13. Juli 2015
Transportunternehmen MiLoG
Arbeitsrecht

MiLoG im gerichtlichen Kreuzfeuer des BVerfG!

Können ausländische Transportunternehmen der gesetzlichen Mindestlohnpflicht unterworfen werden? Das BVerfG weist auf rechtliche "Stolpersteine" hin.

Die Einführung eines gesetzliches Mindestlohns war wesentlicher Bestandteil eines politischen Kompromisses zwischen Union und SPD, der letztlich die Bildung der Großen Koalition im Jahr 2013 ermöglichte und letztlich mit dem Inkrafttreten des MiLoG mit Wirkung zum 01. Januar 2015 umgesetzt wurde. In dem Gesetz ist geregelt, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber hat. Dieser beträgt ab dem 01. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde.

Ein MiLoG mit inhaltlichen vielen Baustellen…

Das MiLoG weist dabei zahlreiche strukturelle Mängel auf, die auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht „geheilt″ wurden. So ist mithin noch vollkommen unklar, welche vom Arbeitgeber bereits vor Inkrafttreten des Mindestlohns „freiwillig″ gewährte Vergütungsbestandteile auf diesen anzurechnen sind, um festzustellen, ob ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern tatsächlich den gesetzlichen Mindestlohn zahlt. Sind dabei Zuschläge und Zulagen oder sogar Weihnachts- und Urlaubsgeld zu berücksichtigen? Und was ist mit leistungsabhängigen Prämien oder Boni? Mit diesen Fragen lässt der Gesetzgeber den Anwender allein und weist die Aufgabe der Gesetzeskonkretisierung den Gerichten zu.

… politischem Widerstand …

Zudem regte sich (erheblicher) politischer Widerstand gegen das MiLoG, so dass sich das BMAS nach dessen Inkrafttreten durch rechtlich zweifelhafte „Interpretationen″ zum Anwendungsbereich äußern musst, z.B. zur Herausnahme von Amateursportlern.

… „Rüge“ durch die Europäische Kommission …

Das MiLoG verursachte auch europarechtlichen Ungemach. Die Anwendung des MiLoG auf den Transitverkehr durch das Inland war zuvor insbesondere von polnischen und tschechischen Politikern erheblich kritisiert worden, so dass sich die Bundesregierung schon im Januar 2015 veranlasst sah, die Anwendung des MiLoG Transitfahrten (zeitlich begrenzt) auszusetzen. Es schaltete sich sogar die Europäische Kommission ein, indem diese ein sog. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Anwendung des deutschen Mindestlohnes auf den Transitverkehr und bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen einleitete. Darin sieht die Kommission eine unverhältnismäßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs. Hierdurch würden unangemessene Verwaltungshürden aufgestellt, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behinderten.

… und nun auch vor dem BVerfG

Zuletzt musste sich sogar das BVerfG mit dem MiLoG befassen: 14 auch in Deutschland tätige Transport- und Logistikunternehmen aus Österreich, Polen und Ungarn wendeten sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die sich aus dem MiLoG ergebenden Pflichten (Meldepflicht nach § 16 MiLoG, Dokumentationspflicht nach § 17 Abs. 2 MiLoG und Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 MiLoG). Zugleich wurde der Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, um die Vorschriften bis zur Hauptsacheentscheidung für Transportunternehmen mit Sitz im EU-Ausland, die Transport-, Kabotage- und grenzüberschreitende Fahrten im Inland erbringen, vorläufig außer Kraft zu setzen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 25.06.2015 – 1 BvR 555/15). Die Transportunternehmen seien gehalten, zunächst den fachgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sei eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden könne. Diese Pflicht bestehe nur in Ausnahmefällen nicht, insbesondere wenn die Anrufung der Fachgerichte unzumutbar sei. Dies sei hier nicht der Fall. Es sei zwar unzumutbar, zur Eröffnung des fachgerichtlichen Rechtswegs zunächst gegen die bußgeldbewehrten Pflichten aus dem MiLoG zu verstoßen, um auf diese Weise eine Prüfung der angegriffenen Normen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu ermöglichen. Der Grundsatz der Subsidiarität reiche jedoch weiter. Hier bestehe die Möglichkeit, vor den Fachgerichten auf Feststellung zu klagen, nicht zu den nach § 16, § 17 Abs. 2 und § 20 MiLoG gebotenen Handlungen verpflichtet zu sein. Derartige negative Feststellungsklagen seien nicht von vornherein unzulässig, denn es liegt nahe, dass die Fachgerichte ein Feststellungsinteresse als gegeben ansehen würden.

