Eine SE kann durch Verschmelzung mit einer Gesellschaft, die ausschließlich zu dem Zweck der Ermöglichung der SE-Gründung besteht, gegründet werden.
Durch die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, „SE“) kann das bestehende Mitbestimmungsstatut einer Gesellschaft „konserviert″ werden, so dass sich eine bloße Steigerung der Anzahl der Beschäftigten nicht auf die Mitbestimmung im Unternehmen auswirkt.
„Vorher-Nachher-Prinzip″ der Mitbestimmung in der SE
Grundsätzlich richtet sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene in einer SE nach dem „Vorher-Nachher-Prinzip″. Dabei werden grundsätzlich die vor der Gründung bereits erworbenen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer geschützt und als Mindeststandard in der SE verankert (vgl. § 35 SEBG).
Diese gesetzliche Auffangregelung kommt zum Einsatz, wenn es nicht gelingt, in dem bei Gründung der SE durchzuführenden Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren eine Vereinbarung mit den Arbeitnehmern über die künftige Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE abzuschließen (sog. Beteiligungsvereinbarung gemäß. § 21 SEBG).
SE: Umfang der Mitbestimmung hängt nicht von der Arbeitnehmerzahl ab
Ein Vorteil der Rechtsform der SE ist, dass die bei der Gründung der SE gefundene Mitbestimmung (entweder aufgrund einer Beteiligungsvereinbarung oder aufgrund des Eingreifens der gesetzlichen Auffangregelung) grundsätzlich unabhängig von der Zahl der bei der SE und ihren Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer gilt. Ein bloßer Anstieg der Anzahl der Beschäftigten hat keine Auswirkungen auf den Umfang der Mitbestimmung der Arbeitnehmer.
Lediglich im Falle sog. struktureller Änderungen der SE, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, sind erneut Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE zu führen (§ 18 Abs. 3 SEBG).
DrittelbG und MitbestG: Umfang der Mitbestimmung hängt von der Arbeitnehmerzahl ab
Damit unterscheidet sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE grundlegend von der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in deutschen Kapitalgesellschaften. Bei diesen Gesellschaftsformen ist der Umfang der Mitbestimmung der Arbeitnehmer insbesondere an die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer gekoppelt. Beschäftigt eine Kapitalgesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer, aber nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer, richtet sich die Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG). Dies bedeutet, dass der Aufsichtsrat der betreffenden Gesellschaft zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer besteht (sog. Drittelparität).
Beschäftigt eine Kapitalgesellschaft in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer gilt das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) mit der Folge, dass der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer besteht. Damit steigt die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, wenn der Schwellenwert von 2.000 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern überschritten wird.
Gründung einer SE, um die bestehende Mitbestimmung zu „konservieren″
Steht ein Unternehmen kurz vor der Überschreitung des Schwellenwerts von 2.000 Arbeitnehmern und möchte einen paritätisch gebildeten Aufsichtsrat vermeiden, kann die rechtzeitige Gründung einer SE eine Lösung sein, die bislang geltende Drittelparität im Aufsichtsrat zu „konservieren″. Grund ist, dass in diesem Fall der drittelparitätisch besetzte Aufsichtsrat die gesetzliche Auffanglösung für die zu gründende SE wäre. Würde also im Gründungsverfahren zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern keine Beteiligungsvereinbarung zustande kommen, führte dies zum Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung, so dass auch die künftige SE einen drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrat hätte. Gleiches gilt, wenn eine Beteiligungsvereinbarung abgeschlossen würde, diese aber lediglich auf die gesetzliche Auffangregelung verweist.
Auf diesem Wege hätte das Unternehmen die Gefahr gebannt, bei einem weiteren Anwachsen der Arbeitnehmerzahl eine stärkere, d.h. paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zu erhalten. Entsprechend würde dies auch bei bislang nicht mitbestimmten Unternehmen funktionieren. Diese könnten auf diesem Weg auch bei einem weiteren Anwachsen der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer eine Mitbestimmung auf Unternehmensebene an sich verhindern.
Beschränkung der Möglichkeiten zur Gründung einer SE
Allerdings steht die Gründung einer SE nicht jedem Unternehmen offen. Die sog. Primärgründung einer SE ist in Art. 2 SE-VO (VO (EG) Nr. 2157/2001) abschließend geregelt. Eine SE kann danach wie folgt gegründet werden:
- durch die Verschmelzung von Aktiengesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten der europäischen Union (im Folgenden: Mitgliedstaaten, vgl. Art: 2 Abs. 1 SE-VO),
- durch die Errichtung einer Holding-SE durch gründungsfähige Gesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten (vgl. Art: 2 Abs. 2 SE-VO),
- durch die Errichtung einer gemeinsamen Tochter-SE durch Muttergesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten vgl. Art. 2 Abs. 3 SE-VO) oder
- durch die Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE, wenn die Aktiengesellschaft seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat (Art. 2 Abs. 4 SE-VO).
