8. August 2025
Bundestariftreuegesetz
Arbeitsrecht

Der Aktuelle Gesetzesentwurf zum Bundestariftreuegesetz – Ein Update

Unternehmen, die an Vergabeverfahren des Bundes partizipieren möchten, müssen künftig, zumindest in Teilen, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einhalten.

Das Thema Tariftreuegesetz kehrt zurück auf die bundespolitische Bühne – nach dem Zerbrechen der Ampel-Regierung hat das Bundeskabinett am 6. August 2025 den von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas und Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche vorgelegten Gesetzesentwurf verabschiedet. Zwar orientiert sich der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung in weiten Teilen an den bereits bekannten Regelungen und Vorschlägen früherer Entwürfe, doch enthält er auch mehrere inhaltliche Anpassungen und Klarstellungen, die nicht unerheblich sind. Im Folgenden werden die zentralen Neuerungen und Modifikationen im Vergleich zu früheren Fassungen dargestellt. 

Mit dem Bundestariftreuegesetz wird die Einhaltung von Tarifverträgen zur Bedingung für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf Bundesebene. Bezweckt werden soll eine Stärkung der Tariftreue und Tarifautonomie und damit die Gewährleistung „fairer Löhne“ in Deutschland.

Unveränderter Auftragswert – Start-up-Regelung fehlt

Der im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung bereits vorgesehene Auftragswert für die Anwendung der Vergabebedingungen von mindestens EUR 50.000 ohne Umsatzsteuer wurde im aktuellen Gesetzesentwurf beibehalten. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung war damals eine Privilegierung von Start-Ups durch die Erhöhung des Mindestwertes auf EUR 100.000 vorgesehen. 

Eine solche Erleichterung für Start-Ups enthält der aktuelle Entwurf nicht mehr. Zudem wurde der Anwendungsbereich präzisiert: Das Gesetz erfasst auch Direktaufträge ab einem geschätzten Auftragswert von EUR 100.000 der Sicherheitsbehörden für Liefer-, Bau- und Dienstleistungen, welche unmittelbar der zivilen Verteidigung, der inneren Sicherheit, dem Katastrophenschutz oder nachrichtendienstlichen Zwecken dienen.

Das „Tariftreueversprechen“ bleibt weitestgehend unverändert

Das Tariftreueversprechen verpflichtet Bundesauftraggeber* dazu, ihren Auftragnehmern sowie deren Nachunternehmern und beauftragten Verleihern verbindlich vorzuschreiben, den eingesetzten Arbeitnehmern für die Dauer ihrer Mitwirkung an der Leistungserbringung mindestens die Arbeitsbedingungen zu gewähren, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) durch Rechtsverordnung festgelegt hat. Die Einhaltung dieser Bedingungen ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. In dieser Hinsicht ergeben sich keine Neuerungen gegenüber dem alten Entwurf.

Der neue Gesetzesentwurf beinhaltet jedoch – anders als der Entwurf der Vorgängerregierung – eine Abgrenzung in Bezug auf Zulieferer. Zulieferer im Sinne des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (zur Haftung nach dem LkSG: Verantwortung der Geschäftsleitung für Nachhaltigkeit in Lieferketten) gelten künftig nicht automatisch als Nachunternehmer. Für sie haftet der Auftragnehmer insoweit nicht, es sei denn, sie erfüllen eigene Verpflichtungen des Auftragnehmers.

Der Schutz der Arbeitnehmer wird ausgebaut

Die neue Fassung des § 4 BTTG-E enthält außerdem mehrere neue Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer: Neben dem (gleich gebliebenen), eigenen und unmittelbaren Anspruch der Arbeitnehmer auf Gewährung der festgesetzten Arbeitsbedingungen gegen den Arbeitgeber enthält der aktuelle Gesetzesentwurf nun auch eine Regelung zu Verzicht, Verwirkung und Ausschlussfristen. Ein Verzicht auf bestehende Ansprüche ist danach nur im Rahmen eines von den Tarifvertragsparteien genehmigten Vergleichs zulässig. Eine Verwirkung der Ansprüche ist ausgeschlossen. Darüber hinaus dürfen Ausschlussfristen ausschließlich im Tarifvertrag enthalten sein, der der jeweiligen Rechtsverordnung zugrunde liegt. 

Der Gesetzesentwurf enthält ferner eine Informationspflicht für Arbeitgeber, nach der dieser Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer über das Bestehen des Anspruchs auf Gewährung der festgesetzten Arbeitsbedingungen in Kenntnis zu setzen hat. Dafür stellen die Bundesauftraggeber den Auftragnehmern einen Vordruck zur Verfügung. Die Informationspflicht trifft den Arbeitgeber – der Auftragnehmer hat jedoch die Umsetzung dieser Informationspflicht durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen.

