4. Dezember 2014
Gesetzlicher Mindestlohn bei Auslandsbezug
Arbeitsrecht

Probleme mit dem gesetzlichen Mindestlohn bei Auslandsbezug!?

Ab dem 1. Januar 2015 gilt ein Mindestlohn von EUR 8,50. Er ist auch dann zu zahlen, wenn eine nur kurze Tätigkeit im Inland vorliegt.

Mit Wirkung vom 16. August 2014 ist das umstrittene Tarifautonomiestärkungsgesetz in Kraft getreten. Damit trat auch das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) in Kraft. Das Gesetz sieht ab dem 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von EUR 8,50 brutto pro Zeitstunde vor.

Im Rahmen der aktuell geführten Diskussionen geht es zumeist um die Anrechenbarkeit von Vergütungsbestandteilen, die Haftung bei der Beauftragung von Werk- bzw. Dienstleistungen oder aber um die Ausnahmen im Anwendungsbereich und – damit verbunden – die Auswirkungen auf Praktikantenstellen.

Wenig diskutiert wird bisher, ob der Mindestlohn ohne jede Einschränkung auch dann zu zahlen ist, wenn ausländische Arbeitskräfte in Deutschland oder aber deutsche Arbeitskräfte im Ausland tätig sind. Diese Frage stellt sich insbesondere im Bereich des grenzüberschreitenden Gütertransports.

Die gesetzliche Regelung

§ 20 MiLoG gibt vor, dass Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland jedenfalls ab dem 1. Januar 2015 verpflichtet sind, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen.

Nach dem Wortlaut der Norm sollen auch ausländische Arbeitnehmer unter den gesetzlichen Mindestlohn fallen, wenn diese nur kurzfristig in Deutschland beschäftigt werden. Eine bestimmte Mindestdauer der Inlandstätigkeit verlangt das Gesetz nicht; sie spielt also offenbar keine Rolle.

Man könnte allenfalls überlegen, ob der Gesetzgeber mit dem Begriff „Beschäftigung″ den sozialrechtlichen Beschäftigungsbegriff nach § 7 SGB IV und damit verbunden eine Eingliederung in einen deutschen Betrieb im Blick hatte. Ein solches Begriffsverständnis kann man aber weder den Gesetzesmaterialien entnehmen, noch finden sich sonst Anhaltspunkte dafür, dass ausländische Arbeitnehmer mit einem nach ausländischem Arbeitsrecht abgeschlossenen Arbeitsvertrag, ausgenommen sein sollen.

Im Gegenteil, das MiLoG zielt auf eine möglichst umfassende Geltung des Mindestlohns; dieser soll nach § 1 MiLoG jeder Arbeitnehmerin / jedem Arbeitnehmer – und damit offenbar auch ausländischen Arbeitnehmern bei einer nur sehr kurzzeitigen Tätigkeit in Deutschland – gezahlt werden.

Deutsches Recht nicht immer anwendbar

Doch kann das MiLoG überhaupt einschränkungslos auf ausländische Arbeitnehmer Anwendung finden? Diese Frage richtet sich nach dem sogenannten Arbeitsvertragsstatut, also dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht.

Art. 8 Rom I-VO sieht hierzu primäre zwei Regelanknüpfungen vor, zum einen der gewöhnliche Arbeitsort und, falls ein solcher nicht vorhanden ist, zum anderen die einstellende Niederlassung.

Sofern es sich bei der Beschäftigung des Ausländers in Deutschland lediglich um eine kurzzeitige Tätigkeit handelt (z. B. den Transport von Waren in eine deutsche Stadt), dürfte in aller Regel das ausländische Vertragsstatut anwendbar bleiben. Das MiLoG würde daher auf dieses Arbeitsverhältnis als deutsche Norm zunächst keine Anwendung finden.

MiLoG anwendbar bei öffentlichen Belangen

Allerdings kann das Arbeitsvertragsstatut durch öffentliche Belange eines Staates eingeschränkt werden, wobei eine solche Einschränkung nicht ausdrücklich erfolgen muss sondern auch durch Auslegung ermittelt werden kann.

Die Rom I-VO sieht in Art. 9 Rom I-VO vor, dass unabhängig vom geltenden Vertragsstatut bestimmte Vorschriften des jeweiligen nationalen Rechts auf alle von der Vorschrift erfassten Sachverhalte Anwendung zu finden haben (sog. Eingriffsnormen). Es muss sich dabei um Vorschriften handeln, die vom Gesetzgeber als so elementar angesehen werden, dass sie sich bei Inlandsbezug aus deutscher Perspektive auch gegenüber einem an sich anwendbaren fremden Recht durchsetzen. Ob dies der Fall ist, muss – wie so häufig – anhand des Einzelfalls überprüft werden. Die MiLoG-Materialien enthalten auch hierzu nämlich keine Aussage.

