Der Arbeitgeber trägt das Risiko pandemiebedingter Betriebsschließungen und muss arbeitswilligen Beschäftigten für die Zeit einer behördlich angeordneten Betriebsschließung Lohn für ausgefallene Arbeitsstunden zahlen.
„Ohne Arbeit kein Lohn″ – ein Grundsatz im deutschen Arbeitsrecht, von dem im Rahmen verschiedener Lohnfortzahlungspflichten des Arbeitgebers Ausnahmen gemacht werden. Im Zuge der Corona-Pandemie stellt sich Arbeitgebern die Frage, ob sie auch im Fall einer behördlich angeordneten Betriebsschließung zur Lohnfortzahlung verpflichtet sind. Diese Frage ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung nicht im Homeoffice erbringen können und auch kein Kurzarbeitergeld beziehen.
In Betracht kommt eine Lohnfortzahlungspflicht aus § 615 S. 1 BGB i.V.m. § 615 S. 3 BGB, wonach der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls – sog. Betriebsrisiko – trägt. Wann und in welchen Grenzen sich das Betriebsrisiko des Arbeitgebers realisiert, ist gesetzlich nicht geregelt, sondern wird durch die Rechtsprechung geprägt. Nach der bisherigen Rechtsprechung gehören Störungen, bei denen von außen auf Betriebsmittel eingewirkt wird, sowie Fälle höherer Gewalt typischerweise zum Betriebsrisiko. Beispiele sind der Ausfall der Energieversorgung, Mangel an Rohstoffen, Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen, Brände oder extreme Witterungsverhältnisse.
Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der Arbeitsausfall aufgrund einer behördlichen Betriebsschließung dem Betriebsrisiko zuzuordnen ist oder das allgemeine Lebensrisiko betrifft. Das LAG Düsseldorf entschied nun, dass es sich auch bei pandemiebedingten behördlichen Betriebsschließungen um ein Ereignis handelt, bei dem sich das Betriebsrisiko des Arbeitgebers verwirklicht (Urteil vom 30. März 2021 – 8 Sa 674/20). Soweit ersichtlich ist dies das erste landesarbeitsgerichtliche Urteil zu dieser Frage.
Betriebsschließung aufgrund behördlicher Anordnung
Eine Arbeitnehmerin war seit dem 1. April 2016 bis zum 30. April 2020 in einer Spielhalle auf Stundenlohnbasis beschäftigt. Die Arbeitgeberin war zunächst auf Grund behördlicher Allgemeinverfügung gezwungen, ihren Spielhallenbetrieb ab dem 16. März 2020 zu schließen. Kurze Zeit später untersagte § 3 Abs. 1 Nr. 6 der Coronaschutzverordnung NRW (CoronaSchVO) ab dem 22. März 2020 den Betrieb von Spielhallen.
Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund des Eintritts der Arbeitnehmerin in den Ruhestand am 1. Mai 2020, weshalb sie während der Schließung der Spielhalle kein Kurzarbeitergeld beziehen konnte. Die Arbeitgeberin hatte für den Zeitraum März und April 2020 staatliche Ausgleichszahlungen in Höhe von EUR 15.000 erhalten.
Die Arbeitnehmerin forderte von ihrer Arbeitgeberin Annahmeverzugslohn für insgesamt 62 ausgefallene Arbeitsstunden im April 2020. Sie meinte, die Arbeitgeberin trage auch in der Pandemie das Betriebsrisiko. Dem hielt die Arbeitgeberin entgegen, dass der Lohnausfall zum allgemeinen Lebensrisiko der Arbeitnehmerin gehöre. Schließlich habe sie – die Arbeitgeberin – die Arbeitskraft aufgrund der behördlich veranlassten Betriebsschließung nicht annehmen können.
Pandemiebedingte Betriebsschließung zählt zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers
Das LAG Düsseldorf bestätigte die vorinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Wuppertal und sprach der Arbeitnehmerin die geforderte Vergütung für die ausgefallenen 62 Arbeitsstunden – bestehend aus Grundvergütung, Nacht- und Sonntagszuschlägen für die geplanten Schichten – gemäß § 615 S. 1 BGB i.V.m. § 615 S. 3 BGB zu.
