18. Oktober 2018
Scheinselbstständigkeit Gig-Economy
Arbeitsrecht

Scheinselbstständigkeit in der Gig-Economy

Das Problem der Scheinselbstständigkeit wird durch die Gig-Economy präsenter denn je. Ein Überblick über die aktuelle deutsche und europäische Rechtsprechung.

Die Gig-Economy, zu Deutsch Plattformökonomie, teilt man üblicherweise in vier Bereiche:

  • Soziale Kommunikationsplattformen (u.A. Facebook, XING, LinkedIn),
  • Digitale Marktplätze (u.A. eBay, Amazon),
  • Vermittlungsportale (u.A. Uber, Airbnb, Carsharing) und
  • Crowdworking-Plattformen (u.A. Amazon Mechanical Turk, Clickworker, Twago, 99designs oder Upwork)

Während bei den ersten beiden Bereichen überwiegend datenschutz-, verbraucherschutz- und steuerrechtliche Herausforderungen zu bewältigen sind, steht bei den letzten Bereichen (Vermittlungsportale und Crowdworking-Plattformen) die Frage der arbeitsrechtlichen Einordnung der Nutzer im Vordergrund. Dieser Fragestellung widmet sich der folgende Beitrag.

Zahlen zur Gig Economy

Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten ist keine neu durch die Digitalisierung geschaffene Herausforderung. Doch die Zahl der von dieser Frage Betroffenen steigt erheblich. Bis zu einer Million Menschen gehen dieser Erwerbsform inzwischen in Deutschland nach, wobei 80% der Nutzer dies noch nur nebenberuflich tun. Diese Zahl ist im Vergleich zu Großbritannien (bis zu 5 Mio), Indien und den USA also noch relativ gering.

Die Risiken der Scheinselbstständigkeit in der Gig-Economy

Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind insbesondere das Mindestlohn-, das Entgeltfortzahlungs-, das Kündigungsschutz und das Bundesurlaubsgesetz von wesentlicher Bedeutung. Der Arbeitgeber (Plattform oder Auftraggeber) müsste bei Unterstellung eines Arbeitsverhältnisses den Plattformarbeitern einen derzeitigen Stundenlohn von EUR 8,84 brutto gewähren, der aber insbesondere bei den einfachen und dementsprechend niedrig bezahlten Clickwork-Tätigkeiten nicht angeboten wird.

Werden Auftraggeber oder Plattformen als Arbeitgeber der Crowdworker eingestuft, laufen sie Gefahr, Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zzgl. Säumniszuschlag nachzuzahlen. Verantwortliche Personen wie z.B. ein Geschäftsführer einer GmbH setzen sich sogar dem Risiko eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen aus (§ 266a StGB). Dazu kommt seit Ende 2017 die rückwirkende Gewährung von vorenthaltenem Urlaub.

Die Rechtslage zur Abgrenzung Arbeitnehmer vs. Selbstständige

Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, § 611a BGB. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist nach gefestigter Rechtsprechung des BAG eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Wesentliche Kriterien für die Einstufung als Selbstständiger sind u.A.:

  • Im Wesentlichen freie Einteilung von Arbeitszeit und Arbeitsort,
  • Eigenart der Tätigkeit,
  • Nutzung eigener Betriebsmittel,
  • Durchführung der Tätigkeit für unterschiedliche Kunden,
  • Jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des Betroffenen

Für die Einstufung als Arbeitnehmer sprechen hingegen:

  • Eingliederung in den Betriebsablauf des Auftraggebers,
  • Kontrollen durch Auftraggeber und Plattform,
  • Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Vorgaben,
  • Weisungsgebundenheit des Betroffenen,
  • Persönliche Abhängigkeit des Betroffenen,
  • Ob eine persönliche Diensterbringung geschuldet ist.

Bei der Abwägung der Kriterien hat die Bezeichnung des Vertrages durch die Parteien nur Indizwirkung. Gleiches gilt für das Nichtvorhandensein eines Vertrags. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Rechtsverhältnisses, dass eine andere Praxis gelebt wird, kommt es auf die Bezeichnung der Tätigkeit im Vertrag nicht an.

Europäische Vorgaben des EuGH in Sachen Uber

Der EuGH (Urt. v. 20.12.2017 – C-434/15 – Uber Spain; Urt. v. 10.04.2018 – C-320/16 – Uber France) stellte fest, dass der Vermittlungsdienst über die Uber-App als mit einer Verkehrsdienstleistung untrennbar verbunden und daher als Verkehrsdienstleistung und nicht – wie von der Plattform angenommen – als Vermittlungsdienstleistung anzusehen ist. Die über die Plattform arbeitenden Fahrer können daher keine von der Plattform unabhängigen Tätigkeiten ausüben. Diese Tätigkeit der Fahrer kann nur dank der Plattform ausgeübt werden, die dem Kunden eine Gesamtdienstleistung mit vorherigem Kostenvorschlag anbietet.

Auch wenn die arbeitsrechtliche Einstufung der Uber-Fahrer nicht Gegenstand der Entscheidungen ist, weist der EuGH darauf hin, dass wegen der Kontrolle Ubers‘ über die Fahrer während der Durchführung der Tätigkeit keine andere Einstufung als die eines abhängig Beschäftigten der Plattform denkbar ist.

