22. November 2018
Digitalisierung Arbeitswelt
Arbeitsrecht TMC – Technology, Media & Communications

Digitalisierung in der Arbeitswelt – Die Lücke zwischen Rechtslage und Realität

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt täglich und der Gesetzgeber lässt jeden Tag neue Chancen verstreichen.

Wie die Digitalisierung die Arbeitswelt täglich verändert und der Gesetzgeber jeden Tag neue Chancen verstreichen lässt. Digitalisierung bedeutet, dass die Menge an Daten und Informationen zunimmt und Kommunikation global und in Echtzeit stattfindet. Es erfolgt eine zunehmende Vernetzung von Wissen und Prozessen und damit auch von Menschen. Durch den verstärkten Einsatz intelligenter IT-Systeme, Big Data Analysen und vernetzter Maschinen entstehen für Unternehmen neue Chancen. Effizienzsteigerung, Kostenersparnis und das Entstehen neuer Geschäftsmodelle sind nur drei der Vorteile technischer Innovationen im Unternehmen.

Beim digitalen Wandel geht es aber nicht allein um digitale Technologien und Prozesse, sondern auch um die Veränderung, wie Menschen leben und arbeiten. Untrennbar mit der Technisierung verbunden ist damit der Wandel der Arbeitswelt der Zukunft. Ein digitaler Arbeitsplatz kann überall sein und gearbeitet werden kann immer. Agile Unternehmensstrukturen lassen die früher klar abgesteckten Hierarchieebenen verblassen. Jobanforderungen unterliegen einem Wandel. In digitalen Zeiten müssen Unternehmen und Mitarbeiter schnell, global vernetzt, flexibel und innovativ sein.

Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt

Die Digitalisierung führt im Dienstleistungssektor dazu, dass neue Geschäftsmodelle entstehen. Das sind in erster Linie Dienstleistungsmodelle, die auf der Basis von Datenverarbeitung entstehen. Statt Gegenstände zu erwerben, werden diese geteilt („Sharing Economy″). Von einem ähnlichen Leitmotiv gehen auch immer mehr Arbeitgeber aus. Statt verstärkt Arbeitnehmer mit entsprechenden Kenntnissen einzustellen, wird das Know-how bei Bedarf hinzugekauft („Work on demand″, „Crowdworking″).

Rationalisierungsprozesse finden verstärkt bei Back-Office-Tätigkeiten statt; dort sind durch intelligente Algorithmen immer weniger Materialien und händische Prozesse notwendig („Entstofflichung″), um die wirtschaftliche Funktion der Leistung zu erfüllen („doing more with less″). So ist z.B. eine manuelle Eingabe von Daten und ein anschließendes Ausdrucken und Abheften nicht mehr erforderlich, wenn der intelligente Algorithmus die Daten eigenständig überträgt, digital ablegt und automatisch verarbeitet.

Im Industriebereich ist die sog. „Robotisierung″ kennzeichnend. Intelligente Maschinen übernehmen immer mehr Aufgaben von Arbeitnehmern im Produktionssektor oder arbeiten mit diesen als „Cobots″ Hand-in-Hand. Dies ist zwar lediglich eine Fortentwicklung des Fließbandes und ein seit Jahrzehnten bereits bestehender Prozess, doch erlangen die Maschinen durch ihre Vernetzung und ihre Schwarmintelligenz inzwischen Fähigkeiten, durch die sie auch komplexere Tätigkeiten bewältigen können.

Veränderte Jobstrukturen

Trotz der Ersetzung menschlicher Arbeitsplätze durch intelligente Algorithmen und Produktionsroboter werden nach wie vor neue Arbeitsplätze entstehen. Dabei entstehen komplett neue Berufsbilder (wie „Crowdworker“ oder „Data Scientist“). Von einem möglichen Jobverlust werden insbesondere Arbeitnehmer betroffen sein, die einfache und/oder routinemäßige Tätigkeiten ausüben („everything a 6 year old could do″). Dabei muss man nicht zwischen körperlicher und kognitiver Arbeit, sondern in erster Linie zwischen routinemäßiger und nicht-routinemäßiger Arbeit differenzieren. Routinemäßig durchgeführte Tätigkeiten können zunehmend von künstlicher Intelligenz (KI) erledigt werden, während kreative Tätigkeiten nach wie vor den Menschen vorbehalten bleiben.

