27. August 2021
Gehalt Homeoffice
Arbeitsrecht

Gehaltskürzung im Homeoffice: Ein US-amerikanisches Modell für Unternehmen in Deutschland?

Immer mehr US-amerikanische Konzerne bemessen das Gehalt nach den Lebenshaltungskosten am Arbeitsort. Ein Modell für Unternehmen in Deutschland für Homeoffice-Tätigkeiten?

In einigen US-Technologiekonzernen steht den Beschäftigten* nach Angaben in der Presse ein IT-gestütztes Rechenprogramm zur Verfügung, anhand dessen sie ihr Gehalt abhängig vom Arbeitsort errechnen lassen können. Demnach hat beispielsweise ein Mitarbeiter, der bei einem Unternehmen in New York City arbeitet und auch in New York City lebt, bei einem Wechsel ins Homeoffice keinerlei Gehaltseinbußen zu befürchten. Anders verhält sich dies jedoch im Falle eines Wohnortes im knapp eine Stunde entfernten Stamford in Connecticut: Zwar erhält der Mitarbeiter auch dann weiterhin sein volles Gehalt, wenn er werktäglich nach New York pendelt. Allerdings muss er – unter Verweis auf die geringeren Lebenshaltungskosten in Connecticut und die Ersparnis von Fahrtkosten – eine Gehaltssenkung von 15 % hinnehmen, sobald er sich dazu entscheidet, dauerhaft ausschließlich aus dem Homeoffice tätig zu werden. Je nach Einzelfall reduziert sich das Gehalt um bis zu 25 %. 

Ein solcher Ansatz dürfte in deutschen Unternehmen bislang eher unüblich sein, er ist aber kreativ und könnte beim Recruiting sowie bei der Retention von Mitarbeitern eine Chance sein. Denn die Nachfrage nach der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten wächst stetig, sowohl bei Bewerbern als auch bei Mitarbeitern. Für diese könnte eine Homeoffice-Tätigkeit trotz einer geringeren Vergütung als bei einer Bürotätigkeit lukrativ sein, wenn die Höhe der Vergütung dennoch über dem üblichen Gehaltsniveau am Wohnort liegt und/oder die sonstigen Vorteile des Homeoffice für sie überwiegen.

Arbeitsortabhängige Vergütung in Deutschland grundsätzlich möglich

Gemäß §611a Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber zur Zahlung der (arbeits- oder tarifvertraglich) vereinbarten Vergütung verpflichtet. Deren Höhe bemisst sich üblicherweise nicht nach dem jeweiligen Arbeitsort des Arbeitnehmers, sondern nach dem Inhalt seiner Tätigkeit, seiner Qualifikation und seiner Berufserfahrung. 

Es gibt aber auch hierzulande Ansätze einer arbeitsortabhängigen Vergütung, etwa wenn Mitarbeiter ins Ausland entsandt werden und zum Zwecke des Kaufkraftausgleichs temporäre Zulagen erhalten. Auch innerhalb von Deutschland werden sog. Ortszuschläge zum Ausgleich erhöhter Lebenshaltungskosten an besonders teuren Orten gewährt. Nicht zuletzt sind teilweise auch heute noch Tarifverträge mit unterschiedlichen Gehaltstabellen für Ost- und Westdeutschland in Kraft, die ebenfalls auf die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zurückzuführen sind. Eine Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten bei der Vergütungsgestaltung ist dem deutschen Arbeitsmarkt deshalb nicht völlig unbekannt.

Auch rechtlich sind solche Vergütungsgestaltungen nicht zu beanstanden. Lebenshaltungskosten und ersparte Fahrtkosten sind geeignet, eine unterschiedliche Behandlung von Mitarbeitern zu rechtfertigen. Für Beamte wurde sogar im Jahr 2007 durch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei der Bemessung von Bezügen für das gleiche Amt Abstufungen vorgenommen werden dürften, die an den Wohnsitz oder Dienstort anknüpfen, sofern sich solche regionalen Unterscheidungen nach Anlass und Ausmaß der Differenzierung rechtfertigen lassen. Auch die unterschiedliche tarifvertragliche Vergütung von Beschäftigten in Ost- und Westdeutschland wurde aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse um die Jahrtausendwende verschiedentlich vom Bundesarbeits- sowie Bundesverfassungsgericht anerkannt. 

Spezifische Vergütung für das Homeoffice zulässig

Auch eine reduzierte Vergütung bei einer dauerhaften Homeoffice-Tätigkeit an einem günstigeren Wohnort ist arbeitsrechtlich zulässig. Sie stellt keine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar, da an keines der in § 1 AGG genannten Kriterien angeknüpft wird, sondern vielmehr an die niedrigeren Lebenshaltungskosten und die Ersparnis von Fahrtkosten. Gleiches gilt, wenn das Unternehmen durch eine höhere Vergütung bei einer Tätigkeit im Betrieb Anreize für weniger Homeoffice-Tätigkeiten setzen möchte. 

