Das Mindestlohngesetz hat Auswirkungen auf die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag. Die wichtigsten Entscheidungen von Arbeitsgerichten im Überblick.
Die Wirksamkeit von Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen ist vor dem Hintergrund des MiLoG zu einem Thema geworden, das die Arbeitsgerichte intensiv beschäftigt. Allein in den letzten Monaten sind zahlreiche Entscheidungen hierzu ergangen.
Ausgangspunkt ist § 3 Satz 1 MiLoG
Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam.
Wird in einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist der Anspruch auf den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausgenommen, ist diese nach dem Gesetzeswortlaut „insoweit unwirksam″. Damit drängen sich insbesondere folgende Fragen auf:
- Gilt diese Regelung auch für Arbeitsverhältnisse, in denen eine Vergütung oberhalb der durch das MiLoG festgeschriebenen Beträge erfolgt?
- Gilt die Unwirksamkeit auch für Verträge, die vor dem Inkrafttreten des MiLoG am 16. August 2014 abgeschlossen wurden?
- Ist die Ausschlussfrist insgesamt unwirksam oder nur in Bezug auf den Mindestlohn?
- Ist eine Klausel mit einer pauschalen Ausschlussfrist „klar und verständlich“ oder verstößt sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB?
- Gilt diese Vorschrift nur für vertragliche oder auch für tarifliche Ausschlussfristen?
Ausschlussfrist: Geltung auch für Arbeitsverhältnisse außerhalb des Mindestlohnbereichs
Zunächst gehen alle Gerichte einheitlich und ohne weitere Begründung davon aus, dass § 3 Satz 1 MiLoG auch für Arbeitsverhältnisse gilt, in denen eine Vergütung oberhalb der durch das MiLoG festgeschriebenen Beträge erfolgt. Damit sind alle Verträge betroffen.
In Frage steht jedoch die Rechtslage bei Verträgen, die vor bzw. nach Inkrafttreten des MiLoG geschlossen wurden sowie die Reichweite einer etwaigen Unwirksamkeit.
Überblick der Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist
Das BAG hat am 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 entschieden, dass eine Ausschlussklausel, die pauschal „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ umfasst, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoße, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme und insofern nicht klar und verständlich sei. Die Klausel könne deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung, um den es im streitgegenständlichen Fall ging, aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 Satz 1 MiLoG schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein.
Bislang liegt zu dem Urteil lediglich die Pressemitteilung ohne detaillierte Urteilsgründe vor. Aus der Mitteilung ist allerdings zu entnehmen, dass arbeitsvertragliche Verfallklauseln „jedenfalls dann“ insgesamt unwirksam seien, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde.
Das BAG-Urteil lässt mithin offen, welches Schicksal Altverträge mit pauschaler Ausschlussfrist ereilen soll, die vor dem oben genannten Stichtag geschlossen wurden.
In einem Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 AZR 262/17 lies das BAG mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich offen, ob eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist insgesamt unwirksam ist, wenn sie den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnimmt.
Verschiedene Instanzgerichte unterscheiden danach, wann die jeweilige Ausschlussklausel abgeschlossen wurde.
Die Vorinstanz im zuvor beschriebenen Rechtsstreit (BAG aus September 2018), das LAG Hamburg (Urteil vom 31. Januar 2018 – 33 Sa 17/17), differenzierte ebenfalls nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Allerdings stellte es dabei auf einen anderen Stichtag ab, nämlich den des Inkrafttreten des MiLoG am 16. August 2014. Außerdem äußerten sich die Richter zu sog. „Altverträgen“, die vor dem Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen wurden. Bei diesen liege kein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor. In diesen Fällen sei „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ eine einschränkende, das Mindestentgelt nicht umfassende Auslegung geboten, da die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das MiLoG und dessen Inhalt noch nicht kennen konnten. Die Ausschlussklausel falle in der Folge nicht gem. § 306 Abs. 2 BGB ersatzlos weg.
Auch in einem jüngeren Urteil (20. Februar 2018 – 4 Sa 69/17) hatten die Hamburger LAG-Richter hinsichtlich der Wirksamkeit der Vereinbarung danach differenziert, ob die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist vor und nach dem Inkrafttreten des MiLoG vereinbart worden war. Vor Inkrafttreten in Arbeitsverträgen vereinbarte Ausschlussfristen seien nicht vollständig unwirksam, weil § 3 Satz 1 MiLoG die Unwirksamkeit von Ausschlussfristen nur „insoweit“ anordne. Diese Rechtsfolge reiche nicht weiter, als dies zum Schutz des Mindestlohnanspruchs erforderlich sei. Demgegenüber verstoßen Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen bzw. geändert wurden, nach Ansicht der Richter gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn sie den Anspruch auf den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnehmen. Denn solche Ausschlussklauseln bildeten die Rechtslage nach Inkrafttreten des MiLoG nicht mehr zutreffend ab und seien damit nicht klar und verständlich. Vor diesem Hintergrund komme eine geltungserhaltende Reduktion der vereinbarten Ausschlussklausel nicht in Betracht; die Klauseln seien damit gänzlich unwirksam.
Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 6. April 2018 – 11 Sa 40/17) hatte über einen Altvertrag aus der Zeit vor Inkrafttreten des MiLoG zu entscheiden. Das Gericht argumentierte, dass der Ausschluss des Mindestlohns von der Verfallfrist dort noch gar nicht hätte geregelt werden können. Die Verfallsklausel werde deswegen nun auch nicht nachträglich insgesamt intransparent. Andernfalls müssten sämtliche alten Arbeitsverträge angepasst werden. Die Richter beschränkten im Ergebnis die Unwirksamkeit der Klausel auf Ansprüche aus dem MiLoG. Gegen diese Entscheidung wurde Revision unter dem Aktenzeichen 9 AZR 273/18 eingelegt.
Auch das LAG Nürnberg (Urteil vom 9. Mai 2017 – 7 Sa 560/16) hat eine den gesetzlichen Mindestlohnanspruch nicht explizit ausnehmende arbeitsvertragliche Verfallklausel nur für teilweise – also in Bezug auf den Mindestlohn – unwirksam gehalten. Hier ging es ebenfalls um einen Altvertrag, der vor Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen worden war. Nach Auffassung der Nürnberger Richter sei eine Klausel, die ein gesetzliches Verbot nicht wiedergibt, nicht intransparent, sondern nur nach § 134 BGB insoweit unwirksam. Auch gegen das Urteil des LAG Nürnberg wurde Revision eingelegt (9 AZR 262/17).
Keine Beschränkung auf individualvertragliche Ansprüche
Hinsichtlich der Frage einer Beschränkung auf individualvertragliche Ansprüche ist die Rechtsprechung ein Stück weiter – eine höchstinstanzliche Klärung hat bereits stattgefunden.
Das Hessische LAG (Urteil vom 4. Mai 2017 – 19 Sa 1172/16) hatte entschieden, dass das MiLoG keine Beschränkung auf individualvertragliche Ansprüche enthält. Auch von Tarifvertragsparteien getroffene Ausschlussfristen seien unwirksam, wenn sie den Mitarbeiter in der Geltendmachung seines Anspruchs auf Mindestlohn beschränken.
Das BAG hat mit Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 AZR 377/17 diese Entscheidung in der Revision bestätigt: Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohns im Sinne des § 3 Satz 1 MiLoG beschränken, seien insoweit unwirksam. Zu solchen Vereinbarungen gehörten nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Anders als bei Ausschlussfristen, die arbeitsvertraglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart seien, unterlägen Tarifregelungen allerdings gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Transparenzkontrolle. Die vom LAG Nürnberg zuvor aufgeworfene Thematik ‑Unwirksamkeit versus Intransparenz ‑stellt sich hier mithin nicht.
Rechtsprechung zu Branchenmindestentgelten
Mit einem Sonderfall befasste sich das BAG bereits im Jahr 2016: Mit Urteil vom 24. August 2016 – 5 AZR 703/15 entschied der 5. Senat, dass eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung aus der Zeit vor Inkrafttreten des MiLoG, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV erfasst, insgesamt unwirksam ist.
In dem eingangs beschriebenen Urteil vom 18. September 2018 hat das BAG nun den „spiegelbildlichen″ Fall entschieden. Zu Erinnerung: Hier war die Ausschlussklausel nach dem Inkrafttreten des MiLoG geschlossen worden. Das BAG hat konsequenterweise geurteilt, dass auch hier die Ausschlussklausel insgesamt unwirksam ist.
Ob die „Spezial″-Rechtsprechung des BAG aus dem Jahr 2016 für Ausschlussfristenregelungen vor Inkrafttreten des MiLoG auch in Bezug auf Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn entsprechend MiLoG gilt, ist bis dato offen. In Anbetracht der zahlreichen ausstehenden Revisionen wird es diesbezüglich aber sicherlich bald Klarheit geben. Im Moment gibt es jedenfalls keine verbindliche Aussage der höchsten Richter zu Altverträgen.
Ausblick zur Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag
Arbeitgeber sind derzeit jedenfalls gut beraten, ihre arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen in Neuverträgen zu überprüfen und unverzichtbare Ansprüche, wie beispielsweise die des MiLoG, von diesen auszunehmen.