So können bereits heute Sprachroboter in einem Call-Center telefonische Kundenreklamationen annehmen und teilweise bearbeiten. In vielen, insbesondere industriellen Bereichen, wird die Digitalisierung als schleichender Prozess wahrgenommen, während sich in anderen Branchen der Umbruch radikal auswirkt. Zudem werden verstärkt Tätigkeiten, die nicht den Kernkompetenzen des Unternehmens entsprechen, outgesourct.

Neue Strukturen im Unternehmen

Um zugleich kreative Ansätze zu fördern und Kosten zu sparen, binden immer mehr Unternehmen externe Dritte in ihre Projekte ein. Sie binden Hobby-Programmierer (Prosumers) beim Programmieren ein und schreiben zahlreiche Tätigkeiten im Internet aus (Crowdworking). Ferner wickeln sie mit Kunden (bei Open Innovation-Modellen) oder Konkurrenten Projekte ab. Insgesamt wird die Anzahl virtueller Arbeitsgruppen bestehend aus externen Mitarbeitern anhand eines grob umrissenen Projektplans einzelne im Voraus zu definierenden Aufgaben abarbeiten.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht besteht bei Einbindung Externer das Risiko von Scheinselbstständigkeit. Die Abgrenzung zwischen einem digital arbeitenden Arbeitnehmer und einem Selbstständigen wird immer schwieriger. Viele der gängigen Abgrenzungskriterien sind nicht mehr zeitgemäß, um eine trennscharfe Abgrenzung vorzunehmen. Deutlich wird dies insbesondere in der Gig Economy.

Digitalisierung der Arbeitswelt zwingt zum Handeln

An die neu entstehenden Strukturen des Arbeitsmarktes müssen sich Unternehmen, Führungskräfte, Selbstständige und Arbeitnehmer in unterschiedlicher Form anpassen.

To Do’s für Unternehmen

Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie in einer schnelllebigen Arbeitswelt in technische Innovation investieren und ihr Geschäftsmodell in regelmäßigen Abständen hinterfragen müssen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Konkurrenzfähig zu bleiben bedeutet auch, sich auf das Motivieren von Arbeitnehmern zu konzentrieren. Insbesondere die jüngeren, gut ausgebildeten digitalen Arbeitnehmer lassen sich nicht mehr alleine mit einer großzügigen Vergütung und einem Dienstwagen locken. Abwechslungsreiche Projekte, gute Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Flexibilität, eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Arbeiten sind ebenso wie Weiterbildungen von Arbeitnehmern maßgebliche Zukunftsthemen in Unternehmen.

To Do’s für Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer bedeutet der technologische Wandel im Unternehmen, dass ihre bisherige Tätigkeit sich durch den Einsatz von intelligenten Maschinen verändern wird. Umschulungen oder zumindest die Erweiterung der digital skills sind die zwangsläufige Folge für Arbeitnehmer.

Viele neu entstehende Tätigkeitsfelder erfordern zusätzliche Qualifikation und Bildung und stellen damit höhere Anforderungen an die Beschäftigten. Bei der Ausbildung der Mitarbeiter von morgen wird mehr Wert auf die Vermittlung von Softskills gelegt werden. Die Fähigkeit, sich selbst neues Wissen anzueignen, kritisch und problemlösungsorientiert zu denken und mit anderen Menschen zu kommunizieren, wird wichtiger als schnell veraltetes Spezialwissen sein.

Die schulische und universitäre Ausbildung sollte den Umgang mit digitalen Hilfsmitteln im Fokus haben. „Digital literacy“, d.h. ein selbstbestimmter, souveräner, verantwortlicher und zielgerichteter Umgang mit digitalen Hilfsmitteln, ist eine zunehmend wichtige Kompetenz, die sich insbesondere jene Generation von Arbeitnehmern aneignen muss, die bereits länger im Berufsleben steht, um konkurrenzfähig zu bleiben.

To Do’s für Selbstständige

Die Anzahl an Selbstständigen wird im Zuge der Plattformökonomie zunehmen, zugleich aber auch die Anzahl der Aufgaben und die Anzahl der internationalen Konkurrenten sowie die Fragen der sozialen Absicherung.