Selbstredend dürfte die Vergütungsreduzierung für Männer und Frauen bei vergleichbaren Lebenshaltungskosten bzw. Fahrtkostenersparnissen im Homeoffice nicht unterschiedlich ausfallen. Eine unzulässige mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts droht dann, wenn tendenziell mehr von zu Hause arbeitende Frauen häufiger von der geringeren Vergütung betroffen sind als Männer.

Darüber hinaus ist auch keine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ersichtlich. Die Höhe der Vergütung unterliegt allgemein der Vertragsfreiheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch wenn es viele entsprechende Bestrebungen gibt (z.B. Entgelttransparenzgesetz), ist ein allgemeiner Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit″ nicht gesetzlich verankert. Die Grenzen der Vertragsfreiheit könnten allerdings überschritten werden, wenn Mitarbeiter im Homeoffice in vergleichbarer Lage – also mit vergleichbaren Tätigkeiten, Qualifikationen, Erfahrungen und Lebenshaltungskosten – unterschiedliche Gehaltsreduzierungen hinnehmen müssten. Diese Situation sollte daher durch die Wahl nachvollziehbarer und transparenter Parameter vermieden werden. 

Mögliche Umsetzung einer Gehaltsreduzierung ist im Einzelfall zu prüfen

Solange es in Deutschland keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Tätigkeit aus dem Homeoffice gibt, können Unternehmen frei entscheiden, ob sie Arbeitsplätze im Homeoffice einrichten. Entscheiden sie sich dazu, spricht jedenfalls bei tarifungebundenen Unternehmen grundsätzlich nichts dagegen, diese Arbeitsplätze mit einer reduzierten Vergütung dem Arbeitsmarkt anzubieten und damit den Kreis potentieller Bewerber zu erweitern. Etwas anderes gilt, wenn ein tarifliches Vergütungssystem einer solchen Reduzierung entgegensteht, was im Einzelfall zu prüfen wäre. 

Bei bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen bedarf es einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, die dessen dauerhafte Tätigkeit aus dem Homeoffice und – für den Fall günstigerer Lebenshaltungskosten am Wohnort – eine geringere Vergütung vorsieht. Der Arbeitgeber kann demnach die Tätigkeit aus dem Homeoffice von einer Gehaltsreduzierung abhängig machen. Stimmt der Arbeitnehmer der Reduzierung nicht zu, kommt die Homeoffice-Vereinbarung nicht zustande. Dies gilt jedenfalls so lange, wie es in Deutschland keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Tätigkeit aus dem Homeoffice gibt.

Falls ein Arbeitnehmer bereits eine Homeoffice-Vereinbarung ohne jegliche Gehaltssenkung geschlossen hat, wird er einer nachträglichen Gehaltssenkung vermutlich nicht zustimmen. Da eine einseitige Reduzierung des Gehalts durch den Arbeitgeber (z.B. durch Änderungskündigung) nicht möglich ist, erscheint es sinnvoll, Homeoffice-Tätigkeiten im Rahmen eines gesamtheitlichen Konzepts einzuführen und nicht auf der Basis von Einzelfällen.

Denkbar wäre im Übrigen auch, nur eine anteilige Gehaltsreduzierung entsprechend dem Umfang der Tätigkeit im Homeoffice vorzunehmen (z.B. wenn ein Arbeitnehmer drei Tage im Büro und zwei Tage im Homeoffice arbeitet).

Sofern es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, sind dessen Beteiligungsrechte bei der Einführung eines Homeoffice-Konzepts nach dem jüngst eingeführten Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 14 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beachten. Bei einer nach definierten Kriterien reduzierten Vergütung an günstigeren Wohnorten dürften zudem Entlohnungsgrundsätze nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG betroffen sein und damit ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht auslösen.

Homeoffice gegen geringeres Gehalt kann eine Win-Win-Perspektive für Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland sein

Im Ergebnis eröffnet die amerikanische Idee auch für Unternehmen in Deutschland interessante Möglichkeiten im Umgang mit Arbeitsplätzen im Homeoffice. Teilweise haben Arbeitnehmer schon selbst erkannt, dass Arbeitgeber sich leichter tun, wenn ihnen das Homeoffice „abgekauft″ wird und bieten von sich aus eine Gehaltsreduzierung an, um im Gegenzug die Zustimmung zum Homeoffice zu erhalten. Diese Situation könnten sich Arbeitgeber zu Nutze machen und durch die Einführung eines Homeoffice-Konzepts mit vordefinierter und transparenter Gehaltsreduzierung eine Win-Win-Situation für beide Seiten herbeiführen. 

Neben Sorgfalt bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Parameter für die Gehaltsreduzierung müssen Arbeitgeber dabei die rechtlichen Rahmenbedingungen im Blick behalten.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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