3. Juni 2013
Anrechnung Vorbschäftigungszeit
Arbeitsrecht

Keine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit als Zeitarbeitnehmer

LAG Niedersachsen: keine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit eines Zeitarbeitnehmers bei dem Kunden, der nach einer Übernahme der neue Arbeitgeber wird.

Es ist eine typische Frage bei der Übernahme eines Zeitarbeitnehmers: Das LAG Niedersachsen musste sich in einem Kündigungsschutzverfahren damit befassen, ob die Einsatzzeit als Zeitarbeitnehmer bei dem jetzigen Arbeitgeber im Rahmen der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen ist.

Die 12. Kammer verneinte dies (Urteil vom 5. April 2013 – 12 Sa 50/13) mit der Folge, dass die genannte Wartezeit von sechs Monaten noch nicht abgelaufen war und der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit – mangels Anwendung des KSchG auch ohne soziale Rechtfertigung der Kündigung – einseitig beenden konnte.

Keine Zusammenrechnung der Zeiten

Mit der Formulierung „dessen Arbeitsverhältnis […] ohne Unterbrechungen länger als 6 Monate bestanden hat“ knüpfe § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG an die Dauer der Bindung mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber an. Eine Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zur Erreichung der sechsmonatigen Wartefrist komme nicht in Betracht: Diese solle den Arbeitsvertragsparteien für eine gewisse Zeit die Prüfung ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollten.

Die Rechtsprechung des BAG zur Zusammenrechnung verschiedener zeitlich nur kurz unterbrochener Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang bestehe, befasse sich mit Arbeitsverhältnissen beim selben Vertragsarbeitgeber. Dieser kenne dann den Arbeitnehmer schon über einen längeren Zeitraum aus demselben Arbeitsverhältnis.

Neue Grundlage der Zusammenarbeit

Dagegen verändere sich bei der Neubegründung eines festen Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden des Personaldienstleisters nach Ablauf eines vorgeschalteten Zeitarbeitsverhältnisses die Sichtweise. Aus der vorherigen Zusammenarbeit kenne dieser den Arbeitnehmer nur aus der „Kundenperspektive“.

Bestimmte Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, etwa die Anzeige- und Nachweispflichten nach § 5 EFZG, müsse der Zeitarbeitnehmer primär gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber, also bisher gegenüber dem Personaldienstleister, erbringen. Typischerweise übernehme dieser auch einige Aspekte der Personaldisposition.

Die Zusammenarbeit zwischen dem (Zeit-)Arbeitnehmer und dem späteren Arbeitgeber beschränke sich in dieser Phase noch auf die rein fachliche Kooperation am Einsatzarbeitsplatz. Mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden werde die Zusammenarbeit mit dem vormaligen Zeitarbeitnehmer auf eine neue, umfassendere Grundlage gestellt. Hier bestehe Anlass für eine erneute sechsmonatige Wartezeit zur Erprobung der gegenseitigen Zusammenarbeit unter allen Aspekten eines Arbeitsverhältnisses.

Betriebszugehörigkeit versus Arbeitsverhältnis

Eine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit als Zeitarbeitnehmer auf das spätere Arbeitsverhältnis sei auch mit Blick auf die Entscheidung des BAG vom 10. Oktober 2012 (Az. 7 ABR 53/11) nicht geboten.

In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht habe das BAG entschieden, dass Beschäftigungszeiten als Zeitarbeitnehmer bei dem Kundenunternehmen auf die für die Wählbarkeit nach § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG erforderliche sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen seien, wenn der Zeitarbeitnehmer im Anschluss an die Überlassung in ein Arbeitsverhältnis übernommen werde.

Schon der maßgebliche Gesetzeswortlaut sei im kündigungsschutz- und betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang unterschiedlich: Während § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG ausdrücklich auf den vertragsrechtlichen Begriff des „Arbeitsverhältnisses“ Bezug nehme, knüpfe § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG daran an, ob der Arbeitnehmer schon „6 Monate dem Betrieb angehört“ habe. Letzteres sei ein Tatbestandsmerkmal, das ein Abstellen auf die eher tatsächliche Eingliederung in den Betrieb ermögliche.

Dagegen bestehe vertragsrechtlich zunächst ausschließlich ein „Arbeitsverhältnis“ mit dem Zeitarbeitsunternehmen und später mit dem Kunden. Es handele sich mithin nicht um ein einheitliches, sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern.

Auch die Interessenlage sei in § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine andere: Das passive Wahlrecht könne bereits den Arbeitnehmern zugestanden werden, die den Betrieb seit mindestens sechs Monaten kennen würden – sei es aus der Perspektive eines Zeitarbeitnehmers oder später aus der Perspektive der Stammbelegschaft.

Der Sinn der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG sei hingegen erst erfüllt, wenn der jeweilige Vertragsarbeitgeber den neuen Arbeitnehmer sechs Monate lang in allen Belangen des Arbeitsverhältnisses kennen gelernt habe.

Wählbarkeit ist nicht Kündigungsschutz

Das LAG Niedersachsen entscheidet vorliegend mit dem notwendigen Augenmaß und überträgt die vom BAG im Rahmen von § 8 BetrVG erst kürzlich zur Wählbarkeit eines (Zeit-)Arbeitnehmers entwickelten Anrechnungsgrundsätze nicht auf kündigungsschutzrechtliche Belange.

Richtigerweise muss das übernehmende Kundenunternehmen zunächst in einem Zeitraum von vollen sechs Monaten prüfen können, ob sich der vormals als Zeitarbeitnehmer eingesetzte Mitarbeiter auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnis bewährt, bevor dieser in den Genuss der Anwendung des KSchG kommen kann.

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