Die vorherige Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Fachgerichte erscheine auch geboten. Deren Entscheidungen seien geeignet, die in der fachrechtlichen Diskussion bereits aufgeworfenen Unklarheiten bezüglich der Reichweite des MiLoG aufzubereiten; sie könnten damit auch die Bewertung des Gesetzes in verfassungs- wie unionsrechtlicher Hinsicht beeinflussen. Klärungsbedürftig sei insbesondere, ob die Voraussetzung einer Beschäftigung im Inland wie im Sozialversicherungsrecht zu verstehen sei, ob ausnahmslos jede, auch nur kurzfristige Tätigkeit auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Inlandsbeschäftigung darstelle oder ob etwa eine bestimmte Dauer oder ein Bezug zu den deutschen Sozialversicherungssystemen und zu den Lebenshaltungskosten in Deutschland vorauszusetzen sei. Dabei stellte sich auch die Frage, ob eine Mindestlohnpflicht bei kurzzeitigen Einsätzen in Deutschland erforderlich sei, um die mit dem MiLoG verfolgten Ziele zu erreichen.

Die Beschreitung des fachgerichtlichen Rechtswegs sei nicht deshalb unzumutbar, weil die Unternehmen den Eintritt schwerer Nachteile bei Fortgeltung des MiLoG befürchten müssten. Es bestünden Zweifel an einer hinreichenden Substantiierung, soweit Insolvenzrisiken der betroffenen Spediteure behauptet, aber nicht mit Bilanzen belegt worden seien. Jedenfalls könne zur Vermeidung von Nachteilen insoweit vorläufiger Rechtsschutz der Fachgerichte in Anspruch genommen werden. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledige sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

BVerfG gibt Hinweise auf rechtliche Schwachstellen des MiLoG

Die Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde, die sich – wie im Fall des MiLoG – unmittelbar gegen die Anwendung eines Gesetzes richten, sind hoch. Dies verdeutlicht die Entscheidung des BVerfG zum MiLoG in sehr veranschaulichender Art und Weise, indem das Gericht die beschwerdeführenden Transportunternehmen zunächst auf den fachgerichtlichen Rechtsweg verweist. Diese hätten – und insoweit gibt das BVerfG einen praxisdienlichen Hinweis – zunächst bei den „normalen″ Gerichten eine Klage auf Feststellung erheben müssen, dass für die ausländischen Transportunternehmen die streitbefangenen Vorschriften des MiLoG keine Pflichten begründen. Damit ist der Weg aufgezeigt, den es zu beschreiten gilt, um eine (gerichtliche) Klärung herbeizuführen, ob diese tatsächlich zu beachten sind oder nicht.

Vor diesem Hintergrund sind insbesondere die (inhaltlichen) Ausführungen des BVerfG trotz der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde aufgrund der Unzulässigkeit interessant: das Gericht weist deutlich darauf hin, dass zahlreiche rechtliche „Stolpersteine″ existieren, ob ausländische Transportunternehmen tatsächlich (uneingeschränkt) der Mindestlohnpflicht unterworfen werden können. Dies haben die beiden Autoren bereits kurz nach Inkrafttreten des MiLoG in einem Fachartikel (ArbRAktuell 2015, 4) angemerkt und geltend gemacht, dass der Begriff der Beschäftigung von Fahrern ausländischer Speditionen im Inland nicht jeden kurzfristigen Einsatz in Deutschland und auch keine Transitfahrten erfasst. Das BVerfG nimmt diesen Gedanken explizit unter Verweis auf den obigen Aufsatz auf (s. Rn. 12 und 14 des Beschlusses vom 25.06.2015).

Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob die ausländischen Speditionsunternehmen – wie vom BVerfG „vorgezeichnet″ – fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, um die Frage der Anwendung der Vorschriften des MiLoG zu klären. Dieser Weg dürfte vor dem Hintergrund der Ausführungen des BVerfG durchaus erfolgsversprechend sein.

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