Einem ebenso starken Wandel unterliegt aber auch die Tätigkeit von Plattformbetreibern, Crowdworkern und Dienstleistern der Sharing Economy. Derzeit nimmt beispielsweise die Anzahl an Uber-Fahrern insbesondere in Städten mit hohem Tourismusaufkommen zu. Uber forscht aber bereits verstärkt an selbstfahren Kfz, womit die boomende Tätigkeit des Uber-Fahrers wiederum obsolet würde.

To Do’s für Führungskräfte

Die Rolle von Führungskräften verändert sich vom Taktgeber zum Motivator, Moderator und Organisator. Entscheidungen werden oftmals durch intelligente Algorithmen vorbestimmt und der einzelne Mitarbeiter arbeitet selbstbestimmter als noch zuvor. Zudem entstehen neue Strukturen im Unternehmen. Der verstärkte Rückgriff auf Selbstständige und die Koordination international agierender virtueller Teams, die oftmals in verschiedenen Zeitzonen arbeiten, stellt eine zusätzliche Herausforderung für Führungskräfte dar.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt macht ein Umdenken des Gesetzgebers erforderlich

Da die Digitalisierung und Automatisierung einen globalen und unaufhaltsamen Prozess darstellt, vor dem sich keiner der Beteiligten verschließen kann, muss sich auch der Gesetzgeber intensiver als bisher mit dem Thema Digitalisierung befassen, um einen praxistauglichen rechtlichen Rahmen vorzugeben. Das gilt insbesondere für die meisten Bereiche des Arbeitsrechts, dessen Grundkonzeption noch auf Anfang oder Mitte des 20. Jahrhunderts zurückzuführen ist und in Sachen Flexibilität im internationalen Vergleich hinterherhinkt. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber, ähnlich wie viele Gewerkschaften, Flexibilisierung als einseitig den Arbeitgeber bevorzugende Angelegenheit ansieht. Diesem Motto blieb auch die GroKo 2018 treu und hat fleißig „Antiflexibilisierungs-Maßnahmen″ beschlossen und notwendige Reformen zurückgestellt.

Das betrifft insbesondere Fragen der Arbeitszeit, der Mitbestimmung und der Entbürokratisierung. So sieht der Gesetzgeber zwar „mobiles Arbeiten″ als Bonus für Arbeitnehmer an, während aber Befristungen, Abrufarbeit, Plattformarbeit von Solo-Selbstständigen und geringfügige Beschäftigung nicht als Instrumente der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, sondern als prekäre Arbeitsverhältnisse zu Lasten der Beschäftigten angesehen werden. Allerdings besagen Statistiken, dass das Niveau atypischer Beschäftigung seit Jahren konstant und mit 21% deutlich unter dem US-amerikanischen Wert von 40% liegt.

Zudem fehlen zu vielen digitalen Trends nach wie vor gesetzliche Rahmenbedingungen (z.B. Scrum, Zusammenarbeit mit Robotern, Crowdworking, soziale Absicherung von Selbstständigen, Weiterbildungsmaßnahmen). Im Koalitionsvertrag wird viel von Bildung und Weiterbildung („Lebenslanges Lernen″) gesprochen. Erforderlich sind aber weder die Einführung weiterer Rechtsansprüche für Arbeitnehmer und Betriebsräte, noch die Einführung weiterer Pflichten für Arbeitgeber. Denn auch bei sinnvollen Anliegen wie einer unbezahlten Freistellung zu Bildungszwecken muss die betriebliche Organisationshoheit beachtet werden. Daher sollten staatliche Förderprogramme entwickelt werden, um jedenfalls die Kosten der Weiterbildungen nicht alleine auf die Arbeitsvertragsparteien abzuwälzen. Staatlich (teil)finanzierte Umschulungen sollten z.B. im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse, die nicht mehr zukunftsfähig sind, ermöglicht werden.

Digitalisierung des Arbeitszeitgesetzes

Weg von starren Ruhezeiten und festen täglichen Höchstarbeitszeiten, hin zu mehr individueller Flexibilität. Dies wurde bereits im vom BMAS herausgegebenen Weißbuch Arbeiten 4.0 (S. 125) angedacht, in dem der Gesetzgeber viele Probleme zutreffend erkennt und auch vereinzelte Lösungsmöglichkeiten vorschlägt.

