3. Mai 2021
Konzernprivileg Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitsrecht

Das Konzernprivileg gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – ein Buch mit sieben Siegeln?

Eine Arbeitnehmerüberlassung im Konzern ist privilegiert; das AÜG findet nur sehr eingeschränkt Anwendung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG). Jedoch ist umstritten, ob die Vorschrift überhaupt wirksam ist und wie die tatbestandlichen Anforderungen auszulegen sind.

In § 1 Abs. 3 AÜG hat der Gesetzgeber Privilegierungen geschaffen, bei denen de facto eine Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird, die jedoch von der Anwendung der wesentlichen Bestimmungen des AÜG befreit werden. Im Rahmen der AÜG-Reform 2017 wurde der Katalog in § 1 Abs. 3 AÜG auf insgesamt sechs Tatbestände erweitert. U.a. wurde die gerade im öffentlichen Dienst verbreitete Personalgestellung auf Grundlage des TVöD erfasst. 

Für die Praxis ist insbesondere das sog. Konzernprivileg nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG von Interesse. Eine solche liegt vor, wenn eine Überlassung zwischen Konzernunternehmen nach § 18 AktG erfolgt und der eingesetzte Mitarbeiter* nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Wie dieser Tatbestand im Einzelnen ausgelegt wird, ist in der Praxis – auch mangels höchstrichterlicher Entscheidungen – hoch umstritten. 

Vor diesem Hintergrund verdient ein Urteil des LAG Düsseldorf Aufmerksamkeit, das sich mit einem Fall befassen musste, in dem es – neben der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werk-/Dienstvertrag – ergänzend um die um Anwendung des Konzernprivilegs gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ging (Urteil v. 25. Januar 2021 – 9 Sa 536/20).

Konzernprivileg als Möglichkeit, auf Personalschwankungen im Konzern zu reagieren

Das LAG Düsseldorf führt aus, es gebe Bereiche, in denen es der Beschränkungen und Kontrollen nach dem AÜG nicht bedürfe, da eine Gefährdung der sozialen Sicherheit der Zeitarbeitnehmer und eine Störung des Arbeitsmarkts ausgeschlossen werden könne. Insofern seien in § 1 Abs. 3 AÜG sechs Fälle geregelt, in denen zwar tatbestandlich eine Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit vorliege, der Gesetzgeber jedoch angeordnet habe, dass die Vorschriften des AÜG grundsätzlich keine Anwendung fänden. 

Es handele sich um eine gesetzliche Fiktion; inhaltlich gehe es um Fälle der Arbeitnehmerüberlassung. Das AÜG finde nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 AÜG keine Anwendung, wenn ein Unternehmen Arbeitnehmer an ein anderes Unternehmen desselben Konzerns überlasse und der Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt werde. Das Konzernprivileg solle zwischen konzernverbundenen Unternehmen Flexibilität schaffen, z.B. um auf einen schwankenden Personalbedarf reagieren zu können.

Kein Konzernprivileg, sobald ein Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird

Auch wenn sich die Formulierung seit dem 1. Dezember 2011 geändert habe, solle die Ausnahmeregelung nach Ansicht des LAG Düsseldorf weiterhin den vorübergehenden Einsatz von Arbeitnehmern bei anderen Konzernunternehmen ohne Überlassungserlaubnis ermöglichen. 

Durch das Konzernprivileg würden dagegen dauernde Entsendungen von Arbeitnehmern von einem Konzernunternehmen zu einem anderen bzw. reine Verleihunternehmen in einem Konzern nicht von der Anwendung des AÜG ausgenommen. Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen durch Personalführungsgesellschaften sollten nicht privilegiert werden. 

Aufgrund der Formulierung des Gesetzes komme es nicht allein auf den bei Abschluss des Arbeitsvertrags festgelegten Leistungsinhalt an, sondern auch darauf, dass der Arbeitnehmer später nicht zum Zwecke der Überlassung beschäftigt werde. Damit scheide die Anwendung des Konzernprivilegs aus, wenn der Arbeitgeber das Ziel habe, den Arbeitnehmer ausschließlich an andere Konzernunternehmen zu überlassen, ohne jemals wieder bei dem Vertragsarbeitgeber (Verleiher) tätig zu werden. Dabei sei es unerheblich, ob dies bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geplant gewesen sei oder sich dieser Umstand erst später nach der Einstellung ergeben habe. Werde der Arbeitnehmer dagegen auch (aber nicht ausschließlich) zum Zwecke der Überlassung eingestellt oder beschäftigt, sei dies unschädlich und wie bisher erlaubnisfrei möglich.

In dem Fall bejahte LAG Düsseldorf die Anwendung des Konzernprivilegs. U.a. aufgrund des vorliegenden schriftlichen Arbeitsvertrages sei offensichtlich ein Arbeitseinsatz für die X GmbH geplant gewesen. Insoweit seien sämtliche vertraglichen Regelungen auf einen originären Arbeitseinsatz bei der X GmbH gerichtet. Dies zeige insbesondere die Regelung zum Arbeitsort, der sich ausdrücklich auf den Bereich des Standortes der X GmbH beziehe. 

