Die Wahl des Betriebsrats konnte nicht angefochten werden.

Die Entscheidung vereinheitlicht zwar die Maßstäbe von § 7 BetrVG und § 99 BetrVG

Die Entscheidung steht im Einklang mit der o.g. Rechtsprechung des BAG zu § 99 BetrVG (vgl. Beschluss v. 12. Juni 2019 – 1 ABR 5 /18) und setzt diese folgerichtig um. Sie gleicht daher – was positiv ist – die Voraussetzung des aktiven Wahlrechts zu Betriebsratswahlen i.S.d. § 7 BetrVG mit denen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats i.S.d. § 99 BetrVG an. 

…. Ist aber dennoch kritisch zu sehen

Bedenklich an dieser Rechtsprechungslinie des BAG ist jedoch, dass sie dazu führt, dass Matrixmanager in diversen Betrieben gleichzeitig eingegliedert sein können. 

Die Rechtsprechung des BAG erodiert damit zunehmend den Betriebsbegriff und schafft in der Praxis einen erheblichen Arbeitsaufwand, obwohl auch Betriebsräte erfahrungsgemäß kein besonderes Interesse daran haben, sich mit Personalien zu beschäftigen, die häufig Mitglieder höherer Leitungsebenen sind und die letztlich – auch örtlich – außerhalb ihres Einwirkungsbereichs liegen. 

Kritisch zu sehen an der Entscheidung des LAG ist ferner der Wertungswiderspruch zu § 7 S. 2 BetrVG, wonach die Wahlberechtigung im Fall der Arbeitnehmerüberlassung erst nach drei Monaten entsteht. Es ist nicht überzeugend, wenn die Wahlberechtigung bei Matrixmanagern, die letztlich weniger stark in die Betriebsabläufe eingegliedert sind und in der Regel nicht vor Ort tätig sind, früher beginnen soll, zumal die meisten Matrixmanager wechselnde Teams führen. 

Unklar ist schließlich, wie sich die Rechtsprechung auf die Wählbarkeit eines Matrixmanagers in den Betriebsrat als Kehrseite des Wahlrechts auswirkt (§ 8 BetrVG). Da Matrixmanager nach dem BAG in mehreren Betrieben eingegliedert sein können, wäre folgerichtig, dass sie auch in mehreren Betrieben in den Betriebsrat gewählt werden könnten – eine mögliche Konsequenz der BAG-Rechtsprechung. 

Die Rechtsbeschwerde zum BAG ist zugelassen worden und unter dem Aktenzeichen 7 ABR 7/24 anhängig, doch vor dem Hintergrund der o.g. BAG-Entscheidung ist nicht zu erwarten, dass die gesetzten rechtlichen Maßstäbe durch das BAG gekippt werden. 

Folgen wohl auch für nationale Konzerne

Auch wenn sich die Entscheidung des LAG auf eine unternehmensinterne Matrixstruktur bezog, dürften die angewendeten Maßstäbe auch auf unternehmensübergreifende Matrixstrukturen, z.B. in einem Konzern, übertragbar sein. Für solche Unternehmen und Konzerne bedeutet die Entscheidung, dass die Tätigkeit eines jeden Matrixmanagers anhand des Aufgabenprofils insbesondere danach zu bewerten ist, 

  • ob die Tätigkeit den Zweck eines anderen Betriebs hinreichend fördert und 
  • der Matrixmanager zumindest fachliche Weisungsbefugnisse auf dortige Arbeitnehmer ausübt,
  • ohne dass es dabei zwingend auf disziplinarische Befugnisse oder eine Tätigkeit vor Ort ankäme. 

Auswirkungen auf internationale Konzerne unklar

Darüber hinaus stellt sich noch die Frage, ob die Maßstäbe für die Eingliederung von Matrixmanagern auch auf internationale Konzerne, insbesondere auf im Ausland tätige Matrixmanager anwendbar sind. 

Die Entscheidungen des BAG und des LAG Hessen lassen keine Einschränkungen auf im Inland tätige Matrixmanager erkennen. Dies zugrunde gelegt, könnten unter den o.g. Voraussetzungen auch im Ausland tätige, bei einer ausländischen Gesellschaft angestellte Matrixmanager in inländischen Betrieben eingliedert und mithin wahlberechtigt und ggf. sogar in den Betriebsrat wählbar sein. Das stünde möglicherweise aber der BAG-Rechtsprechung zur Ausstrahlung des BetrVG auf im Ausland tätige Arbeitnehmer entgegen (vgl. insb. BAG, Urteil v. 24. Mai 2018 – 2 AZR 55/18), sodass unklar bleibt, welche rechtlichen Maßstäbe hier anzuwenden sind.

Abschließend: Welche Handlungspflichten bestehen?

In Bezug auf das Wahlrecht der Matrixmanager dürften die Konsequenzen überschaubar sein. Selbst, wenn Matrixmanagern fälschlicher Weise nicht in die Wählerliste aufgenommen würden, würde daraus nicht zwingend die Unwirksamkeit einer Betriebsratswahl folgen: 

Zum einen dürfte eine solche Wahl nur anfechtbar sein, was innerhalb von zwei Wochen geschehen muss, vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG

Zum anderen müsste der Fehler sich auch auf die Wahl auswirken, d.h. die Möglichkeit eines anderen Wahlergebnisses gegeben sein. Das ist der Fall, wenn es nach allgemeiner Lebenserfahrung und den Umständen des Einzelfalls nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, dass das festgestellte Wahlergebnis durch den Fehler der Wählerliste beeinflusst oder geändert worden wäre. 

Wurden z.B. irrtümlich leitende Angestellte auf eine Wählerliste gesetzt, kommt eine Wahlanfechtung nicht in Betracht, wenn die leitenden Angestellten nicht oder nur in so geringem Umfang an der Wahl teilgenommen haben, dass das Ergebnis der Wahl von ihrer Beteiligung mit Sicherheit nicht beeinflusst werden konnte (vgl. Besgen, in: BeckOK ArbR, § 19 BetrVG Rn. 12). Das könnte auf den hiesigen Fall übertragbar sein.

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