17. September 2018
Loyalität Kirche Arzt
Arbeitsrecht

EuGH schränkt konfessionsbezogene Loyalitätsobliegenheiten weiter ein 

Im sog. Chefarzt-Urteil hat der EuGH den Ball an das BAG zurückgespielt, ihm aber einige Steine mitgegeben.

Der Gerichtshof ist auf die mögliche Diskriminierung eines Chefarztes durch den katholischen Arbeitgeber wegen erneuter Heirat eingegangen (Urt. v. 11. September 2018 – C-68/17). Dabei bestätigten die Richterinnen und Richter zum einen die Auffassung (wegweisend Urt. v. 17. April 2018 – C-414/16Egenberger″), dass gerichtlich voll überprüfbar sei, ob die Religion oder Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Kirche oder einer anderen Organisation darstelle. 

Zum anderen ließen sie erkennen, dass die von einem Chefarzt ausgeübte ärztliche Tätigkeit in ihren Augen nicht erfordere, dass dieser Chefarzt das katholische Eheverständnis befolge, insbesondere nicht, wenn an die leitend tätigen Beschäftigten je nach deren (fehlender) Konfession unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos gestellt werden. Dürfen also protestantische oder konfessionslose Chefärzte weniger loyal zur katholischen Glaubens- und Sittenlehre sein?

Kündigung wegen Verstoß gegen Glaubens- und Sittenlehre als Ungleichbehandlung

Der Chefarzt habe nach Ansicht des Arbeitgebers den nach der katholischen Glaubens- und Sittenlehre heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe missachtet, indem er nach Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte. Die Eingehung einer nach kanonischen Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten verstoße gegen die Glaubens- und Sittenlehre sowie die Rechtsordnung der katholischen Kirche und verletze damit erheblich seine Verpflichtung zu aufrichtigem und loyalem Verhalten im Sinne dieser Lehre. Gegen die Kündigung wehrte sich der Chefarzt vor Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und BAG (Urt. v. 8. September 2011 – 2 AZR 543/10) zunächst erfolgreich. 

Eine unzulässige Ungleichbehandlung wegen der Religion sahen die Gerichte zunächst unter Hinweis auf § 9 Abs. 2 AGG gleichwohl nicht: Es stünde dem katholischen Arbeitgeber grundsätzlich frei, von seinen Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Allerdings habe der katholische Arbeitgeber den der Wiederverheiratung gleichwertigen Verstoß gegen das Selbstverständnis der katholischen Kirche, nämlich das ehelose Zusammenlebens des Chefarztes mit seiner heutigen Ehefrau, seit einigen Jahren gekannt und hingenommen. Auch das zeige, dass die moralische Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert betrachtet wurde und damit die Weiterbeschäftigung des Chefarztes für das katholische Krankenhaus nicht unzumutbar sei. Inkonsequenz in eigener Sache genießt daher nicht den Schutz staatlicher Arbeitsgerichte.

Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des BAG auf die Verfassungsbeschwerde des katholischen Krankenhauses hin mit der Begründung auf, die Gerichte hätten die kirchliche Autonomie und den Prüfungsmaßstab der Kirchen nebst Beurteilungsprärogative verkannt (Beschl. v. 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12). 

Loyalitätspflichten gerichtlich (voll) überprüfbar

Das BAG musste erneut entscheiden und richtete im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zwei Fragen an den EuGH: Das BAG wollte zum einen wissen, ob die Gleichbehandlungsrichtlinie dahingehend auszulegen sei, dass sie einer religiösen Organisation gestatte, von ihren Arbeitnehmern in leitender Stellung, die derselben Konfession wie sie angehören, ein loyaleres und aufrichtigeres Verhalten als von den Arbeitnehmer zu fordern, die einer anderen oder keiner Konfession angehören. Mit anderen Worten: Darf man als katholischer Arbeitgeber an protestantische oder konfessionslose Arbeitnehmer geringere Loyalitätsanforderungen stellen als an katholische Arbeitnehmer? 

Die EuGH-Richter sahen darin unter Umständen eine Diskriminierung wegen der Religion und wiesen ausdrücklich darauf hin, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der vom Chefarzt ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, für die Bekundung des Ethos der Arbeitgeberin nicht notwendig zu sein scheine. Sie scheine somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet würde, dass ähnliche Stellen Beschäftigte anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession seien (protestantische oder konfessionslose Chefärzte). Chefärzte müssen also nicht zwingend katholisch sein. In Ermangelung einer wesentlichen, rechtmäßigen gerechtfertigten beruflichen Anforderung verstoße die Ungleichbehandlung – und mithin die Kündigung – gegen die europarechtliche Gleichbehandlungsrichtlinie.

Verfassungsrecht versus Unionsrecht

Zum anderen stellte das BAG eine Frage, die erhebliches Konfliktpotential birgt: Müssen die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Prinzipien zum kirchlichen Arbeitsrecht wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unberücksichtigt bleiben? 

Der EuGH betont, dass jedenfalls das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts für den Einzelnen zwingenden Charakter habe und eine nationale Vorschrift (z.B. § 9 S. 2 AGG) daher unionsrechtskonform ausgelegt werden müsse. Folglich obliege es im Ausgangsverfahren dem vorlegenden Gericht, die in Rede stehende nationale Vorschrift unangewendet zu lassen, sofern es sich nicht in der Lage sehen sollte, sie unionsrechtskonform auszulegen. Das sind klare Vorgaben an das BAG.

BAG muss nun Mittelweg finden

Dieser Hiobsbotschaft aus Luxemburg zum Trotze erging nur einen Tag später ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, in dem die Autonomie der Kirchen jedenfalls bei sog. verkündungsnahen Tätigkeiten noch einmal bestätigt wurde: An einen Kirchenmusiker, d.h. einem Mitarbeiter im liturgischen Dienst, dürfen gesteigerte Loyalitätsanforderungen gestellt werden, so dass die Trennung von der Ehefrau und die Eingehung einer neuen Partnerschaft, aus der ein Kind hervorgeht, als persönliche Verfehlung eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne (LAG Düsseldorf, Urt. v. 12. September 2018 – 12 Sa 757/17).

Das BAG muss den Chefarztfall neu entscheiden und den Ausgleich zwischen nationalem Verfassungsrecht und europäischen Vorgaben schaffen. Das wird kein leichtes Unterfangen, für kirchliche Arbeitgeber steht einiges auf dem Spiel. Wie nahe stehen leitende Ärzte dem Verkündungsauftrag und dürfen katholische Arbeitnehmer in diesem Sinne strenger beurteilt werden? Der Dritte Weg dürfte steiniger werden.

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