Vereinbarkeit des Konzernprivilegs mit Europarecht in der Literatur umstritten, in der Rechtsprechung bisher nicht vertieft diskutiert

Bislang nicht abschließend geklärt ist die Wirksamkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG

Die überwiegende Ansicht in der Literatur vertritt die Ansicht, dass das Konzernprivileg gegen europarechtliche Vorgaben aus der Zeitarbeitsrichtlinie verstoße (vgl. nur: Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 668 m.w.N.; a.A. Ulrici, § 1 AÜG Rn. 23). Letztlich dürfte sich für die Praxis zwar eine im Ergebnis müßige Diskussion um die Europarechtskonformität des Konzernprivilegs (oftmals) erübrigen, da die maßgeblichen Behörden (insbesondere die BA und der Zoll) die Vorschrift als geltendes Recht anwenden müssen. So findet sich in den für die BA maßgeblichen FW AÜG kein Hinweis darauf, dass diese die Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG aufgrund der in der Literatur geführten Diskussion um die Vereinbarkeit mit der Zeitarbeitsrichtlinie in Abrede stellt (vgl. § 1 Ziff. 1.4.2, S. 30 f. FW AÜG).

Auch die mit dem Konzernprivileg schon befassten Gerichte haben sich bislang nicht bzw. nicht vertiefend mit dieser Frage auseinandergesetzt, sondern haben § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG angewendet (vgl. Thür. LAG, Urteil v. 12. April 2016 – 1 Sa 284/15, das auf eine europarechtliche Anfälligkeit hinweist und sodann ausdrücklich feststellt, dass die Norm gilt, da sich der Gesetzgeber nicht zu einer Streichung entschlossen hat; s. auch offenlassend: BAG, Urteil v. 20. Januar 2015 – 9 AZR 735/13; LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11. Februar 2016 – 3 TaBV 2/14). 

Wann wird Arbeitnehmer „zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt und beschäftigt″?

Neben der geschilderten allgemeinen europarechtlichen Problematik ist mit Blick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen streitig, ob bzw. wann die zu überlassenden Arbeitnehmer

nicht zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt und beschäftigt 

werden. 

Zunächst besteht weitgehende Einigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum, dass das „und″ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG aus Schutzerwägungen wie ein „oder″ auszulegen ist (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11. Februar 2016 – 3 TaBV 2/14; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 347; Lembke, BB 2012, 2499; Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 645). Der Wortlaut des Gesetzes ist daher wie folgt zu lesen: der Arbeitnehmer darf „nicht zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt oder beschäftigt″ worden sein. Diese Auslegung wird in der Literatur nicht ernsthaft bezweifelt, da ansonsten eine Umgehung der begrenzenden Tatbestände ohne weiteres möglich wäre, indem ein Mitarbeiter zunächst nicht als Zeitarbeitnehmer eingestellt würde, aber im Nachgang einvernehmlich zwischen den Parteien eine Ergänzungsvereinbarung getroffen wird, dass ein Einsatz im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung erfolgen kann und auf dieser Grundlage eine ständige Beschäftigung als Zeitarbeitnehmer vorgenommen wird. Problematisch ist auf dieser Grundlage dann insbesondere, wann eine Beschäftigung als Zeitarbeitnehmeri.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 2 APG vorliegt; dies gilt gerade bei längerfristigen oder häufigen Einsätzen. Das Meinungsbild in der Literatur ist dabei als „vielschichtig″ und damit als wenig klar zu bezeichnen:

Nach der engsten Ansicht darf der Mitarbeiter „überhaupt nicht″ (vgl. Sandmann/Marschall/Schneider, Art. 1 § 1 AÜG Rn. 130; Ulber, § 1 AÜG Rn. 474 f.), oder „nicht ausschließlich″ (vgl. Boemke/Lembke, § 1 AÜG Rn. 646; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 348 m.w.N.; BeckOK/Kock, § 1 AÜG Rn. 222; Forst, ZESAR 2011, 319) tätig bzw. beschäftigt werden. 

Der Mitarbeiter wird nach einer weiteren Auffassung in der Literatur nicht zum Zweck der Beschäftigung als Zeitarbeitnehmer tätig, wenn der das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Überlassung rechtlich oder tatsächlich prägende regelmäßige Beschäftigungszweck nicht die Tätigkeit unter dem Weisungsrecht eines Dritten, sondern die Tätigkeit unter dem Weisungsrecht des Überlassenden umfasst (vgl. Ulrici, § 1 AÜG Rn. 163; in diesem Sinne auch: Thür. LAG v. 12.04.2016 – 1 Sa 284/15). 

Andere Autoren lesen in das Merkmal der „Beschäftigung als Zeitarbeitnehmer″ eine zeitliche Komponente hinein (vgl. Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 650 ff.). Ein Arbeitnehmer wird danach grundsätzlich nicht zum Zweck der Überlassung beschäftigt, wenn der Einsatz – bezogen auf den Beginn der konkreten Überlassung – von vornherein zeitlich begrenzt ist. Es kommt dabei nicht auf die tatsächliche Dauer der Überlassung an, sofern der Arbeitnehmer seine Arbeit normalerweise bei seinem vertraglichen Arbeitgeber erbringt und nur anlassbezogen einer anderen Konzerngesellschaft für eine begrenzte Dauer zur Arbeitsleistung überlassen wird. 

Aufgrund der facettenreichen Ansichten, die in der Literatur zur Auslegung des Merkmals „Beschäftigung als Zeitarbeitnehmer″ vertreten werden, steigt naturgemäß das Risiko, außerhalb des Anwendungsbereiches von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG zu agieren, wenn mit Mitarbeitern längerfristige oder kürzere, aber häufigere Einsätze als Zeitarbeitnehmer durchgeführt werden. Eine fixe Grenze, die die Unzulässigkeit der Konzernüberlassung markieren würde, ist gesetzlich allerdings nicht vorgesehen. In Anbetracht der Unsicherheiten, die mit der Auslegung von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG verbunden sind, ist zu empfehlen, von dem Konzernprivileg nur dosiert Gebrauch zu machen.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitnehmerüberlassung Konzernprivileg