26. Februar 2024
Gesundheitsprämie
Arbeitsrecht

Krankenstand auf Rekordhoch: Was Arbeitgeber tun können

Bei hohen Fehlzeiten können Arbeitgeber gezielt Präventivmaßnahmen ergreifen und wenn das nicht hilft, Konsequenzen ziehen.

Der Krankenstand erreichte 2023 zum zweiten Mal in Folge ein Rekordniveau. Die jüngst veröffentlichte Statistik der DAK spricht eine deutliche Sprache: Im Schnitt fehlte ein Arbeitnehmer* krankheitsbedingt im Jahr 2023 an 20 Tagen auf der Arbeit. Außerdem waren an jedem einzelnen Tag des vergangenen Jahres 55 von 1.000 Arbeitnehmern krankgeschrieben – das entspricht einem Anstieg von 13 % im Vergleich zum Vorjahr und ist zugleich der höchste Wert, den die Krankenkasse für ihre 2,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten seit Beginn der halbjährlichen Analysen im Jahr 2013 gemessen hat.

Ein solch hohes Niveau von Krankenständen stellt eine große Herausforderung für Arbeitgeber dar. Sie sind nicht nur mit der ständigen Organisation von Krankheitsvertretungen konfrontiert, sondern auch mit der kurzfristigen Bewältigung des zusätzlichen Arbeitsaufkommens durch die verbleibende Belegschaft. Die Mehrbelastung durch das zusätzliche Arbeitsaufkommen kann zu Überlastung und Stress führen, was sich negativ auf Produktivität, Arbeitszufriedenheit und womöglich die Gesundheit der arbeitsfähigen Beschäftigten auswirkt. Gleichzeitig verursachen krankheitsbedingte Fehlzeiten erhebliche Kosten: Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft aus September 2023 beliefen sich die Aufwendungen der Arbeitgeber für die Entgeltfortzahlung schon im Jahr 2021 – bei geringerer Krankenquote als 2023 – auf rund EUR 78 Milliarden und erreichten damit ebenfalls ein Rekordniveau. 

Dieser Beitrag befasst sich mit möglichen Maßnahmen des Arbeitgebers gegen hohe Fehlzeiten im Betrieb, und zwar in den Fällen, in denen gesundheitsfördernde (Fürsorge-)Maßnahmen wie das Angebot von Betriebssport, die Schaffung eines gesunden Arbeitsumfeldes, die Förderung der Work-Life-Balance, aber auch Krankenrückkehrgespräche etc. zu keiner hinreichenden Verbesserung (mehr) führen.

Gesundheitsprämien: Mehr Geld für weniger Krankheitstage?

Ein Instrument, um etwa leichtfertigen und nicht zwangsläufig notwendigen Krankmeldungen vorzubeugen, können Gesundheitsprämien sein. Nach § 4a EFZG können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), bei krankheitsbedingten Fehlzeiten in gewissen Grenzen anteilig gekürzt werden. 

Die erwünschten Vorteile einer solchen Prämie liegen auf der Hand. Wer nicht krank oder zumindest nicht arbeitsunfähig krank ist, soll durch monetäre Anreize motiviert werden, auf unnötige Krankmeldungen zu verzichten.

Realistische Ziele setzen – Erreichbarkeit ist entscheidend

Um mit der Gesundheitsprämie das gewünschte Ergebnis zu erzielen, muss die Kürzungsregel für krankheitsbedingte Fehlzeiten realistisch sein. Nur dann ist sie auch positiver Anreiz. Ziel der Gesundheitsprämie kann es nicht sein, Krankmeldungen per se zu verhindern, sondern nur leichtfertige Krankmeldungen. Keinesfalls sollen sich Arbeitnehmer krank zur Arbeit schleppen müssen. Es empfiehlt sich daher, vor der Einführung der Gesundheitsprämie festzulegen, wie viele Krankheitstage den Mitarbeitern für den Erhalt der vollen Prämie zugestanden werden sollen und ab welchem Fehltag die Sondervergütung gekürzt wird. Für die Ermittlung dieses Werts ist eine Fehlzeitenanalyse erforderlich. Analysiert werden sollten in jedem Fall die durchschnittlichen Fehlzeiten im Betrieb, die durchschnittliche Krankheitsdauer, aber auch die Angaben des Statistischen Bundesamts und der Krankenkassen zu Fehlzeiten in der spezifischen Branche.

