26. November 2018
EuGH Urlaub Urlaubsabgeltung
Arbeitsrecht

EuGH: Urlaubsabgeltung auch ohne Urlaubsantrag

Nach dem EuGH sollen Arbeitgeber Urlaub auch dann abgelten müssen, wenn Arbeitnehmer gar keinen Urlaub beantragt haben – das hat weitreichende Konsequenzen.

Mit gleich zwei Entscheidungen zum Urlaubsrecht hat der EuGH am 6. November 2018 für Aufsehen gesorgt. Hintergrund waren Vorlagefragen deutscher Gerichte, die die Vereinbarkeit der bisherigen nationalen Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung mit europäischen Recht geklärt wissen wollten.

Bisher: Finanzielle Abgeltung nur, wenn Urlaub verlangt wird

Häufig ist es unmöglich, den gesamten Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen – während der Kündigungsfrist soll etwa noch der Nachfolger eingearbeitet werden oder der Arbeitnehmer ist wegen einer Auftragsspitze unabkömmlich. Der Urlaubsantrag wird daher vom Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen abgelehnt. Für solche Fälle ist schon lange anerkannt, dass der Urlaub mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abzugelten ist.

Was ist aber mit Fällen in denen der Arbeitnehmer durchaus in der Lage gewesen wäre, Urlaub zu nehmen – diesen aber schlicht nicht verlangt? Vielleicht sogar bewusst, weil er eine finanzielle Abgeltung den freien Tagen vorzieht?

Das Bundesarbeitsgericht ging bislang davon aus, dass Voraussetzung für einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung grundsätzlich ist, dass Urlaub auch tatsächlich verlangt wurde (BAG, Urteil vom 15. September 2011 – 8 AZR 846/09).

Referendar und Wissenschaftler verlangten Urlaubsabgeltung

Das Kammergericht Berlin als Dienstherr lehnte in einem der Ausgangsverfahren die Forderung eines Rechtsreferendars nach Urlaubsabgeltung ab. Dieser habe sich immerhin aus freien Stücken entschieden, keinen Urlaub zu nehmen. Einen Urlaubsantrag hatte er nicht gestellt.

Ähnlich lag der Fall eines Wissenschaftlers bei der Max-Planck-Gesellschaft: Dieser hatte 53 Tage Urlaub angesammelt. Der Arbeitgeber forderte ihn einige Monate vor dem Auslaufen seines befristeten Vertrages auf, seinen restlichen Urlaub zu nehmen. Er beantragte aber nur zwei Tage Urlaub und begehrte nach Ende des Arbeitsverhältnisses die finanzielle Abgeltung der restlichen 51 Tage.

Nachdem sowohl das Kammergericht als auch die Max-Planck-Gesellschaft die Urlaubsabgeltung zunächst ablehnten, zogen der Referendar und der Arbeitnehmer jeweils vor Gericht. Das Münchener Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht sprachen sich im Verfahren des Wissenschaftlers für die Urlaubsabgeltung aus – das Berliner Verwaltungsgericht wollte dem Referendar dagegen keine Abgeltung zusprechen.

Das Bundesarbeitsgericht und das Oberverwaltungsgericht setzten die Verfahren schließlich aus, um die Einschätzung des EuGH einzuholen, ob es mit europäischem Recht (insbesondere Richtlinie 2003/88/EG und Artikel 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) vereinbar sei, wenn der gesetzlich garantierte Mindesturlaub entschädigungslos verfällt, soweit er nicht vor Ende des Arbeitsverhältnisses beantragt wird.

EuGH: Ein fehlender Urlaubsantrag allein lässt Urlaubsabgeltung nicht verfallen

„Nicht so ohne Weiteres“ könnte man die Entscheidung des EuGH vom 6. November 2018 zusammenfassen (Urteile in den Rechtssachen C-619/16 und C-684/16).

Der Arbeitnehmer darf den Anspruch nicht alleine deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Der EuGH stellt das deutsche Urlaubsrecht damit (erneut) auf den Kopf. Da der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber die schwächere Partei sei, so der EuGH, könne die Angst vor Repressionen ihn davon abhalten, seinen Urlaubsanspruch geltend zu machen. Gegebenenfalls habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer daher dazu aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen.

