In Verhandlungen zu Betriebsänderungen ist ein wichtiger Punkt die Bemessung des Sozialplanvolumens. Das BAG hat die Grenzen weiter konkretisiert.
Sowohl Betriebsrat als auch Arbeitgeber* wissen: kommt eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle, die dann die Leistungen und ihre Höhe bestimmt.
Eine gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensentscheidung ist nur in den Grenzen des § 112 BetrVG möglich. Die Entscheidung des BAG vom 14. Februar 2023 (1 ABR 28/21) hat hierzu einige Klarstellungen gebracht. Insbesondere kann ein „Sozialplan-Null“ im Rahmen des Ermessens liegen.
Sozialplan und Interessenausgleich bei Betriebsänderungen
Plant der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 (wahlberechtigten) Mitarbeitenden eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, bestehen umfangreiche Informations- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretung. Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat insbesondere zu versuchen, einen Interessenausgleich und einen Sozialplan zu vereinbaren. Dabei beschreibt der Interessenausgleich, wann und in welcher Form die vom Unternehmer geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll (etwa, welche Arbeitsplätze zu welchem Zeitpunkt entfallen). Der zu abzuschließende Sozialplan legt die zur Milderung der Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährenden Leistungen fest (z.B. Abfindungen für die Arbeitnehmer, die aufgrund der Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz ersatzlos verlieren).
Die Interessen der Betriebsparteien sind naturgemäß häufig konträr: Während die Arbeitnehmervertreter möglichst hohe Leistungen für die ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen vorsehen möchten, wird der Arbeitgeber das Gesamtvolumen des Sozialplans im Blick halten müssen.
Kommt eine Einigung nicht zustande, kann jede Seite die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 4 BetrVG). Während diese im Hinblick auf den Interessenausgleich lediglich das Scheitern der Verhandlungen feststellen kann – also insbesondere keine konkreten Festlegungen zur Umsetzung der geplanten unternehmerischen Entscheidung trifft –, kann sie einen verbindlichen Sozialplan aufstellen. Dabei ist sie nicht an die bisherigen Verhandlungspositionen der Betriebsparteien gebunden.
Die Einigungsstelle soll die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer und wirtschaftliche Vertretbarkeit der Entscheidung für das Unternehmen beachten
Für die Parteien ist es folglich bereits im Rahmen der Verhandlungen wichtig zu wissen, welche Regelungen im Hinblick auf das Gesamtvolumen eines Sozialplanes denkbar sind, sollte eine Einigung nicht erzielt werden. Den rechtlichen Rahmen (außerhalb der Insolvenz) bildet § 112 Abs. 5 BetrVG. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben hat die Einigungsstelle sowohl
- die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zur berücksichtigen als
- auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Sozialplans für das Unternehmen.
Dabei hat die Einigungsstelle im Hinblick auf die Arbeitnehmer den Ausgleich bzw. Milderung der wirtschaftlichen Nachteile durch Leistungen vorzusehen, die den Gegebenheiten des Einzelfalles Rechnung tragen und die Aussichten des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen.
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit hat die Einigungsstelle bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Es geht also um die Milderung zukünftiger Nachteile der Betroffenen in den Grenzen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit.
Zukünftige wirtschaftliche Nachteile und Aussichten auf dem Arbeitsmarkt – Blick auf die betroffene Belegschaft
Während häufig der Fokus eher auf dem Aspekt der wirtschaftlichen Vertretbarkeit liegt, bestimmt die gesetzliche Regelung in § 112 Abs. 5 BetrVG die Notwendigkeit der Milderung wirtschaftlicher Nachteile und die Aussicht auf dem Arbeitsmarkt als erste Prüfungsebene. Die Einigungsstelle darf keine Nachteile ausgleichen, die gar nicht entstanden sind und auch künftig nicht entstehen werden (BAG, Urteil v. 6. Mai 2003 – 1 ABR 11/02).
Mit Blick auf den erheblichen Fachkräftemangel und die derzeit bestehende Vollbeschäftigung in vielen Teilen Deutschlands ist dieser Gesichtspunkt in den Verhandlungen zunehmend zu berücksichtigen. Denn für hohe Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes besteht für Mitarbeitende mit kurzfristigen, neuen, sehr guten Beschäftigungsmöglichkeiten keine Notwendigkeit. Zur Ermittlung des auszugleichenden Nachteils im Hinblick auf die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt können u.a. statistische Werte zur voraussichtlichen Dauer einer möglichen Arbeitslosigkeit in der Region für bestimmte Berufsgruppen und auch die individuelle Vermittelbarkeit der Belegschaftsangehörigen in die Betrachtung einbezogen werden; gleiches gilt für den zumutbaren Einsatz bei Konzerngesellschaften; ebenso wie alternative Einsatzmöglichkeiten bei Mitbewerbern in der Nähe. Hier kann es bei Vorliegen zumutbarer Alternativen auch zu einem gänzlichen Ausschluss von Sozialplanleistungen kommen.
Wirtschaftliche Vertretbarkeit – Blick auf das betroffene Unternehmen
Grade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist die Frage der Vertretbarkeit des Sozialplans für die Arbeitgeberseite von erheblicher Bedeutung. Ältere Rechtsprechung hat die Grenzen Ende der 80er Jahre sehr weit gefasst und auch ein sehr umfangreiches Sozialplanvolumen als noch innerhalb der Ermessensgrenzen akzeptiert (BAG, Urteil v. 27. Oktober 1987 – 1 ABR 9/86).