Die Festsetzung der verbindlichen Arbeitsbedingungen durch Rechtsverordnung erfolgt weiterhin auf Antrag einer Gewerkschaft oder einer Arbeitnehmervereinigung

Damit senkt auch der aktuelle Entwurf die Hürden für die Ausweitung einer (mittelbaren) Tarifbindung unter diejenigen der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) bzw. der Erstreckungserklärung nach § 7 AEntG. Einschränkend ist lediglich vorgesehen, dass das BMAS eine Rechtsverordnung dann nicht erlassen soll, wenn kein öffentliches Interesse an dem Erlass besteht. Außerdem soll es keine Vorgabe zu Urlaub und Arbeitszeit für solche Aufträge oder Konzessionen geben, bei denen eine Auftragsdauer von nicht mehr als zwei Monaten vereinbart oder geschätzt worden ist.

Der neue Gesetzesentwurf beinhaltet die Einrichtung einer sog. Clearingstelle

Diese soll aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (§ 12 TVG) bestehen. Deren Stellungnahmen und Empfehlungen soll das BMAS künftig vor dem Erlass einer Rechtsverordnung berücksichtigen. Den sonstigen relevanten Akteuren – insbesondere Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Tarifparteien – wird die Möglichkeit eingeräumt, vorab eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Aus stichprobenartiger Kontrolle wird anlassbezogene Kontrolle

Anders als noch im ursprünglichen Arbeitsentwurf der Ampelregierung vorgesehen, sollen die Kontrollen, ob ein Auftragnehmer sein Tarifversprechen wahrt und ein Arbeitgeber seine Pflichten erfüllt, nicht mehr stichprobenartig durch die Vergabestellen erfolgen. Stattdessen wird eine Prüfstelle Bundestariftreue bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See eingerichtet, die (nur) bei hinreichenden Anhaltspunkten für einen Verstoß tätig wird. Dieses neue Durchsetzungsregime soll bei der Feststellung von Verstößen Verwaltungsakte erlassen – es wird somit nicht mehr der Bundesauftraggeber tätig, wie es im vorherigen Referentenentwurf vorgesehen war.

Zu den feststellbaren Pflichtenverstößen haben sich kaum inhaltliche Änderungen ergeben. § 13 BTTG-E verweist nunmehr ausdrücklich darauf, dass ein Verstoß durch Verwaltungsakt festgestellt wird, wenn er durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten einer natürlichen Person in leitender Position verursacht wurde, welches dem Arbeitgeber oder Auftragnehmer zuzurechnen ist. Hier wird die Umsetzung der Regelungen in der Praxis abzuwarten sein. Neu eingeführt werden soll eine Verjährungsfrist von drei Jahren nach Ende der Leistungspflicht.

Dokumentations- und Vorlagepflichten

Neuerungen haben sich schließlich in Bezug auf die Nachweispflichten ergeben. Anders als zuvor ist die Dokumentationspflicht der Nachunternehmer weggefallen. Gleiches gilt in Bezug auf die Vorlageplicht. Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht diese Pflichten aber weiterhin für die Auftragnehmer vor. Die bürokratischen Anforderungen bleiben also.

Konsequenzen bei Verstößen gegen das Bundestariftreuegesetz 

Wie bereits im damaligen Arbeitsentwurf vorgesehen, beinhaltet auch der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung eine Regelung zu einer Vertragsstrafe sowie ein Recht zur außerordentlichen Kündigung der Auftragsbeziehung. Nun wurde die zuvor offen formulierte Vertragsstrafe konkret beziffert: sie darf maximal 1 % des Auftragswerts pro Verstoß und maximal 10 % bei mehreren Verstößen betragen. Verwirkt ist die Vertragsstrafe erst, wenn ein Pflichtenverstoß festgestellt wurde – nicht bereits bei schuldhafter Verletzung der Pflichten, wie es noch der Referentenentwurf vorsah. Außerdem ist sowohl die Regelung zur Vertragsstrafe als auch zum außerordentlichen Kündigungsrecht im neuen Entwurf nur noch als Soll-Vorschrift ausgestaltet.