Gleichzeitig diene der Urlaubsanspruch aber dem Gesundheitsschutz – die Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs dürfe daher nicht dazu (ver-)führen, dass der Arbeitnehmer freiwillig auf Urlaub verzichtet, um seine Vergütung aufzubessern. Nicht abzugelten sei der Urlaub daher in Fällen, in denen der Arbeitnehmer freiwillig und bewusst darauf verzichtet hat, seinen Jahresurlaub zu nehmen, obwohl er hierzu in der Lage gewesen wäre. Dies zu beweisen obliege im Streitfall allerdings dem Arbeitgeber.

Ob es sich um einen öffentlichen oder einen privaten Arbeitgeber handelt, spielt nach dem EuGH insoweit keine Rolle.

Folge: Europarechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 3 BurlG notwendig

Die Entscheidung des EuGH führt damit nicht automatisch dazu, dass die Klagen auf Urlaubsabgeltung nunmehr zwangsläufig begründet wären. Die Gerichte dürfen sie nur nicht allein daran scheitern lassen, dass Urlaub nicht beantragt wurde. Sie werden sich nun im Detail mit den vom EuGH aufgestellten Anforderungen an den Anspruch auseinandersetzen müssen. Die Regelung des § 7 Abs. 3 BurlG muss europarechtskonform ausgelegt werden.

Ganz neu ist die Argumentation des EuGH im Übrigen nicht: Schon 2014 sah das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2014 – 21 Sa 221/14) den Arbeitgeber in der Pflicht, den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers initiativ zu erfüllen, statt auf einen Urlaubsantrag zu warten. Für den Fall, dass der Arbeitgeber dies unterließ und der Urlaub deswegen verfiel, sprach es dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch zu.

Die landesgerichtliche Rechtsprechung hierzu war allerdings bislang uneinheitlich. Das LAG Köln etwa lehnte eine entsprechende Pflicht des Arbeitgebers 2016 noch ab (Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 9. August 2016 – 12 Sa 257/16). Die Entscheidung des EuGH schafft insoweit nun Klarheit. Die deutschen Gerichte sind nun gefordert, die Vorgaben des EuGH umzusetzen.

Rechtsprechung des EuGH zur Urlaubsabgeltung: Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Wollen Arbeitgeber künftig vermeiden, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub grundsätzlich ausbezahlen zu müssen, dürfen sie also nicht abwarten, sondern müssen proaktiv auf ihre Mitarbeiter zugehen. Welche Anforderungen an die Information der Arbeitnehmer konkret zu stellen sind, wird sich erst nach und nach durch die Umsetzung des EuGH-Urteils in nationale Rechtsprechung zeigen.

Nicht ausreichend dürfte es sein, Arbeitnehmer nur formularmäßig, etwa im Arbeitsvertrag, auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hinzuweisen. Bis auf weiteres wird Arbeitgebern daher zu raten sein, Arbeitnehmer, die Urlaub nicht von sich aus beantragen, jeweils im konkreten Fall dazu aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen sowie auf den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen hinzuweisen und dies sorgfältig zu dokumentieren.

Unterschätzt werden darf die finanzielle Relevanz der Entscheidung jedenfalls nicht, denn Urlaubstage können sich schnell summieren, so dass erhebliche Beträge zusammenkommen: Ob die bisherige Beschränkung auf 15 Monate noch gilt, müssen nun die deutschen Gerichte klären, ggf. unter erneuter Vorlage zum EuGH.

UPDATE: Nach einer aktuellen Entscheidung trifft die Hinweisobliegenheit den Arbeitgeber auch bezüglich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen (§ 208 SGB IX), obwohl dieser nicht auf Unionsrecht beruht. Kommt der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten nicht nach, hat der Arbeitnehmer nach dieser Entscheidung einen Schadensersatzanspruch im Form des Ersatzurlaubes, der sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umwandelt (LAG Niedersachsen, 16.01.2019 – 2 AZR 567/18).

Sollten Arbeitnehmer Anspruch auf diesen Zusatzurlaub haben, sind Arbeitgeber also gut beraten, die Arbeitnehmer auch hinsichtlich dieses Urlaubes auf einen möglichen Verfall hinzuweisen.  

Tags: Antrag EuGH Urlaub Urlaubsabgeltung