Zunehmend aber wird seitdem die wirtschaftliche Vertretbarkeit kritischer betrachtet. So darf nach ständiger Rechtsprechung die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten weder zu einer Illiquidität noch zur bilanziellen Überschuldung des Unternehmens führen; auch eine nicht mehr vertretbare Schmälerung des Eigenkapitals ist als Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit zu beachten (BAG, Urteil v. 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11). Dies hat das Bundesarbeitsgericht nochmals ausdrücklich in seiner Entscheidung aus Februar letzten Jahres bestätigt (BAG, Urteil v. 27. Februar 2022 – 1 ABR 28/21).
Sozialplan darf nicht zur Illiquidität führen – maßgeblich ist die finanzielle Lage des Vertragsarbeitgebers
In seinem Beschluss hat das BAG die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des betroffenen Unternehmens genau betrachtet – dies gilt auch bei einer Betriebsänderung innerhalb eines Gemeinschaftsbetriebs.
Die Antragsstellerinnen (Holding und Tochtergesellschaft) unterhielten einen Gemeinschaftsbetrieb, bei welchem das Eigenkapital der Tochtergesellschaft ab 2017 vollständig verbraucht war. Daraufhin erteilte die Konzernmutter der Tochter eine Liquiditätszusage bis zu einem Höchstbetrag von EUR 4 Millionen für eine insolvenzvermeidende Betriebsstillegung. Diese Zusage war allerdings
nicht für etwaige Liquiditätslücken der Gesellschaft vorgesehen, welche im Zusammenhang mit Leistungen unter einem wie auch immer gearteten Sozialplan stehen.
Nach erfolglosen Verhandlungen legte die Einigungsstelle durch Spruch einen Sozialplan fest, dessen Leistungen zu einem Gesamtbudget von EUR 3 Millionen geführt hätten. Die Arbeitgeberin hatte die Dotierung des Sozialplans durch die Einigungsstelle angefochten und eine Ermessensüberschreitung geltend gemacht. Die Dotierung führe zu einer Überkompensation der Arbeitnehmer und sie wäre für das Unternehmen wirtschaftlich unvertretbar.
Der Senat betonte zunächst, dass es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit innerhalb eines Konzerns grundsätzlich nur auf die Lage des Arbeitgebers ankomme und nicht auf die des Konzerns / der Muttergesellschaft. Stelle die Einigungsstelle einen für mehrere Trägerunternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs geltenden Sozialplan auf, der Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer nur gegen den Vertragsarbeitgeber begründe, müsse dessen Volumen für den jeweiligen Arbeitgeber im Umfang seiner Inanspruchnahme wirtschaftlich vertretbar sein. Dies ergäbe sich sowohl aus dem Wortlaut des § 112 Abs. 5 BetrVG („das Unternehmen“), als auch aus dem Willen des Gesetzgebers.
Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit kommt es nach Ansicht des BAG stets auf eine Einzelfallbetrachtung an. Die Einigungsstelle habe insbesondere zu berücksichtigen, ob und welche Einsparungen die Betriebsänderung mit sich bringt. Dass ein Unternehmen sich bereits in finanziellen Schwierigkeiten befindet, führt nicht direkt zu einer generellen wirtschaftlichen Unvertretbarkeit. Selbst im Falle der Insolvenz bleiben Betriebsänderungen nach § 123 InsO sozialplanpflichtig. Allerdings sei die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit dann überschritten, wenn die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals führe.
Die Arbeitgeberin sei im konkreten Fall nicht nur bilanziell überschuldet gewesen, sondern verfügte auch nicht über ausreichend Liquidität, um die Sozialplanverbindlichkeiten bei ihrer Fälligkeit bedienen zu können. Aus der Liquiditätszusage der Konzerngesellschaft seien keine hinreichenden liquiden Mittel zur Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu entnehmen. Zudem habe die Einigungsstelle nicht davon ausgehen können, dass sich an dieser finanziellen Lage durch Verwertung des Anlagevermögens kurzfristig etwas ändern würde.
Weiterhin gilt: eine umfassende Vorbereitung der Sozialplanverhandlungen umfasst den Blick auf die betroffene Belegschaft und deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sowie den Blick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des (Vertrags)Arbeitgebers
Bei Verhandlungen über einen Sozialplan sind beide Seiten gut beraten, nach vertretbaren Lösungen zu suchen. Überzogene Forderungen in Zeiten der Vollbeschäftigung bei konkret in Aussicht stehenden alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten und einer angeschlagenen wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers sind hier nicht förderlich. Es gilt einen angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu finden. Das BAG hat mit seiner Entscheidung die Grenzen der Ermessensausübung durch die Einigungsstelle nochmal verdeutlicht und bestätigt, dass auch ein Sozialplan Null angemessen sein kann. Dabei kommt es auf die konkrete wirtschaftliche Lage des betroffenen Arbeitgebers an – nicht auf die weiteren Arbeitgeber in einem Gemeinschaftsbetrieb und auch nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Konzerns. Freilich kann Letzteres anders zu beurteilen sein, wenn durch langjährige Gewinnabführungsverträge die Verlustsituation der Tochtergesellschaft kausal herbeigeführt wurde. Wie stets empfiehlt es sich, anstehende Betriebsänderungen unter jedem Gesichtspunkt zunächst auszuleuchten und dann mögliche Risiken einzuschätzen, um die weitere Vorgehensweise, Zielsetzung und Verhandlungsparameter festzulegen.
Der Beitrag wurde mit Unterstützung von Frau Pia Schüller erstellt.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.