27. September 2017
equal-pay Verfahren
Arbeitsrecht

Sonderzahlung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Masseunzulänglichkeit führt zu erneuter Zäsur: Privilegierung als Neumasseverbindlichkeit gilt nur für anteiligen Zeitraum ab Masseunzulänglichkeit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die insolvenzrechtliche Einordnung von Sonderzahlungen im Arbeitsverhältnis konkretisiert. Mit Urteil vom 23. März 2017 (Az. 6 AZR 264/16) hat es klargestellt, dass nach angezeigter Masseunzulänglichkeit alle arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen § 209 der Insolvenzordnung (InsO) unterliegen. Dies gilt nicht nur für solche mit reinem Entgeltcharakter, sondern auch für Sonderzahlungen zur reinen Belohnung von Betriebstreue und solchen mit „Mischcharakter“.

Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit führt zu einer Zäsur. Nur der Teil der Sonderzahlung, der auf die Zeit der Arbeitsleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfällt, ist als Neumasseverbindlichkeit privilegiert i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 InsO. Dies gilt auch dann, wenn der Stichtag für die Anspruchsvoraussetzung erst nach dem Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeit liegt. Im Einzelnen:

Kläger begehrte volle Sonderzahlung

Gegenstand des Rechtsstreits war die insolvenzrechtliche Einordnung einer Jahressonderzahlung. Der Kläger erhielt jeweils im November eine tarifliche Jahressonderzuwendung. Nach den tariflichen Vorgaben war eine der Voraussetzungen für die Gewähr u.a. der Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember des Auszahlungsjahres.

Im Mai 2014 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Ende Oktober 2014 zeigte der Sachwalter die Masseunzulänglichkeit an. Das Arbeitsverhältnis wurde zunächst fortgesetzt. Auf die Jahressonderzahlung für das Jahr 2014 leistete die Beklagte im November 2014 statt eines vollen Bruttomonatsverdienstes (wie im Tarifvertrag vorgesehen) zwei Zwölftel.

Der Kläger war der Ansicht, dass es sich bei der Jahressonderzahlung insgesamt um eine sogenannte Neumasseverbindlichkeit handle, da der maßgebliche Stichtag für die Gewähr nach dem Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeit lag. Die Beklagte hat hingegen lediglich den Anteil der Jahressonderzahlung, der auf die Arbeitsleistung nach der Anzeige fiel, als Neumasseverbindlichkeit anerkannt und geleistet. Vier Zwölftel, nämlich den auf den Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung entfallenden Anteil, ordnete sie als Insolvenzforderung ein, sechs Zwölftel als (Alt-)Masseverbindlichkeit. Das BAG hat diese Zuordnung bestätigt.

Folgen der Insolvenzeröffnung für Zahlungsansprüche der Arbeitnehmer

Die Behandlung der Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern ist grundsätzlich abhängig davon, auf welchen Zeitraum sich diese erstrecken:

Forderungen auf rückständiges Arbeitsentgelt aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung sind einfache Insolvenzforderungen (§§ 38, 108 Nr. 3 InsO). Wie andere Insolvenzforderungen müssen diese zur Tabelle angemeldet werden und genießen (anders als noch unter der alten Konkursordnung) keinen Vorrang gegenüber Insolvenzforderungen anderer Gläubiger. Die Befriedigung dieser Lohn- und Gehaltsansprüche ist also abhängig von der Quote, nach der eine Gläubigerbefriedigung im Verteilungsverfahren erfolgt.

Forderungen auf Arbeitsentgelt für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung stellen hingegen sogenannte Masseverbindlichkeiten dar (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Unabhängig vom Ausgang des Verteilungsverfahrens sind diese – vor allen anderen Insolvenzgläubigern aber nach Ausgleich der Kosten – vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen.