Möglichkeit des Haftungsausschlusses bei Zertifizierung

Die grundsätzliche Haftung des Auftragnehmers für die Zahlungspflichten seiner Nachunternehmer und deren Verleiher im Hinblick auf das Nettoentgelt bleibt weiterhin bestehen (sog. Nachunternehmerhaftung – und ergibt sich aktuell bereits weitestgehend aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz). Die neue Fassung des Gesetzesentwurfs sieht nun eine eng umgrenzte Möglichkeit eines Haftungsausschlusses vor: Danach entfällt die Haftung des Auftragnehmers, wenn er durch eine Zertifizierung des Nachunternehmers – ein vorgelagertes Prüfverfahren zur Bestätigung der Einhaltung der einschlägigen Tarifstandards – die grundsätzliche Einhaltung der Arbeitsbedingungen durch diesen nachweist und über das Vermögen des Nachunternehmers oder Verleihers kein Insolvenzverfahren eröffnet ist. In der Regel wird der Haftungsausschluss daher für den Auftragnehmer keine Erleichterung bringen, da die Haftungsinanspruchnahme häufig gerade im Insolvenzfall des Nachunternehmers relevant wird. 

Folge von Verstößen ist weiterhin der mögliche Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren, soweit durch Verwaltungsakt ein Verstoß gegen die Vorschriften des BTTG-E festgestellt wurde. Bußgeldvorschriften sieht die neue Fassung des BTTG-E nicht vor. Diese mögen sich aber in der konkreten Situation aus anderen Gesetzen (etwa dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz) ergeben.

Kritik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Gesamtverbands der Personaldienstleister

Der aktuelle Gesetzesentwurf erfährt deutliche Kritik: So sieht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in dem Gesetz ein „bürokratisches Tarifzwangsgesetz“, welches sowohl Tarifautonomie als auch die Wirtschaft in unnötiger Weise belaste. 

Das Gesetz zwinge Unternehmen, bestimmte Tarifverträge anzuwenden, um öffentliche Aufträge zu erhalten. Dies führe zu einer Verdrängung und Entwertung bestehender Tarifverträge. Mit dem Gesetz würden zudem Anreize für einen Beitritt der Arbeitnehmer in eine Gewerkschaft genommen, was die Tarifbindung schwäche. 

Zudem wird die Notwendigkeit für das Bundestariftreuegesetz durch die BDA in Frage gestellt. Die mit dem Gesetz angestrebten Schutzmechanismen für Arbeitnehmer wären bereits durch bestehende Gesetze wie das Mindestlohngesetzdas Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz abgedeckt. 

Ähnlich kritisch positioniert sich der Gesamtverband der Personaldienstleister e.V. (GVP). Auch wenn der GVP die angestrebten Ziele befürwortet, lehnt er den im Gesetzesentwurf gewählten Ansatz entschieden ab. Die vorgesehenen Regelungen führten dazu, dass Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche – trotz einer Tarifbindung von rund 90 % – nicht als gleichwertig anerkannt und gegenüber anderen Branchentarifverträgen benachteiligt würden. Tarifgebundene Personaldienstleister würden damit zur Anwendung von Tarifverträgen anderer Branchen gezwungen, was der Tarifautonomie widerspräche; „das Tarifwerk der Zeitarbeitsbranche werde erneut zu einem Tarifvertrag „zweiter Klasse“ gemacht.“ Die Tarifautonomie schütze im Übrigen auch die Nichtanwendung von Tarifverträgen. 

Übereinstimmende Kritik äußern die Verbände hinsichtlich der durch das Gesetz weiteren bürokratischen Anforderungen 

Statt Entlastung und Bürokratieabbau bringe der Entwurf neue Hürden wie Clearing- und Prüfstellen sowie zusätzliche Dokumentations- und Nachweispflichten mit sich. Dies treibe die Kosten für Unternehmen in die Höhe und belaste insbesondere kleine und mittlere Betriebe, die den mit der öffentlichen Auftragsvergabe verbundenen Aufwand nicht leisten könnten. Ergebnis sei eine verringerte Zahl an Bietern bei öffentlichen Aufträgen, wobei es schon jetzt bei rund 30 % der Ausschreibungen nur einen Bewerber gebe.

Nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Unternehmen, die an Vergabeverfahren teilnehmen oder dies beabsichtigen, sollten daher möglichst früh die potenziell einschlägigen Tarifverträge und die durch das BMAS festgesetzten Arbeitsbedingungen identifizieren und ihre eigenen Arbeitsbedingungen entsprechend überprüfen. Für den (vorübergehenden) Einsatz von Mitarbeitenden in Projekten beauftragt durch den Bund mag die (zeitlich befristete) Anpassung von Arbeitsbedingungen notwendig werden. Darüber hinaus sind die Compliance-Strukturen im Hinblick auf die neben § 14 AEntG nun auch im Bundestariftreuegesetz enthaltene Nachunternehmerhaftung zu überprüfen, um die Einhaltung der festgesetzten Arbeitsbedingungen (auch durch die eingesetzten Nachunternehmer) gewährleisten zu können.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitnehmerentsendegesetz Arbeitsrecht Bundestariftreuegesetz Mindest-Arbeitsbedingungen Nachunternehmerhaftung Tarifbindung Vergabeverfahren