Die Arbeitgeberin habe sich aufgrund der behördlich angeordneten Schließung des Spielhallenbetriebs im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befunden. Nach der gesetzlichen Wertung des § 615 S. 3 BGB trage der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Hierunter seien Ursachen zu fassen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern würden.
Das LAG Düsseldorf greift die bisherige Rechtsprechung auf, wonach das Betriebsrisiko Fälle höherer Gewalt erfasst. Um ein solches Ereignis handele es sich auch bei der aktuellen Pandemie. Dass die durch die CoronaSchVO bedingte staatliche Schließung dieses Risiko zu Lasten der Spielhalle verwirklichte, ändere daran nichts. Auch eine durch eine Pandemie begründete Betriebsschließung zähle nach Auffassung des LAG Düsseldorf zum Betriebsrisiko im Sinne von § 615 S. 3 BGB. Mangels klarer Abgrenzbarkeit sei nicht darauf abzustellen, ob die Schließung eine gesamte Branche, die zunächst als solche abzugrenzen wäre, oder nur einzelne Betriebe dieser Branche, ggf. bundesweit, nur in einzelnen Ländern oder aber örtlich begrenzt erfasse. Es könne daher nicht auf die Reichweite des behördlichen Verbots abgestellt werden.
Das allgemeine Lebensrisiko wäre allenfalls betroffen, wenn die Klägerin ihre Arbeitskraft überhaupt nicht mehr hätte verwerten können. So lag es hier nicht.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision wurde zugelassen.
Keine überraschende Entscheidung
Die Entscheidung ist an und für sich wenig überraschend. Bereits vor der Entscheidung des LAG Düsseldorf sprachen sich in der Literatur viele Stimmen für ein Betriebsrisiko des Arbeitgebers im Falle behördlich angeordneter Betriebsschließungen aus. Begründet wurde dies insbesondere mit den Voraussetzungen des Annahmeverzugs, die unproblematisch vorlägen: Der Arbeitnehmer wäre nämlich in der Lage seine Arbeitsleistung – wäre der Betrieb nicht geschlossen – zu erbringen. Dies könne man nur bei einem kompletten „Lockdown″ anders sehen, d.h. in einer Situation, in der niemand mehr aus dem Haus darf und ein Arbeitnehmer dementsprechend seine Arbeitskraft auch nicht anbieten könne. Ferner spräche der arbeitsrechtliche Schutzgedanke dafür, dass selbst dort, wo der Betrieb durch ein unvorhersehbares, aus der neutralen Sphäre stammendes Ereignis blockiert wird, der Arbeitgeber den Lohn fortzuzahlen habe. Schließlich seien auch Ansteckungsgefahren aufgrund von persönlichen Kontakten im Betrieb oder aufgrund Publikumsverkehrs betriebliche Risiken.
Wie der Presse zu entnehmen ist, äußerte sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Februar 2020 bereits dahingehend, dass behördliche Betriebsschließungen zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehören.
Vor diesem Hintergrund könnte man zwar kritisieren, dass die Betriebsstörung durch eine behördliche Verfügung mit Fällen der höheren Gewalt gleichgesetzt wird. Da jedoch der Auslöser für die behördliche Entscheidung ein pandemisches Virus ist, das wiederum von den Behörden in seiner Ausbreitung – wie man leider feststellen muss – nur bedingt kontrollierbar ist, bleibt mit Spannung zu erwarten, wie das Bundesarbeitsgericht oder andere Gerichte entscheiden werden.
Vor allem Betriebe ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld betroffen
Bis zu einem rechtskräftigen Urteil müssen Arbeitgeber mit einer gewissen Rechtsunsicherheit leben und entscheiden, wie sie mit der Entscheidung des LAG Düsseldorf umgehen. Für bestimmte Branchen wie z.B. Einzelhandel, Hotellerie und Gastronomie kann dieses Urteil große Bedeutung haben, da dort zahlreiche Arbeitnehmer mit einem „450-Euro-Job″ beschäftigt werden, die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, gleichzeitig aber in erheblichem Umfang von behördlichen Betriebsschließungen betroffen sind.