8. Dezember 2017
Urlaub Scheinselbständig
Arbeitsrecht

Unbegrenzte Übertragung von Urlaubsansprüchen bei Scheinselbstständigen

Beschäftigung von Scheinselbstständigen: Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche werden zeitlich unbegrenzt aufrechterhalten.

In seinem Urteil vom 29. November 2017 (Rs. C-214/16) behandelt der EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie, die der britische Court of Appeal zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte. Insbesondere ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen nicht ausgeübte Urlaubsansprüche aus mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen übertragen und angesammelt werden können.

(Schein-)Selbstständiger verlangt nach Kündigung die Auszahlung von Urlaubstagen

Es ging um einen Selbstständigen, den das Arbeitsgericht als Arbeitnehmer im Sinne der britischen Rechtsvorschriften qualifizierte. Er verlangte bei Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses von seinem Arbeitgeber die Vergütung sowohl für genommenen, aber nicht bezahlten, als auch für nicht genommenen Jahresurlaub für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung (1999 bis 2012).

Als Begründung führte er an, die nicht genommen Urlaubszeiten für den Bezugsraum seien bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesammelt übertragbar (und dann ggf. abzugelten). Der Arbeitgeber habe sich fortlaufend geweigert den Urlaub zu vergüten und so den Arbeitnehmer daran gehindert, seine Urlaubsansprüche auszuüben.

Grundsatz: Kein Erlöschen des nicht gewährten Urlaubs

Diese Auffassung teilt auch der EuGH dem Grunde nach. Die Richter stellten fest, dass es dem Arbeitnehmer nicht verwehrt werden dürfe, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln. Dies gelte auch bei mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen, wenn die Ansprüche wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind.

Weiter verbiete es das Unionsrecht, dass der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub erst (gegebenenfalls unbezahlt) nehmen müsse, ehe er feststellen könne, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung habe.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

Ließe man […] ein Erlöschen der vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu, würde somit im Ergebnis ein Verhalten gebilligt, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderläuft.

Ausnahme: Beschränkung des Übertragungszeitraums bei berechtigten Interessen des Arbeitgebers

Vom vorgenannten Grundsatz könne jedoch eine Ausnahme gemacht werden, wenn der Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen eine Beschränkung des Übertragungszeitraums gebiete.

Dies hatte der EuGH zuletzt für den Fall von zu langen krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers angenommen (Urteil vom 22. November 2011 – Rs. C-214/10). Hier hatte der Gerichtshof entschieden, dass die Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten begrenzt werden könne. Der Arbeitgeber sei vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten zu schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können.

Ein die Urlaubsvergütung verweigernder Arbeitgeber ist nicht schutzwürdig

Verweigert ein Arbeitgeber die dem Arbeitnehmer zustehende Vergütung während des genommen Urlaubs, liege eine solche Ausnahme allerdings nicht vor, so der EuGH. In diesem Fall sei der Arbeitgeber, der selbst den Hinderungsgrund für die Ausübung des Urlaubsanspruchs darstellt, nicht schutzwürdig.

Zudem müsse eine dem Zweck der Arbeitszeitrichtlinie zuwiderlaufende unrechtmäßige Bereicherung des Arbeitgebers entgegengewirkt werden. Denn der Arbeitgeber profitierte im vorliegenden Fall davon, dass der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit bei ihm nicht unterbrochen habe.

Umsetzung in nationales Recht verpflichtend

Die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie in nationales Recht ist für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtend. Im Rahmen der Anwendung dieser nationalen Umsetzungsregeln müssen die Mitgliedsstaaten dementsprechend auch die Entscheidungen des EuGH zur Auslegung des Europarechts beachten.

Das deutsche Recht sieht bisher nach einer Übertragung des Urlaubsanspruchs nur eine Gewährung des Anspruchs in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres vor, § 7 Abs. 3 BUrlG. Das BAG legt diese Vorschrift unionsrechtskonform aus und nimmt an, der Urlaubsanspruch gehe erst bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres unter (BAG, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10).

Mit seinem Urteil führt der EuGH seine Rechtsprechung zur Übertragbarkeit des Jahresurlaubs eines aufgrund von Krankheit an der Ausübung des Urlaubsanspruchs gehinderten Arbeitnehmers fort. Aufgrund dessen wird § 7 Abs. 3 BUrlG im Ergebnis noch weiter einzuschränken sein.

Erhöhtes Risiko vor allem bei der Beschäftigung von (Schein-)Selbstständigen

Das Urteil hat vor allem für die Beschäftigung von Scheinselbstständigen Bedeutung.

Mit der zeitlich unbegrenzten Aufrechterhaltung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen entsteht ein weiteres finanzielles Risiko bei der Beschäftigung von (Schein-)Selbstständigen, insbesondere, wenn die Beschäftigung über einen längeren Zeitraum erfolgt.

Im Ergebnis sind die Urlaubsansprüche von Scheinselbstständigen dann sogar besser geschützt als die Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer, bei denen der Übertragungszeitraum auf 15 Monate begrenzt ist.

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