Zu den Kontrollmechanismen der Plattform zählen die Bedingungen, die ein Fahrer erfüllen muss, um die Tätigkeit aufzunehmen oder die Belohnung von Fahrern, die eine große Zahl von Fahrten durchführen. Uber gibt zudem die Preise vor und übernimmt die Abrechnung der Kosten über ein eigenes System. Darüber hinaus kontrolliert die Plattform die Qualität der Arbeit der Fahrer, was sogar zum Ausschluss der Fahrer von der Plattform führen kann.

Eine solche Kontrolle, die auf finanziellen Anreizen und einer dezentralisierten Bewertung durch die Fahrgäste beruht, erlaube – so das Gericht – ein genauso effektives Management wie eine Kontrolle von Fahrern, die auf den förmlichen Weisungen eines Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern sowie auf der unmittelbaren Überwachung ihrer Ausführung beruhe.

Regelfall: Plattformarbeiter keine Arbeitnehmer

Im Regelfall allerdings handelt es sich bei Plattformarbeitern mangels Weisungsrechts und betrieblicher Eingebundenheit in die Strukturen der Plattform und des Auftraggebers nach deutschem und europäischem Recht nicht um Arbeitnehmer. Dies deckt sich mit der Aussage der Bundesregierung aus dem Weißbuch (2016). Dennoch schätzt eine Studie der Universität Leeds im Auftrag der EU-Kommission aus 2017, dass ca. 25% der Plattformarbeiter in einer rechtlichen Grauzone arbeiten.

Aufgrund der Heterogenität der Plattformökonomie lassen sich keine generellen Aussagen zur Einordnung von Plattformarbeitern treffen. Ein wie oben dargestelltes Abhängigkeitsverhältnis zum Plattformanbieter oder dem Auftraggeber, das in der Regel auf ein Arbeitsverhältnis schließen lässt, ist für jeden konkreten Einzelfall zu bestimmen, kommt aber am ehesten bei Vermittlungs- oder Crowdworking in Betracht. So wird sich auf der einen Seite die Frage der Scheinselbstständigkeit bei einem privaten Anbieter, der gelegentlich seine Wohnung oder sein Auto vermittelt, nicht stellen. Auf der anderen Seite würde die Causa Uber auch nach deutschem Recht zugunsten eines Arbeitsverhältnisses entschieden werden.

Risiko der Scheinselbstständigkeit in der Gig-Economy – Ist eine Lösung in Sicht?

Die Politik sucht die Verantwortung bei den Plattformbetreibern und will den teilweise prekären Arbeitsbedingungen entgegenwirken. Die Europäische Kommission erfasst in ihrem (Änderung der RiLi91/533/EWG) explizit auch die Rechte der Plattformarbeiter.

Das grundsätzliche Problem der Gig-Economy ist mit der Erweiterung der Richtlinie und den zusätzlichen Rechten für Plattformarbeiter aber nicht gelöst. Denn die Richtlinie gilt nur für Arbeitnehmer, legt aber nicht fest, welche Plattformarbeiter Arbeitnehmer und welche Selbstständige sind.

Im Koalitionsvertrag von 2018 heißt es

Um den sozialen Schutz von Selbstständigen zu verbessern, wollen wir eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen einführen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch (z. B. in berufsständischen Versorgungswerken) abgesichert sind. Grundsätzlich sollen Selbstständige zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und – als Opt-out-Lösung – anderen geeigneten insolvenzsicheren Vorsorgearten wählen können.

Die Einzahlung in die Sozialversicherung ist auch für Selbstständige in anderen europäischen Ländern (z.B. Spanien) verpflichtend und ausreichend, um das Problem der mangelnden sozialen Absicherung zu lösen.

Handlungsempfehlung: Zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit klare (Vertrags-)Verhältnisse schaffen

Bis der Gesetzgeber tätig wird, sollten Plattformbetreiber und Auftraggeber besonderen Wert auf die klare Gestaltung der Vertragsverhältnisse mit ihren Nutzern legen und sämtliche Kontrollmechanismen auf ein absolut notwendiges Maß reduzieren. Zudem sollten sie davon absehen, den Anbietern umfangreiche Vorgaben bzgl. der Durchführung ihrer Tätigkeiten zu machen, die einer Arbeitsanweisung gleichkommen. Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit Selbstständigen und eine Einbindung in die Organisation der Plattform oder des Auftraggebers sollten vermieden werden.

Neben der Vertragsgestaltung muss auch im täglichen praktischen Umgang mit Crowdworkern darauf geachtet werden, dass diese nicht in den regulären Betriebsablauf integriert werden. Auftraggeber sollten keine Kernkompetenzen ausgliedern oder nicht regelmäßig wiederkehrende Aufträge in großem Umfang an die gleichen Crowdworker verteilen. Speziell im digitalen Bereich bedeutet dies, dass umfangreiche Aufgaben auf mehrere Crowdworker aufgeteilt werden sollten und der Zugriff auf ggfs. erforderliche Daten eingeschränkt ist und über eine zentrale Anlaufstelle beim Auftraggeber läuft.

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