Das neue „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ soll die Rechte von Betriebsräten stärken und die Gründung von Betriebsräten erleichtern.
Nachdem noch vor wenigen Wochen das Betriebsrätestärkungsgesetz im Kabinett aufgrund Vorbehalte in der CDU schon gar nicht erst behandelt wurde, verhilft ihm jetzt ein Kuhhandel: Verlängerung der Erntehelfer-Regelung gegen Betriebsrätemodernisierungsgesetz (neuer Name nach Beratung mit Marketing-Experten) zum Durchbruch.
Mit knackigen Worten verkündete Heil seinen Erfolg:
Wir wollen, dass es wieder mehr Betriebsräte in Deutschland gibt,
sagte Heil am Mittwoch in Berlin. Beschäftigten* solle Mut gemacht werden, solche Gremien zu gründen. Das Gesetz sei eine klare Ansage an Arbeitgeber, die Betriebsratsgründungen verhindern wollen.
Ich sage dies gerade im Blick auf einige US-amerikanische Konzerne, die Mitbestimmungsrechte mit Füßen treten. Wer versucht, Betriebsratswahlen zu verhindern, Betriebsräte zu schikanieren oder ihre Arbeit zu behindern, hat mich zu einem entschiedenen Gegner.
Erklärtes Ziel des hartnäckigen Arbeitsminister Heil, im engen Schulterschluss mit den Gewerkschaften, ist es, die Gründung und die Wahl von Betriebsräten zu erleichtern.
Zur Darstellung des Problems und zur Rechtfertigung des Entwurfs stützt sich das Ministerium auf Zahlen des gewerkschaftsnahen Instituts für Arbeit- und Berufsforschung. Danach verfügen noch 9 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland und 10 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland über einen Betriebsrat, ein Rückgang von 3 Prozent bzw. 1 Prozent in 23 Jahren. Rund 41 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Westdeutschland sowie 36 Prozent in Ostdeutschland werden von Betriebsräten vertreten. Um diesem Trend entgegenzutreten, sind eine Reihe von Neuregelungen beabsichtigt.
Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens
Das sog. vereinfachte Wahlverfahren ist in Betrieben mit bis zu 50 Arbeitnehmern bereits verpflichtend. Es soll nun auf Betriebe mit bis zu 100 Arbeitnehmern ausgeweitet werden. Bisher konnte es in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern freiwillig durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber durchgeführt werden. Künftig soll diese freiwillige Vereinbarungsmöglichkeit in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern möglich sein.
Ob das Ziel der vermehrten Gründung von Betriebsräten dadurch erreicht werden wird, darf bezweifelt werden. Das sog. vereinfachte Wahlverfahren zeichnet sich vor allem durch verkürzte Fristen aus und nicht durch eine wirkliche Vereinfachung. Es bleibt ein komplexes Verfahren. Der Grund für die relativ geringe Anzahl an Betriebsräten dürfte eher darin zu sehen sein, dass in den kleineren Betrieben die Kommunikation direkt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne dazwischen geschalteten Betriebsrat abläuft.
Erweiterung des Kündigungsschutzes bei Gründung von Betriebsräten
Geplant ist ferner die Ausweitung des bisher schon bestehenden Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer, die zu einer Betriebsratswahl einladen sowie die erstmalige Einführung eines besonderen Kündigungsschutzes für sog. Vorfeld-Initiatoren einer solchen Wahl. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass es nach einer kürzlich durchgeführten Befragung hauptamtlicher Gewerkschafter (2019) in 1,6 Prozent der untersuchten Betriebe zu Behinderungen und bei 15,6 Prozent von Erstwahlen zu Versuchen von Behinderungen kam. Zumindest bei der ersten Zahl regen sich Zweifel an der statistischen Relevanz.
Bislang sind die ersten drei Arbeitnehmer, die in der Einladung zur Wahl stehen, nicht ordentlich kündbar. Künftig soll dieser Kündigungsschutz auf die ersten sechs Arbeitnehmer, die auf der Liste stehen, ausgeweitet werden. Sog. Vorfeldinitiatoren der Wahl sollen hingegen in unbegrenzter Zahl ab Abgabe einer öffentlich beglaubigten Erklärung, dass sie einen Betriebsrat gründen möchten, ebenfalls für max. drei Monate nicht ordentlich kündbar sein.
Allerdings gilt der Kündigungsschutz nicht für betriebsbedingte Kündigungen, um wohl dem praktischen Problem entgegenzutreten, dass sich bei einem bereits bekanntgegebenen Personalabbau eine unbegrenzte Anzahl von Arbeitnehmern bei der Vorbereitung der Wahl engagieren. Bei außerordentlichen Kündigungen beider Gruppen muss die vorherige Zustimmung des Betriebsrates bzw. des Arbeitsgerichtes eingeholt werden.
