15. November 2019
Scheinselbständigkeit Rückabwicklung Vergütung
Arbeitsrecht

Scheinselbständigkeit kann teuer werden – auch für den freien Mitarbeiter

Rückabwicklung bei Scheinselbständigkeit: Arbeitgeber kann erfolgte Zahlungen in Höhe der Differenz von tatsächlicher zu üblicher Vergütung zurückfordern.

Eine Arbeitgeberin klagte gegen einen früheren Beschäftigten auf Lohnrückzahlung, nachdem dieser vermeintlich als freier Mitarbeiter, tatsächlich jedoch als Arbeitnehmer, zwischen 2001 und 2009 IT-Leistungen für das Unternehmen erbracht hatte. Da dem Beklagten als Arbeitnehmer deutlich weniger Lohn zugestanden habe, forderte die Klägerin über EUR 100.000 zurück.

In den ersten beiden Instanzen blieb die Arbeitgeberin erfolglos – das BAG gab ihr nun recht (BAG, Urteil v. 26. Juni 2019 – 5 AZR 178/18).

Freier Mitarbeiter stellte Antrag auf Statusfeststellung

Der Beklagte wurde acht Jahre lang ohne festen Stundenumfang und zunächst nur aufgrund mündlicher Vereinbarung als freier Mitarbeiter beschäftigt. Sein Honorar belief sich anfangs auf EUR 28,12 pro Stunde und wurde schrittweise erhöht. Zuletzt betrug es EUR 60,00 pro Stunde.

Nach seiner Kündigung im März 2009 stellte der Beklagte bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf Feststellung, dass er während seiner gesamten Tätigkeit bei der Klägerin – entgegen der von den Parteien dokumentierten und ursprünglich beabsichtigten Regelungen – nicht als freier Mitarbeiter tätig, sondern vollumfänglich sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen war. Diesem Antrag gab die Deutsche Rentenversicherung statt.

Nachdem sich die Arbeitgeberin erfolglos dagegen wehrte, wurde sie für die Zeit von Dezember 2004 bis März 2009 auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen, wobei sich der Arbeitgeberanteil auf rund EUR 6.000,00 belief.

Arbeitgeberin verlangt Rückzahlung des über die „übliche Vergütung“ hinaus zu viel gezahlten Honorars

Das Unternehmen entschied sich sodann, gegen den ehemaligen Beschäftigten vorzugehen, und verklagte den Arbeitnehmer vor dem ArbG auf Rückzahlung von EUR 106.000,00 . Dies begründete die Klägerin damit, dass der Beklagte, anders als zunächst angenommen, Arbeitnehmer gewesen sei und die vereinbarte Vergütung in diesem Fall nicht gelte.

Da mit Blick auf die Arbeitnehmereigenschaft keine Vergütung vereinbart war, habe nur ein Anspruch auf die übliche Vergütung eines entsprechend seiner Tätigkeit beschäftigten Arbeitnehmers bestanden (nicht aber auf das deutlich höhere und faktisch gezahlte Honorar für freie Mitarbeiter). Dies übliche Vergütung bestimmte die Klägerin anhand von Auskünften der IHK und des Lohnspiegels der Bundesagentur für Arbeit.

Das BAG entschied – anders als die beiden Vorinstanzen – zu Gunsten der Klägerin. Demnach muss der ehemalige Arbeitnehmer den Differenzbetrag zwischen der tatsächlich gezahlten und der geringen üblichen Vergütung in Höhe von EUR 106.000,00 zurückzahlen.

BGH: Rückzahlungsanspruch entfällt nur ausnahmsweise

Mit seiner Entscheidung stellte das BAG an den Rückzahlungsanspruch geringere Anforderungen als bisher. So setzte das Gericht in der Vergangenheit für die Annahme, eine getroffene Vergütungsvereinbarung gelte nicht für den Fall, dass der Beschäftigte* ein Arbeitnehmer und kein freier Mitarbeiter sei, voraus, dass bei dem Arbeitgeber generell zwei unterschiedliche Vergütungsordnungen für Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter vorgesehen seien (vgl. BAG, Urteil v. 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04; BAG, Urteil v. 29. Mai 2002 – 5 AZR 680/00).

Nach der aktuellen Entscheidung soll nur ausnahmsweise dann die für die freie Mitarbeit vereinbarte (in der Regel höhere) Vergütung auch für das Arbeitsverhältnis maßgeblich sein, wenn sich das Vertragsverhältnis der Parteien faktisch als solches darstellt oder aber von den Behörden oder Gerichten als solches qualifiziert wird.

Unterschiedliche Stellung von Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern

Arbeitnehmer ist nach § 611a Abs. 1 BGB, wer im „Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ ist. Im Gegensatz zu freien Mitarbeitern sind Arbeitnehmer in die betriebliche Organisation des Arbeitgebers integriert, haben regelmäßig keine anderen Auftraggeber und sind zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verpflichtet. Ihre Tätigkeit folgt genauen zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Vorgaben durch den Arbeitgeber.

Freie Mitarbeiter sind hingegen frei darin zu entscheiden, wann und wo sie tätig werden und wie sie vereinbarten Ziele oder Leistungen erbringen. Sie sind bzw. sollten nicht in die betrieblichen Strukturen des Auftraggebers eingebunden sein und zudem eigene wirtschaftliche Risiken tragen.