So wird beispielsweise eine Abweichung von vereinzelten Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes befürwortet, wenn der Arbeitnehmer zustimmt, eine Betriebsvereinbarung dies vorsieht, sowie der Arbeitgeber tarifgebunden ist und die Daten dem Ministerium zu Forschungs- und Evaluierungszwecken überlässt. Diese Lösung ist zwar nur bedingt praxistauglich. Aber allein, dass der Gesetzgeber damals Opt-Out-Lösungen von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes in Erwägung gezogen hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Digitalisierung der Betriebsratsarbeit

Betriebliche Konsultationsverfahren müssen beschleunigt werden, um Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte das Konsultationsverfahren mit zeitlichen Fristen versehen werden (z.B. eine zweimonatige Erwiderungsfrist bei mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten).

Der Gedanke des § 41a EBRG (Online Beschlussfassung) sollte auf alle Betriebsratsbeschlüsse übertragen werden. Zudem sollten digitale Medien bei der Geschäftsführung des Betriebsrats verstärkt eingesetzt werden: Das betrifft z.B. eine automatische Datenweitergabe von zustimmungspflichtigen Angelegenheiten an den Betriebsrat, Online-Sprechstunden, Online Veröffentlichung anstelle des „schwarzen Brettes“ oder gestreamte Betriebsversammlungen. Darüber hinaus sollte eine Online-Wahl als zusätzliche Möglichkeit im BetrVG und in der entsprechenden Wahlordnung verankert werden, um die Wahlbeteiligung auch unter jüngeren Arbeitnehmern zu erhöhen.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt erweitert den Betriebsbegriff

Der traditionelle Betriebsbegriff als Anknüpfungspunkt der betrieblichen Mitbestimmung muss überdacht werden. Im Zeitalter von zunehmend digital vernetzten und global agierenden Konzernen gibt es nicht mehr „den einen Ansprechpartner“. In der Praxis führt die Anknüpfung an den klassischen Betriebsbegriff zu Kompetenzstreitigkeiten und Mehrfach-Zuständigkeiten innerhalb eines Konzerns.

Es sollten daher selbstgewählte Betriebsstrukturen gemäß § 3 BetrVG in größerem Umfang als bisher zulässig sein, wenn dies der effektiveren Vertretung der Arbeitnehmer dient (Stichwort „Matrix-Betriebsräte″). Für in einer Wertschöpfungskette zusammenarbeitende Unternehmen führt die bisherige Rechtslage oft dazu, dass Betriebsräte Mitbestimmungsrechte geltend machen und Prozesse blockieren, die jenseits der Unternehmensgrenze liegen und auf die der Arbeitgeber oftmals gar keinen Einfluss hat.

Schnelleres gesetzgeberisches Handeln erforderlich

Insbesondere die Debatte um das Thema Arbeitszeitflexibilisierung zeigt das Dilemma des Gesetzgebers. Im Jahr 2015 ist das Grünbuch als „Diskurs rund um das Thema Arbeiten 4.0“ erschienen. Im Dezember 2016 folgte das Weißbuch mit einzelnen Vorschlägen zur Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen. Jetzt, Ende 2018, wurde noch nicht einer dieser Vorschläge umgesetzt. Lediglich einzelne Gewerkschaften (z.B. die IG Metall in ihrem Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie vom Februar 2018) und Unternehmen greifen das Thema Arbeitszeitflexibilisierung auf.

Die lange Dauer von Gesetzgebungsverfahren und die zu langsame Wahrnehmung einer sich rapide verändernden Realwelt führt dazu, dass das Recht nicht mit der technischen Entwicklung mithalten kann. Die optimale Lösung für die Vereinbarkeit des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer und der Flexibilität der Arbeitszeit wäre ein individualvertraglich mögliches Opt-Out von bestimmten Vorschriften des Arbeitszeitrechts. Dafür müsste man die Überarbeitung der EU-Arbeitszeitrichtlinie anstoßen oder aber den von deren Geltungsbereich nicht blockierten Freiraum im Arbeitszeitgesetz nutzen. Beides wird in regelmäßig widerkehrenden Zeitabständen seit 2010 mit sämtlichen Interessenvertretern im Rahmen diverser Konsultationsverfahren erörtert. Das bisherige Resultat? Needless to say.

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