§§ 1 und 20 MiLoG bringen die elementare Bedeutung des Mindestlohns deutlich zum Ausdruck, z. B. indem der gesetzliche Mindestlohn auch auf ausländische Arbeitgeber erstreckt wird.

Der deutsche Mindestlohn dürfte sich daher gegen ausländisches Recht durchsetzen; er ist bereits dann zu zahlen, wenn eine Tätigkeit im Inland vorliegt (vgl. oben).

Durchbrechung des Grundsatzes aufgrund der Dienstleistungsfreiheit?

Weiter überlegt werden könnte, ob sich aufgrund der Dienstleistungsfreiheit, insbesondere vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zu den Tariftreuegesetzen noch etwas anderes ergibt.

Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen öffentlichen Auftraggebern vorgeschrieben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehen Entgelt zu zahlen, seien nicht mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) zu vereinbaren. So entschieden vom EuGH in der Rechtssache Rüffert (EuGH, Urteil vom 3. April 2008 – C-346/06).

Die Richterbegründen dies insbesondere damit, dass durch die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts den ausländischen Leistungserbringern eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung auferlegt würde, die geeignet sei, die Erbringung ihrer Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Eine solche Maßnahme stelle daher eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar, die es zu rechtfertigen gelte.

Übertragung der Argumentation des EuGH auf den gesetzlichen Mindestlohn?

Durch eine Verpflichtung der ausländischen Leistungserbringer, ihren Arbeitnehmern den in Deutschland geltenden Mindestlohn zu bezahlten, wenn sie – ggf. auch nur für sehr kurze Zeit – in Deutschland tätig sind, würde diesen zweifelsohne eine erhebliche Belastung auferlegt und ein Wettbewerbsvorteil genommen.

Liest man die Entscheidung des EuGH in der Sache Rüffert und die RL 96/71/EG, so muss man wohl zu dem Ergebnis kommen, dass der gesetzliche Mindestlohn auch auf ausländische Arbeitnehmer ausgedehnt werden kann.

Der EuGH kam in der Sache Rüffert überhaupt erst zur Prüfung der Dienstleistungsfreiheit, weil das konkrete Tariftreuegesetz selbst keine Mindestlohnsätze enthielt und auf einen nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag verwies. Art. 3 der RL 96/71/EG war somit nicht einschlägig. Diese regelt aber gerade, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass unabhängig vom Vertragsstatut, die ausländischen Leistungserbringer den entsandten Arbeitnehmern die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die dort durch Rechtsvorschrift festgelegt sind, worunter nach Art. 3 Abs. 1 2. Spiegelstrich lit. c) insbesondere Mindestlohnsätze fallen. Demnach kann die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Rüffert hier nicht übertragen werden, da die Richtlinie insoweit eindeutig ist.

Keine Ausnahmen vorgesehen

Sieht das MiLoG also vor, dass auch den ausländischen Arbeitnehmern für Beschäftigungszeiten in Deutschland der Mindestlohn zu zahlen ist, so dürfte dies auch mit Unionsrecht vereinbar sein. Die Mitgliedstaaten hätten die Möglichkeit auch Ausnahmen dergestalt vorzusehen, dass die Mindestlohnsätze dann nicht zu zahlen sind, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt oder wenn der Umfang der verrichteten Arbeiten gering ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 5 RL 96/71/EG). Solche Ausnahmen hat der deutsche Gesetzgeber im MiLoG aber nicht vorgesehen.

Umgekehrt ist der gesetzliche Mindestlohn an deutsche Arbeitnehmer, die vorübergehend im Ausland beschäftigt werden, nicht zu zahlen. Zwar findet weiterhin das deutsche Vertragsstatut und damit das MiLoG auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Allerdings sieht das MiLoG nur dann eine Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns vor, wenn die Tätigkeit im Inland erbracht wurde.

Wegen der gesetzlich angeordneten Haftung dafür, dass auch im Rahmen von (unter)beauftragten Werk- bzw. Dienstleistungen der Mindestlohn gezahlt wird, muss sich mit dieser Problematik – ebenso wie mit dem MiLoG allgemein – grundsätzlich jedes Unternehmen beschäftigen!

 

 

 

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