Arbeitnehmer sind im Ergebnis deutlich besser geschützt als freie Mitarbeiter (z.B. wegen bezahlter Urlaubsansprüche, Kündigungsschutz und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall). Daraus folgert das BAG, dass in der Regel nicht davon auszugehen sei, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten als Arbeitnehmer genauso vergüten wolle wie als freien Mitarbeiter. Schließlich trage Letztgenannter all die Risiken, die das Gesetz in einem Arbeitsverhältnis auf den Arbeitgeber verlagert, selbst. Dass der Beschäftigte als Arbeitnehmer eine geringere Vergütung zu erwarten habe, müsse diesem auch bewusst sein.

Kenntnis des Arbeitgebers schadet

Eine Rückabwicklung ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber nichts vom Arbeitnehmerstatus des Beschäftigten weiß. Wenn der Arbeitgeber davon Kenntnis erlangt und trotzdem unverändert den bisherigen Lohn zahlt, scheidet eine Rückforderung jedenfalls für den ab diesem Zeitpunkt gezahlten Lohn aus.

An die Kenntnis werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. In dem vom BAG entschiedenen Fall äußerte der Beschäftigte mehrfach Bedenken darüber, ob er tatsächlich bloß freier Mitarbeiter sei. Trotzdem verneinte das Gericht die Kenntnis der Arbeitgeberin. Für die Annahme einer Kenntnis reichen Zweifel am Status des Beschäftigten nicht aus. Der Arbeitgeber muss den rechtlichen Schluss auf den Status des Arbeitnehmers gezogen haben. Es genügt auch nicht, dass die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht.

Im Prozess muss der Beschäftigte beweisen, dass sein Arbeitgeber Kenntnis von der Arbeitnehmereigenschaft hatte.

Rückforderung bei Rückabwicklung in Höhe der Differenz von tatsächlicher zu üblicher Vergütung

Der Rückforderungsanspruch beläuft sich auf die Differenz zwischen der tatsächlichen Vergütung und dem niedrigeren Lohn, der dem Beschäftigten als Arbeitnehmer zugestanden hat. Gibt es im Unternehmen – wie in diesem Fall – keine speziellen Vergütungsordnungen für freie Mitarbeiter und Arbeitnehmer, greift § 612 Abs. 2 BGB ein. Diese Vorschrift gilt für Fälle, in denen keine Vergütung vereinbart wurde, und ordnet an, dass „die übliche Vergütung“ als vereinbart anzusehen ist.

Die Bestimmung dieser üblichen Vergütung kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Anhaltspunkte können entsprechende Vergleichszahlen wie etwa der bestehende Tariflohn liefern.

Praxishinweise: Für den Fall einer Rückabwicklung klare Vergütungsstrukturen bereithalten

Die neue Entscheidung des BAG zeigt, dass ein im Nachgang durch die Behörden oder Gerichte festgestellter Arbeitnehmerstatus nicht nur für den Auftraggeber mit erheblichen rechtlichen und finanziellen Risiken einhergeht. Denn im Falle des „falschen“ Einsatzes von Fremdpersonal drohen neben der Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern auch strafrechtliche Konsequenzen.

Das vorliegende Urteil zeigt aber, dass die rückwirkende Klassifizierung des Vertragsverhältnisses auch für Freelancer erhebliche finanzielle Konsequenzen haben kann; dies gilt insbesondere, wenn sie auf Grundlage der freien Mitarbeit sehr hohe Honorare erhalten haben.

Daher sollte bei dem Einsatz von freien Mitarbeitern genaustens darauf geachtet werden, dass deren Tätigkeit nicht weisungsgebunden und fremdbestimmt erfolgt, eine klare Abgrenzung zu den im Unternehmen tätigen Arbeitnehmern besteht und selbige nach außen erkennbar wird.

Die Problematik bzw. das Risiko auf Seiten des Beschäftigten dürfte durch das Urteil BSG aus dem Jahr 2017 (vgl. Urteil v. 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R) noch brisanter werden. Denn das BAG hat insofern entschieden, dass die Höhe des an einen freien Mitarbeiter gezahlten Honorars zur Bestimmung des Status (frei vs. abhängig beschäftigt) entscheidend sein kann. Sofern der freie Mitarbeiter deutlich mehr verdient als ein vergleichbar beschäftigter Arbeitnehmer soll dies nach Ansicht des BSG ein Indiz für eine freie Tätigkeit sein. In der Praxis tendieren daher viele Unternehmen neuerdings dazu, für freie Mitarbeiter noch höhere Honorare zu zahlen, damit diese sich möglichst auch in dieser Hinsicht von den Arbeitnehmern des Unternehmens abgrenzen. Im Falle einer Rückabwicklung kann dies für die freien Mitarbeiter dann aber umso teurer werden.

Für den Fall, dass es trotzdem zu einer Rückabwicklung kommt, sollten Unternehmen auf klare Vergütungsstrukturen, die zwischen freien Mitarbeitern und Arbeitnehmern differenzieren, zurückgreifen können. So kann leichter dargelegt und bewiesen werden, dass der Beschäftigte als Arbeitnehmer einen abweichenden Vergütungsanspruch hat; der zu erstattende Betrag kann dann genau bestimmt werden.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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