Kürzungsvereinbarung bei Fehlzeiten – rechtliche Hürden

Gesundheitsprämien müssen eine vom normalen Arbeitsentgelt losgelöste Sondervergütung darstellen, um sie im Falle von Krankheitstagen kürzen zu können. Es muss sich also um eine Leistung handeln, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, vgl. § 4a EFZG. Entscheidend ist, dass die Leistung nicht für einzelne Zeitabschnitte in regelmäßiger Wiederholung gewährt wird. Nicht gekürzt werden können daher z.B. das Grundentgelt, Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter wie Provisionen und Boni oder Sonn- und Feiertagszuschläge.

Grundlage für die Kürzung der Sondervergütung muss stets eine individual- oder kollektivvertragliche Regelung über den Kürzungsmechanismus sein. Eine einseitige Kürzung durch den Arbeitgeber ist in jedem Fall unzulässig. 

Darüber hinaus begrenzt § 4a S. 2 EFZG auch die Höhe der zulässigen Kürzung. Gekürzt werden darf diese Sondervergütung für jeden Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nur um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Im Klartext bedeutet das: Verdient der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer EUR 5.000 im Monat und beträgt die Gesundheitsprämie EUR 2.500, dann hat er ein Jahresentgelt von EUR 62.500. Teilt man diese Summe durch knapp 250 Arbeitstage, dann verdient der Arbeitnehmer EUR 250 am Tag, wovon ein Viertel EUR 62,50 beträgt. Um diesen Betrag kann die Gesundheitsprämie also für jeden krankheitsbedingten Tag gekürzt werden. 

Weitere Rechte des Arbeitgebers bei hohen Fehlzeiten

Wenn die vom Arbeitgeber ergriffenen Fürsorge- und Anreizmaßnahmen keine Wirkung zeigen, können auch drastischere Mittel in Betracht gezogen werden, um hohe Krankheitsstände zu reduzieren. 

Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bereits ab Tag 1

Das EFZG verpflichtet den Arbeitnehmer, ihre Arbeitsunfähigkeit ab dem vierten Tag der Erkrankung ärztlich feststellen zu lassen. Der Arbeitgeber kann aber verlangen, dass der Arbeitnehmer dies bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit tut. Solche Weisungen sind insbesondere dann in Betracht zu ziehen, wenn ein Arbeitnehmer durch wiederholte Kurzerkrankungen, insbesondere unmittelbar vor oder nach dem Wochenende, auffällt oder besondere Umstände den Verdacht begründen, dass eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht wird.

Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Bezweifelt der Arbeitgeber, dass ein krankgeschriebener Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist, ist denkbar, die Entgeltfortzahlung zunächst einzustellen. Allerdings muss der Arbeitgeber in der Lage sein, in einem etwaigen Prozess um Entgeltfortzahlung – sowie einer auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit gestützte Kündigung – den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) zu erschüttern. Das ist nicht so einfach. Der Arbeitgeber kann die Arbeitsunfähigkeit nicht bloß bestreiten. Er muss vielmehr konkrete Umstände darlegen und ggf. beweisen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen

Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts etwa bestehen, wenn der Arbeitnehmer in einem gekündigten Arbeitsverhältnis am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben ist und die Dauer der Krankschreibung genau den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses umfasst (BAG Urteil v. 8. September 2021 – 5 AZR 149/21). Auch Rückdatierungen der AUB können Zweifel begründen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 13. Januar 2015 – 8 Sa 373/14).  Für die Praxis besonders relevant ist zudem eine jüngere Entscheidung des BAG. In diesem Urteil (BAG, Urteil v. 28. Juni 2023 – 5 AZR 335/22) hat das BAG entschieden, dass Verstöße des ausstellenden Arztes gegen Regelungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einer Erschütterung des Beweiswertes führen können. Im Zweifel lohnt sich daher ein Blick in diese Richtlinie, um etwaige Auffälligkeiten der AUB zu identifizieren.