Recht auf Homeoffice durch die Hintertür?
Nachdem im letzten Jahr Arbeitsminister Heil mit einem allgemeinen Recht auf Homeoffice vor allem bei der Kanzlerin gescheitert war, kommt jetzt die abgeschwächte Fassung: Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei der „Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.″
Die Kritik an dieser Vorschrift in Kürze:
- Definitorische Schwächen und Abgrenzungsprobleme (Beispiel: Anwältin nur mit Papierakte vs. Anwalt mit e-Akte und Laptop).
- Es gibt schon zahlreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei mobiler Arbeit: Welche Lücke soll gefüllt werden? Die Gesetzesbegründung spricht selbst nur von einem Auffangtatbestand. Hier wird nur politisches Marketing angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen betrieben.
- Last but not least: Auch wenn der Gesetzesentwurf nicht müde wird zu betonen, dass der Arbeitgeber über das „Ob″ des mobilen Arbeitens entscheidet, d.h. der Betriebsrat also kein Initiativrecht hat, erzeugt die neue Vorschrift Druck und Erwartungen bei jeder Belegschaft. Vor einem halben Jahr hat die Bundesregierung noch das Recht auf Homeoffice mit Begründung, das würde die Wirtschaft zu sehr belasten, abgelehnt.
Leider nur unzureichende Digitalisierungsversuche
Dem Entwurf zufolge soll es künftig möglich sein, ausnahmsweise und partiell Sitzungen über Video- und Telefonkonferenz durchzuführen. Präsenzsitzungen sollen aber die Regel bleiben.
Momentan ist pandemiebedingt aufgrund des temporär eingefügten § 129 BetrVG viel mehr möglich: Nahezu alle Zusammentreffen können virtuell durchgeführt werden. Eine regelmäßige, im Gesetz abgesicherte Möglichkeit einer Teilnahme durch Video- und Telefonkonferenz würde die Gleichbehandlung der Geschlechter fördern und helfen, Benachteiligungen wegen Behinderung zu verringern. Insbesondere für viele teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmervertreter, die in vielen Branchen sehr oft Frauen sind, ist eine Teilnahme an überörtlichen Sitzungen nur schwer möglich.
Positiv zu bewerten ist, dass künftig die Möglichkeit bestehen soll, Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abzuschließen.
Belastung durch Sachverständigen für KI
Geplant ist auch die obligatorische Heranziehung eines Sachverständigen für künstliche Intelligenz, soweit der Betriebsrat im Rahmen seiner Aufgaben KI zu beurteilen hat. Die soll dauerhaft und ohne Erforderlichkeitsprüfung geschehen.
Dies wird zu einer starken finanziellen Belastung der Unternehmen führen. Ein solcher Sachverständiger wäre beispielsweise schon bei der Einführung einfachster Textverarbeitungssoftware erforderlich, insbesondere wenn ein ständiger Sachverständiger eingesetzt wird. Im Entwurf wird unter der Rubrik „Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft″ für den Sachverständigen ein Tagessatz von rund EUR 800 angesetzt. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass er nur ein Tag pro Jahr notwendig ist. Beide Annahmen sind völlig realitätsfern und zudem nicht auf Rechte des Betriebsrates nach § 87 I BetrVG beschränkt.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum vom bewährten Grundsatz abgewichen werden soll, dass der Betriebsrat interne Expertise vorrangig nutzen muss.
Ausbleiben von erhofften Klarstellungen im Datenschutzrecht
Der Arbeitgeber soll nun Verantwortlicher nach der DSGVO und dem BDSG werden. Die hohen Haftungsrisiken, die mit hohen Bußgeldern verbunden sind, müssen damit von ihm getragen werden. Leider wird hier auch versäumt, die Rolle des Datenschutzbeauftragen im Verhältnis zum Betriebsrat zu klären, die schon lange strittig ist, z.B. welche Kontrollmöglichkeiten er gegenüber dem Betriebsrat hat. Dazu reicht auch nicht die Aussage, dass der Betriebsrat die Vorschriften des Datenschutzes einzuhalten hat.
Fazit: Betriebsrätemodernisierungsgesetz setzt der Wirtschaft zu
Das Betriebsverfassungsgesetz soll an vielen Stellen geändert werden, leider aber nicht an den Stellen, an denen es den dringendsten Reformbedarf gibt: Z.B. dem Betriebsbegriff, neue Formen der Arbeitnehmervertretungen (z.B. unternehmensübergreifend oder in einer Matrixstruktur) sowie die völlig übermächtige Bedeutung des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 I 1 Nr. 6 BetrVG bei jedem Update/new release einer Software. Die finanziellen Belastungen, die dadurch auf die Unternehmen zukommen werden, kommen schließlich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.