Es war bislang gängige Praxis, dass sich abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (sog. Syndikusanwälte) im Rahmen ihrer abhängigen Beschäftigung in Unternehmen zur Rechtsanwaltschaft zuließen. Dadurch waren sie Pflichtmitglieder in den berufsständischen Versorgungswerken. Um die in Beschäftigungsverhältnissen grundsätzlich fälligen Beiträge zur Rentenversicherung vollständig in das Versorgungswerk einbringen zu können, musste ein Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) gestellt werden. Diesen Befreiungsanträgen wurde in der Vergangenheit häufig entsprochen.
Bereits seit einiger Zeit wurde diese Befreiungspraxis durch die DRV Bund restriktiver gehandhabt. Hintergrund hierfür waren die Urteile des BSG vom 31.10.2012 (B 12 R 8/10 R und B 12 R 3/11 R): Hier hatte der damals noch zuständige 12. Senat des BSG entschieden, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die jeweilige zugrundeliegende Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt sei und die jeweilige Tätigkeit derjenigen eines Rechtsanwalts gleichstehen müsse.
Die Vier-Kriterien-Theorie
Ob eine solche anwaltliche Tätigkeit vorliegt, bestimmte die DRV Bund anhand der sog. Vier-Kriterien-Theorie. Demnach musste die zu beurteilende Tätigkeit kumulativ die Merkmale Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung erfüllen. Diesem Ansatz folgte die überwiegende Zahl an Sozial- und Landessozialgerichten.
In den drei Revisionsverfahren vor dem BSG (Aktenzeichen B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R sowie B 5 RE 13/14 R) ging es im Kern um die Frage, ob Syndikusanwälte gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind. Sowohl die DRV Bund als auch die Versorgungswerke sprachen sich im Laufe der mündlichen Verhandlungen für die Beibehaltung der Vier-Kriterien-Theorie als sog. „Friedensgrenze″ zwischen beiden Trägern aus, wünschten sich vom BSG jedoch Klarheit über die rechtliche Einordnung von Syndikusanwälten innerhalb dieser Kriterien.
Wohl generell keine Befreiung von der Versicherungspflicht mehr
Mit seinen Urteilen vom 03.04.2014 hat der 5. Senat des BSG nunmehr entschieden, dass abhängig beschäftigte Rechtsanwälte – und auch ausdrücklich der Europäische Rechtsanwalt – generell nicht mehr von der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden können. Das Sozialgesetzbuch sehe eine grundsätzliche Versicherungspflicht für abhängig Beschäftigte in der gesetzlichen Rentenversicherung vor. Eine Befreiung von der grundsätzlichen Versicherungspflicht sei daher nach dem Konzept der abgestuften Schutzwürdigkeit und nach der Systematik nicht geboten.
§ 6 SGB VI sei als Kollisionsnorm zu verstehen, sofern aufgrund einer abhängigen Beschäftigung eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und aufgrund der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und damit der Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk eine „Schnittmenge″ bestünde. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei – anders als die Frage der Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI – jedoch personenbezogen und tätigkeitsunabhängig.
Ein Syndikus ist ein Syndikus und kein Rechtsanwalt
Nach Ansicht der Richter könne „nach gefestigter verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der BRAO […] derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig″ werden. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege könne der Syndikus nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses tätig werden, sog. Zweiberufe-Theorie.
Dies folge auch daraus, dass der Bundestag einen entsprechenden Gesetzesentwurf, wonach auch Syndikusanwälte von § 6 SGB VI erfasst sein sollten, ausdrücklich abgelehnt habe.
Weiterhin führte das BSG aus, dass es den vertragsschließenden Parteien nicht möglich sein darf, durch Stellenbeschreibungen Einfluss auf die gesetzliche Versicherungspflicht zu nehmen. Auf die Vier-Kriterien-Theorie komme es nach Ansicht des BSG letztlich daher nicht an.
Dem stünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Insbesondere gäbe es keinen Grundsatz zur Vermeidung einer Doppelversicherung und auch kein Wahlrecht auf die individuell günstigste Rentenversicherung.
Rechtsprechung gilt nicht für in Kanzleien angestellte Anwälte
Ausdrücklich ausgenommen von dieser Rechtsprechung hat das BSG – jedenfalls in der mündlichen Urteilsbegründung gestern – hingegen angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien. Worin genau das BSG hier den sozialversicherungsrechtlich relevanten Unterschied zu Unternehmensjuristen erkennt, bleibt jedenfalls bis zur Bekanntmachung der Urteilsgründe unklar.
Immerhin erkennt das BSG wohl – so jedenfalls die mündlichen Ausführungen des Senatsvorsitzenden – einen Vertrauensschutz für bereits befreite Rechtsanwälte in den Fortbestand der Befreiungsentscheidung an. Dies ergäbe sich aus dem Umstand, dass die DRV Bund selbst die Vier-Kriterien-Theorie befördert und angewandt habe. Für solche Unternehmensjuristen ändert sich also wohl zunächst nichts. Wie weit der Vertrauensschutz genau reicht und über die sonstigen Auswirkungen der Urteile des BSG vom 03.04.2014 für Syndikusanwälte und die Unternehmen, wird aber noch zu diskutieren sein.