Einbeziehung einer Zusatzabfindung wegen Schwerbehinderung in Höchstbetragsregelung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Fallen Arbeitsplätze infolge einer geplanten Betriebsänderung weg, sind die hierdurch entstehenden wirtschaftlichen Nachteile bekanntlich durch einen Sozialplan auszugleichen oder abzumildern. Die zulässige Ausgestaltung von Abfindungsregelungen in einem Sozialplan ist dabei nach wie vor ein Dauerbrenner in der arbeitsrechtlichen Praxis. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Höchstbetragsregelungen, also Kappungsgrenzen. Ziel solcher Regelungen ist es, eine möglichst gerechte Verteilung der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel zu sichern.
Während das BAG solche Klauseln dem Grunde nach unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert (vgl. BAG, Urteil v. 08. Februar 2022 – 1 AZR 252/21; BAG, Urteil v. 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20), dürfen nach einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil v. 11. Oktober 2022 – 1 AZR 129/21) etwaige Zuschläge für Schwerbehinderte oder Gleichgestellte nicht Gegenstand der „Kappung″ sein. Denn die „Kappung″ eines zusätzlichen Abfindungsbetrags für schwerbehinderte Arbeitnehmer* im Sozialplan verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und ist insoweit unwirksam (§ 75 Abs. 1 BetrVG).
Die Entscheidung des BAG vom 11. Oktober 2022 im Einzelnen – Kappung okay, aber nicht bezüglich Zuschlag wegen Schwerbehinderung
Das BAG hat mit Urteil vom 11. Oktober 2022 (Az. 1 AZR 129/21) die grundsätzliche Zulässigkeit von Kappungsgrenzen in Sozialplänen erneut bestätigt und die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Abfindungen für schwerbehinderte Arbeitnehmer konkretisiert. Anlass war die Klage eines schwerbehinderten Arbeitnehmers (Behinderungsgrad von 80), dem im Rahmen einer Werksschließung betriebsbedingt gekündigt und eine Sozialplanabfindung ausbezahlt worden war. Nach dem Sozialplan berechnete sich die Abfindung nach der – nach wie vor beliebten – Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor″, wobei der Faktor nach Lebensalter gestaffelt war. Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte sah der Sozialplan eine zusätzliche Abfindung i.H.v. EUR 1.500,00 vor, bei einem Grad der Behinderung von über 50 i.H.v. EUR 2.000,00. Die Gesamtabfindung war auf einen Höchstbetrag von EUR 75.000,00 beschränkt. Die Höchstbetragsklausel umfasste demnach auch die Zusatzabfindung für Schwerbehinderte. Da sich die Grundabfindung des klagenden Arbeitsnehmers auf mehr als EUR 75.000,00 belief, erhielt er keine zusätzliche Abfindung wegen Schwerbehinderung. Der Kläger sah in der festgelegten Kappungsgrenze eine Benachteiligung schwerbehinderter Arbeitnehmer und begehrte mit seiner Klage u.a. die Zahlung der Zusatzabfindung für Schwerbehinderte i.H.v. EUR 2.000,00. Nachdem das ArbG Weiden seine Klage abgewiesen (Urteil v. 11. März 2020 – 3 Ca 1111/19) und das LAG Nürnberg seine Berufung zurückgewiesen hatte (Urteil v. 2. Dezember 2020 – 3 Sa 187/20), hatte die Revision des Klägers vor dem BAG Erfolg. Nach Auffassung des BAG sei die Höchstbetragsklausel im Sozialplan wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unwirksam, soweit sie den zusätzlichen Abfindungsbetrag für schwerbehinderte Arbeitnehmer umfasse.
Höchstbegrenzungsregelungen in Sozialplänen generell rechtmäßig
Das BAG bestätigte zunächst im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung, dass die Betriebsparteien im Rahmen ihres weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung von Sozialplänen Höchstbetragsregelungen grds. vorsehen dürfen. Die Abfindungsobergrenze trage dem Umstand Rechnung, dass die Sozialplanmittel limitiert seien, und sei damit Ausfluss einer gerechten Verteilung.