Andere Gründungsformen sind nicht möglich (sog. numerus clausus der Gründungsformen). Die verschiedenen Gründungsmöglichkeiten zeigen, dass der SE grundsätzlich ein grenzüberschreitender und damit mehrstaatlicher Charakter innewohnt. Jede Gründungsform setzt voraus, dass eine Beziehung zu zumindest zwei verschiedenen Mitgliedstaaten besteht. Eine rein nationale SE-Gründung ist nicht möglich. Dies hat zur Folge, dass insbesondere die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft, die nicht seit mindestens zwei Jahren zumindest eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat, nicht möglich ist.
Gründung einer SE durch Verschmelzung mit einem SPV
Um dennoch eine SE gründen, kommt eine Verschmelzung mit einem sog. SPV (special purpose vehicle) in Betracht. Ein SPV ist eine Gesellschaft, die ausschließlich zu einem bestimmten Zweck (hier: der Ermöglichung der SE-Gründung) gegründet wurde. Ein solches Vorgehen ist nach der in Deutschland herrschenden Meinung zulässig.
Bei der Gründung einer SE durch eine Verschmelzung gemäß Art. 2 Abs. 1 SE-VO müssen die beteiligten Gesellschaften nicht bereits für einen längeren Zeitraum bestanden haben, wie dies etwa bei der Gründung einer Holding-SE nach Art. 2 Abs. 2 SE-VO der Fall ist (Mindestdauer von zwei Jahren). Auch kommt es nicht darauf an, ob die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft einen Gewerbebetrieb haben oder geschäftliche Aktivitäten entfalten. Daher ist sowohl eine eigens zum Zwecke der SE-Gründung gegründete Aktiengesellschaft, d.h. ein SPV, als auch eine Vorrats-Aktiengesellschaft gründungsfähig.
Mit diesem Verständnis der SE-VO liegt die herrschende Meinung in Deutschland auf einer Linie mit dem Verständnis in anderen europäischen Ländern. Auch der High Court of Justice of England and Wales kam in seiner Entscheidung vom 12. Juni 2018 (Matter: Liberty Mutual Insurance Europe plc, Case No: CR-2018-004563) zu dem Ergebnis, dass es der Rechtmäßigkeit der Gründung der SE nicht entgegenstehe, wenn eine beteiligte Gesellschaft augenscheinlich nur gegründet worden sei, um der anderen beteiligten Gesellschaft eine SE-Gründung zu ermöglichen. Ein solches Vorgehen sei nach der SE-VO zulässig und stelle keinen Rechtsmissbrauch dar. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die britische Liberty Mutual Insurance Europe plc eine Verschmelzung mit der LSM Luxemburg plc SA zum Zweck der SE-Gründung geplant. Die luxemburgische SA war erst wenige Monate zuvor gegründet worden, verfügte über keinen Geschäftsbetrieb und lediglich über ihr Gründungskapital.
Kein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren bei Gründung einer arbeitnehmerlosen SE
Dies stand der SE-Gründung nach Ansicht des Gerichts aber ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass kein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt worden war. Ein solches Verfahren müsse nicht durchgeführt werden, wenn – wie im vorliegenden Fall – keine der an der Gründung beteiligten Gesellschaften Arbeitnehmer beschäftige. Auch dies entspricht der herrschenden Meinung in Deutschland. Die Gründung einer arbeitnehmerlosen SE ist möglich. Genau genommen gilt: Haben die Gründungsgesellschaften und die zu gründende SE weniger als 10 Arbeitnehmer, kann kein besonders Verhandlungsgremium gebildet werden (vgl. § 5 SEBG). In diesem Fall ist ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren entbehrlich. Bei der Anmeldung der SE gegenüber dem Registergericht genügt eine entsprechende Negativerklärung.
SE-Gründung auch für „rein nationale Aktiengesellschaften″ möglich
Auch wenn die Entscheidung des High Court of Justice of England and Wales keine unmittelbaren Auswirkungen für Deutschland hat, zeigt sie, dass auch für „nationale Aktiengesellschaften″, die keine ausländischen Tochtergesellschaften haben, die Gründung einer SE in Betracht kommen kann. Durch Verschmelzung mit einem SPV mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kann die Rechtsform der SE erreicht werden, auch wenn bspw. eine formwechselnde Umwandlung gemäß Art. 2 Abs. 4 SE-VO mangels Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat nicht möglich ist.
Gerade wenn in einem Unternehmen Überlegungen bestehen, wie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene konserviert werden und ein weiteres Anwachsen der Mitbestimmung vermieden werden kann, ist die Gründung einer SE zu erwägen. Dies gilt auch, wenn es bislang an der erforderlichen Mehrstaatlichkeit fehlen sollte. Dieses „Manko″ kann durch kreative Gestaltungen überwunden werden, was das allgemeine Interesse an der Gründung einer SE weiter befördern könnte.