Beteiligung der Krankenkassen – Zusammenhangsfrage und Stellungnahme des Medizinischen Dienstes 

Im Zweifelsfall kann der Arbeitgeber außerdem bei der Krankenkasse eine Zusammenhangsanfrage stellen, um zu prüfen, ob es frühere Arbeitsunfähigkeiten aufgrund derselben Erkrankung gab. Dies kann Hinweise auf ein Grundleiden geben, was zwar für eine gerechtfertigte Arbeitsunfähigkeit spricht, aber im Kündigungsverfahren zur Begründung einer negativen Gesundheitsprognose hilfreich sein kann. Häufige, nicht zusammenhängende Kurzerkrankungen sind hingegen schwerer zu erklären. 

Der Arbeitgeber kann auch die gesetzliche Krankenkasse bitten, ein Gutachten vom Medizinischen Dienst (MD) einzuholen. Der MD ist ein unabhängiges Gremium, das die Kranken- und Pflegekassen in medizinischen Fragen unterstützt. Der MD muss seitens der Krankenkasse eingeschaltet werden, wenn dies nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, um Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen.

Krankheitsbedingte Kündigung

Als letztes Mittel zur Verringerung der Fehlzeiten im Betrieb bleibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, einen Arbeitnehmer aufgrund häufiger bzw. langer Krankmeldungen zu kündigen. Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrtum kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer grundsätzlich während einer Krankheitsphase kündigen, wobei die Krankheit selbst ein möglicher Kündigungsgrund sein kann; lediglich manche Tarifverträge sehen hier Einschränkungen vor.

Gerichtliche Drei-Stufen-Prüfung

Bei der krankheitsbedingten Kündigung erfolgt die gerichtliche Überprüfung in drei Stufen. Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen objektive Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer in Zukunft in ähnlichem Maße krankheitsbedingt fehlen wird. Bei lang andauernden Erkrankungen geht die Rechtsprechung grundsätzlich von einer negativen Prognose aus, wenn der Arbeitnehmer bereits länger arbeitsunfähig erkrankt ist und keine Besserung in absehbarer Zeit in Sicht ist oder wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und mit einer Genesung innerhalb der nächsten 24 Monate nicht zu rechnen ist (BAG, Urteil v. 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14). Bei häufigen Kurzzeiterkrankungen prüfen die Gerichte, ob ein Arbeitnehmer durchschnittlich länger als sechs Wochen pro Jahr in den letzten zwei bis drei Jahren arbeitsunfähig krank war.

Auf der zweiten Stufe wird geprüft, ob die Folgen des Gesundheitszustandes zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers führen. Das sind zum Beispiel erhebliche Lohnfortzahlungskosten, Produktionsausfälle, der Verlust von Kundenaufträgen und dergleichen. 

Im dritten Schritt ist zu untersuchen, ob die bisherigen Beeinträchtigungen den Arbeitgeber unzumutbar belasten. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn mildere Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten nicht möglich sind, wie z.B. die Anpassung des Arbeitsbereichs oder die Beschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz. Hier spielt insbesondere eine gewichtige Rolle, ob der Arbeitgeber ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt hat. Falls nicht, trifft ihn für diesen dritten Schritt eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Zwar ist die Durchführung des bEM an sich keine Voraussetzung für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung. Führt der Arbeitgeber dieses aber nicht ordnungsgemäß durch, dann muss er im Kündigungsschutzprozess umfassend vortragen, dass die Durchführung eines bEM nicht dazu geführt hätte, weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken. Kann er das nicht, kann dies zum Verlust des Kündigungsschutzprozesses führen.

Einzelmaßnahmen können sich auf gesamten Krankenstand auswirken

Festzuhalten ist, dass der Arbeitgeber bei hohen Krankenständen präventive und unterstützende Maßnahmen ergreifen sollte. Reicht dies nicht, kann er sich im Einzelfall repressiver Maßnahmen bedienen. Letztere erzeugen nicht zuletzt auch eine Art „Abschreckungseffekt“ für Kollegen, die gelegentlich „blau machen“.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Arbeitsunfähigkeit AUB Gesundheitsprämie