Erstreckung der Höchstbegrenzungsregelung auf zusätzliche Abfindung für Schwerbehinderte verstößt gegen betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Beschränkungen des Gestaltungs- und Ermessensspielraums der Betriebsparteien ergäben sich allerdings aus den allgemeinen zwingenden Gesetzen und damit insbesondere aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, § 75 Abs. 1 BetrVG. Der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ziele darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung sei regelmäßig der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck. Gruppenbildungen in Sozialplänen müssten sich daher an deren zukunftsbezogener Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion orientieren.
Durch die „Kappung″ der Gesamtabfindung auf EUR 75.000,00 pro Arbeitnehmer werde ein Teil der schwerbehinderten Arbeitnehmer anders behandelt als der übrige Teil dieser Gruppe. Denn die Zusatzabfindung für Schwerbehinderte werde nur an diejenigen Arbeitnehmer gezahlt, deren Grundabfindung nach der allgemeinen Berechnungsformel den Höchstbetrag nicht übersteige. Nach Auffassung des BAG könne diese Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht durch den Zweck der Höchstbetragsregelung – die Sicherstellung einer verteilungsgerechten Überbrückungshilfe für alle Arbeitnehmer – gerechtfertigt werden. Aufgrund der Berechnungsformel der Grundabfindung, die an das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit anknüpfe, erhielten gerade ältere Arbeitnehmer keinen spezifischen Ausgleich für die besonderen Nachteile infolge ihrer Schwerbehinderung, obwohl bei ihnen diese Nachteile typischerweise besonders eintreten.
BAG-Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Praxis
Höchstbetragsregelungen sind weiterhin ein praxistaugliches Instrument, um die in den herkömmlichen Berechnungsformeln der Abfindung angelegte Bevorzugung älterer Arbeitnehmer zu beschränken und das zur Verfügung stehende begrenzte Sozialplanvolumen angemessen auf alle Betroffenen zu verteilen. Besonderer Sorgfalt bedarf jedoch die konkrete Gestaltung solcher Klauseln in Sozialplänen.
Das BAG hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach zur Zulässigkeit von Abfindungshöchstgrenzen in Sozialplänen zu entscheiden (vgl. insbesondere BAG, Urteil v. 8. Februar 2022 – 1 AZR 252/21; BAG, Urteil v. 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20). So stellte das BAG bereits Ende des Jahres 2021 (BAG, Urteil v. 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20) fest, dass die „Kappung″ einer Klageverzichtsprämie durch eine im Sozialplan geregelte Höchstbetragsklausel gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, da der Arbeitgeber in allen Fällen die mit der Prämie beabsichtigte Rechts- und Planungssicherheit erhielte, die auch bei überschrittener Höchstbetragsgrenze zu kompensieren sei.
Mit seinem Urteil vom 11. Oktober 2022 hat das BAG nunmehr die Anforderungen an die wirksame Ausgestaltung von Abfindungshöchstgrenzen in Sozialplänen bei älteren schwerbehinderten Arbeitnehmern präzisiert. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechungslinie der unterinstanzlichen Gerichte (vgl. LAG Nürnberg 2. Dezember 2020 – 3 Sa 187/20; LAG Schleswig-Holstein 28. Februar 2012 – 3 Sa 473/11) wertete das BAG die Berücksichtigung einer zusätzlichen Abfindung wegen Schwerbehinderung bei der Anwendung einer im Sozialplan vorgesehenen Höchstbetragsregelung als Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer vorliege.
Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, wie sorgfältig bei der Abfassung von Sozialplänen vorzugehen ist. Ganz generell gilt hier, dass die Aufnahme von nicht höchstrichterlich „abgesegneten″ Regelungen gefahrgeneigt ist. Neben weitergehenden Abfindungsansprüchen aufgrund von teilunwirksamen Regelungen drohen in diesem Kontext trotz § 15 Abs. 3 AGG durchaus auch Ansprüche aus dem AGG.
Für die Praxis empfiehlt sich ggf. auch Zuschläge für weitere besondere Erschwernisse sowie Klageverzichts- und Turboprämien von Höchstbetragsregelungen auszunehmen und dies bei der Budgetierung zu berücksichtigen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.