Insolvenzrechtliche Einordnung von Sonderzahlungen

Nach der Rechtsprechung werden solche Sonderzahlungen, die eine zusätzliche Honorierung der Arbeitsleistung darstellen, regelmäßig dem Zeitraum zugeordnet, in dem sie verdient werden – unabhängig von ihrer Fälligkeit. Entsprechend handelt es sich bei einer leistungsabhängigen Sonderzahlung, die mit der Novembervergütung gewährt wird, sich aber auf die Arbeitsleistung der vorangegangenen Monate bezieht, bei einer Insolvenzeröffnung Anfang November weitestgehend um eine Insolvenzforderung. Lediglich der kleine, seit Anfang November verdiente Anteil, ist als Masseforderung privilegiert. Denn arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen sind insolvenzrechtlich dem Zeitraum zuzuordnen, für den sie als Gegenleistung geschuldet sind, nicht dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit.

Anders verhält es sich nach der Rechtsprechung bei Sonderzahlungen, die nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern allein vom Bestand des Arbeitsverhältnisses (und damit von einem Stichtag) abhängen (klassische „Treueprämie“). Gleiches soll nach der Rechtsprechung bei Leistungen mit „Mischcharakter“ gelten. Insolvenzrechtlich seien diese stichtagsbezogenen Sonderzahlungen dem Zeitraum zuzurechnen, in den der Stichtag fällt. Je nachdem ob der Stichtag zeitlich vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt, handle es sich dann bei diesen Leistungen in voller Höhe entweder um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit.

Eintritt der Masseunzulänglichkeit als weitere Zäsur

Stellt der Insolvenzverwalter jedoch die Masseunzulänglichkeit fest, stellt diese eine weitere Zäsur dar: Die insolvenzrechtliche Rangfolge der Masseverbindlichkeiten wird in diesem Fall neu geordnet (§ 209 InsO). Forderungen für Zeiten nach der Insolvenzeröffnung (Masseforderungen) werden dann „zurückgestuft″ in (Alt-)Masseverbindlichkeiten. Forderungen, die sich auf den Zeitraum nach der Feststellung der Masseunzulänglichkeit beziehen, sind hingegen als (Neu-)Masseverbindlichkeiten einzuordnen und wiederum privilegiert (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 InsO).

Mit seiner Entscheidung aus März 2017 hat das BAG deutlich gemacht, dass mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die insolvenzrechtliche Rangfolge der Masseverbindlichkeiten durch § 209 InsO auch in Bezug auf Sonderzahlungen neu geordnet wird. Mit der Masseunzulänglichkeit sind alle Sonderzahlungen – gleich ob sie arbeitsleistungsbezogen oder rein stichtagsbezogen gewährt werden – (nur noch) anteilig zu bewerten und einzuordnen. Denn die Begünstigung der Neumassegläubiger soll den Insolvenzverwalter in die Lage versetzen, die Insolvenzmasse zu verwerten.

Die (Weiter-)Beschäftigung von Arbeitnehmern liege auch im Interesse der im Rang zurückgestuften (Alt-)Massegläubiger, wenn der Betrieb zumindest zeitweise fortgeführt werden könne. Ihnen wird der Forderungsausfall aber insoweit zugemutet, als dass Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur dann begründet sind, „soweit“ die Gegenleistung (nämlich die Tätigkeit der Arbeitnehmer) Teil der Insolvenzmasse wird und damit letztlich den Gläubigern zugutekommt. Laut BAG kommt jedoch eine vollständig „nachgezogene“ Jahressonderzahlung mit reiner Betriebstreue oder „Mischcharakter“ nicht der Masse zugute, sondern belastet diese mit zusätzlichen Kosten. Das widerspräche der Systematik der Insolvenzordnung.

Neumasseverbindlichkeiten zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie vom Insolvenzverwalter freiwillig begründet und ihm nicht aufgezwungen werden. Auf die bereits geleistete Betriebstreue oder die schon erbrachten Arbeitsleistungen kann der Verwalter jedoch nicht einwirken, so dass in diesem Fall die Privilegierung nicht für die gesamte Sonderzahlung gerechtfertigt ist. Es erfolgt vielmehr eine Zuordnung anhand des (zeitlich) anteiligen Bezugszeitraums.

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