Ein fingiertes Arbeitsverhältnis besteht nach dem Arbeitsgericht Stuttgart so lange fort, bis es nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln beendet wird.
Das Arbeitsgericht Stuttgart musste sich damit befassen, ob und unter welchen Umständen ein aufgrund einer ohne die erforderliche Erlaubnis durchgeführte Arbeitnehmerüberlassung fingiertes Arbeitsverhältnis mit dem „Zeitarbeitnehmer″ wieder aufgelöst werden kann (Urteil vom 05. November 2014 – 11 Ca 8426/13).
Ein Arbeitsverhältnis mit dem eingesetzten Mitarbeiter und dem (vermeintlichen) Besteller (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG) entsteht, wenn sich der Einsatz von Arbeitnehmern bei dem Auftraggeber nicht – wie zumindest auf dem Papier vereinbart – als Werkvertrag, sondern als Arbeitnehmerüberlassung herausstellt und das beauftragte Unternehmen nicht über eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG verfügt. Doch wie wird ein derartiges Arbeitsverhältnis, der dem Kundenunternehmen in der Regel „aufgedrängt″ wird, wieder beendet?
Allgemein arbeitsrechtliche Bestimmungen anwendbar
Wenn dem beauftragten Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt nach der Arbeitsaufnahme die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt werde, führe dies nicht dazu, dass das fingierte Arbeitsverhältnis aufgelöst werde, so das Arbeitsgericht. Eine derartige Rechtsfolge sehe das Gesetz nicht vor. Es seien die für den Fortbestand und die Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden.
Das fingierte Arbeitsverhältnis bestehe daher so lange fort, bis es nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln beendet werde. Dies sei zumindest nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei unverändertem Einsatz ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründe, der über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfüge (vgl. auch: BAG vom 24.05.2006 – 7 AZR 365/05). Mit Abschluss eines solchen Arbeitsvertrages übe der Arbeitnehmer kein Wahlrecht zugunsten eines neuen Arbeitsverhältnisses unter Aufgabe des kraft Gesetzes mit dem Kundenunternehmen zustande gekommenen Arbeitsvertrags aus.
Ausdrücklich begründeter Beendigungstatbestand notwendig
Das im Rahmen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung zum Einsatzunternehmen begründete fingierte Arbeitsverhältnis kann regelmäßig nur durch einen ausdrücklich begründeten Beendigungstatbestand aufgelöst werden. Es bedarf eines zwischen dem Mitarbeiter und dem Kundenunternehmen geschlossenen Aufhebungsvertrages, einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder einer Kündigung des Einsatzunternehmens.
Die zahlreichen Versuche, eine konkludente Beendigung des fingierten Arbeitsverhältnisses herzuleiten, konnten die Rechtsprechung bislang nicht überzeugen. So hilft es beispielsweise nicht, wenn dem überlassenden Unternehmen (nachträglich) eine entsprechende Erlaubnis erteilt wird oder der Arbeitnehmer zu einem Arbeitgeber, der über eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG verfügt, wechselt, jedoch nach wie vor im Einsatz bei dem ursprünglichen Auftraggeber bleibt.
Fehlt ein ausdrücklicher Beendigungstatbestand, wird oftmals der letzte Rettungsanker einer sogenannten Verwirkung des fingierten Arbeitsverhältnisses als ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung herangezogen. Diese soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen.
Es ist allerdings nicht Zweck der Verwirkung, Schuldner (= Kunde), denen gegenüber Gläubiger (= Zeitarbeitnehmer) ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Es müssen vielmehr zu diesem besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen.
Umstandsmoment als Knackpunkt der Diskussionen
Das BAG hat das Umstandsmoment in einem Fall bereits angenommen, nachdem der dortige Kläger mehr als drei Monate nach Einstellung seiner Tätigkeit bei dem Kunden auf Grund eines Aufhebungsvertrages mit dem Personaldienstleister und nach zwischenzeitlicher Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bei einem anderen Arbeitgeber den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Kundenunternehmen nicht geltend gemacht hat (Urteil vom 30. Januar 1991 – 7 AZR 239/90).
In Abgrenzung dazu hat das BAG aber auch klargestellt, dass das erforderliche Umstandsmoment nicht allein durch die Tatsache erfüllt wird, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufgrund der Kündigung seines Vertragsarbeitgebers im Einsatzbetrieb einstellt und anschließend ein Arbeitsverhältnis bei einem Dritten begründet, ohne sich gegenüber dem Kunden auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit diesem zu berufen (Urteil vom 10. Oktober 2007 – 7 AZR 487/06). Das gelte – so das BAG – jedenfalls dann, wenn es nicht um den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses gehe, sondern lediglich um die Feststellung eines in der Vergangenheit liegenden Arbeitsverhältnisses als Grundlage für die Geltendmachung künftiger Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung.
In dem vorliegenden Fall sah das Arbeitsgericht Stuttgart selbst bei einem bereits über 9 Jahre andauernden Arbeitsverhältnis, verbunden mit einem mehr oder weniger seit dem Jahr 2008 unveränderten Einsatz, allenfalls das Zeitmoment als gegeben an. Das Umstandsmoment sei allerdings nicht erfüllt, insbesondere weil die Tätigkeit bei dem Kundenunternehmen bei Klageerhebung fortgesetzt worden sei.
Letztlich verdeutlicht die Entscheidung aus Stuttgart nochmals, dass die Anforderungen für eine Verwirkung in der Praxis sehr hoch sind; alleine über den bloßen Zeitablauf kann eine solche nicht eintreten. Es bedarf vertrauensbildender Umstände, dass sich der Arbeitnehmer nicht mehr auf das mit dem Kundenunternehmen fingierte Arbeitsverhältnis berufen wird. Solche dürften aber in der Regel nicht darlegbar sein, wenn der betreffende Mitarbeiter weiterhin – selbst bei einem Wechsel des Vertragsarbeitgebers – beim Kunden im Einsatz bleibt.