25. Juli 2017
Pony-Pack
Arbeitsrecht

TV BZ ME: Das BAG zum fachlichen Geltungsbereich („Pony-Pack″)

BAG: Branchenzuschläge müssen auch an Zeitarbeitnehmer gezahlt werden, die über einen Dienstleister in der Automobilindustrie das Pony-Pack fertigen.

Am 22. Februar 2017 hat sich das BAG zum ersten Mal mit dem Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie vom 22. Mai 2012 (nachfolgend kurz: „TV BZ ME″) befassen müssen. Durch diesen wird die dem Zeitarbeitnehmer gewährte Vergütung – in Abhängigkeit zur Einsatzdauer – an das Entgelt eines im Kundenbetrieb beschäftigten, vergleichbaren Mitarbeiters angepasst.

Fachlicher Geltungsbereich des TV BZ ME unklar

In Streit stand und steht nach wie vor die Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs des TV BZ ME insbesondere bei Dienstleistungen in der Automobil(zuliefer)industrie. In der Praxis stellt sich in diesem Zusammenhang regelmäßig die Frage, ob Branchenzuschläge nach Maßgabe des TV BZ ME von dem Zeitarbeitsunternehmen zu zahlen sind. Insbesondere dann, wenn dessen Mitarbeiter an einen Kunden überlassen werden, der für einen Automobilhersteller oder -zulieferer auf dessen Gelände mit einem eigenen „Betrieb″ mit an sich branchenfremden Tätigkeiten, z.B. im Bereich der Logistik, tätig wird (BAG v. 22. Februar 2017 – 5 AZR 453/15 zu einem Logistikzentrum; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4; BAG v. 22. Februar 2017 – 5 AZR 252/16 zur Sequenzierung von Bauteilen für Kfz).

In dem vorliegenden Fall lag die Besonderheit darin, dass der von dem Automobilhersteller eingebundene Dienstleister mit Tätigkeiten befasst war, die unmittelbar auf die Fertigung des Kfz gerichtet waren (Montage und Komplettierung der Motor-Getriebe-Einheit). Der 5. Senat sah insoweit den fachlichen Geltungsbereich des TV BZ ME als eröffnet an (Urteile v. 22. Februar 2017 – 5 AZR 552/14, 5 AZR 553/14, 5 AZR 554/14, 5 AZR 555/14).

Zeitarbeitnehmer war an Dienstleister überlassen worden

Der klagende Zeitarbeitnehmer (Mitglied der IG Metall) ist von dem beklagten Personaldienstleister (Mitglied im iGZ) seit Oktober 2012 an die L-GmbH zur Arbeitsleistung überlassen worden. Diese unterhält im Industriepark der F-Werke einen Betrieb. Dort montiert und komplettiert die L-GmbH für die F-GmbH nach deren Vorgaben Motoren mit Getrieben, Federbeinen, Kompressoren, Lichtmaschinen, Kabelbaum, Schläuchen, Motorprägung sowie Vorderachsen. Dabei werden Steck-, Füge-, Füll-, Schraub- und Scanoperationen nach einem festgelegten Ablaufplan ausgeführt.

Ergebnis der von der L-GmbH vorgenommenen Arbeiten ist die komplette Motor-Getriebe-Einheit eines Kfz (sog. „Pony-Pack“), die über eine Förderbrücke „just-in-sequence“ in eine benachbarte Halle der F-GmbH, einem Automobilhersteller, transportiert wird. Dort findet dann der Zusammenbau der Motor-Getriebe-Einheit mit der Karosserie statt (sog. Hochzeit). Die von der L-GmbH bei der Montage und Komplettierung verwendeten Komponenten werden von der F-GmbH bereitgestellt, die diese entweder selbst produziert oder von Zulieferern bezieht.

Zeitarbeitnehmer verlangt Branchenzuschläge der Automobilindustrie

Der Kläger meint, dass es sich bei dem Betrieb der L-GmbH um einen solchen der Automobilindustrie im Sinne des § 1 Nr. 2 TV BZ ME handele, so dass für dessen Einsatz dort Branchenzuschläge zu zahlen seien. Diese könnten nicht auf die Autohersteller reduziert werden. Bei den heutigen Produktionsmechanismen seien zumindest die Montage und die Komplettierung zugelieferter Teile integraler Bestandteil der Automobilfertigung. Die Beklagte hingegen vertritt die Meinung, bei dem Betrieb der L-GmbH handele es sich lediglich um einen Dienstleistungsbetrieb, der nicht vom TV BZ ME erfasst sei.

BAG bestätigt erstinstanzliches Urteil

Das BAG bestätigt mit seinem Urteil die zweitinstanzliche Entscheidung des LAG Köln (Urteil v. 16. Juni 2014 – 4 Sa 145/14). Dieses hatte zugunsten des klagenden Zeitarbeitnehmers die Einschlägigkeit des TV BZ ME und damit einen Anspruch auf Zahlung des tariflichen Branchenzuschlags anerkannt.

Das LAG Köln hat den Betrieb der L-GmbH – wie das BAG – als einen solchen qualifiziert, der dem vom TV BZ ME erfassten Wirtschaftszweig „Automobilindustrie″ und „Fahrzeugbau″ angehört. Weiter führte das LAG Köln aus, dass die L-GmbH einen Teil des Automobils, nämlich das Pony-Pack als das „Herzstück des Automobils″, montiere und komplettiere. Vor 2002 habe die F-GmbH diesen Schritt der Automobilfertigung noch selbst vorgenommen. Sie habe ihn 2002 auf die L-GmbH ausgegliedert.

Herstellung des Pony-Packs gehört zum Wirtschaftszweig der Automobilindustrie

Die Fertigung der L-GmbH sei aber örtlich, technisch und zeitlich in die Fertigungssequenz des produzierten Automobils integriert. Durch ein solches Zerlegen und Herausschneiden wesentlicher Teile des Fertigungsprozesses werde aber die dabei verrichtete Arbeit nicht von produzierender Arbeit zu einer reinen Dienstleistung. Die Arbeit der L-GmbH bleibe Teil der industriellen Fertigung des Endproduktes „Automobil″. Dass dem so sei, könne durch ein argumentum ad absurdum untermauert werden: Ansonsten könnten sämtliche Einzelschritte in der Automobilfertigung in kleine Einzelwerke zerlegt werden, für die die Verantwortung bei einzelnen Industriedienstleistern liege. Würde man deren Tätigkeit nicht mehr als Teil des Produktionsprozesses des Automobils und damit der Automobilindustrie ansehen, stünde schließlich ein fertiges Auto da, ohne dass dieses in der Automobilindustrie entstanden wäre.

Nicht nur Pony-Pack-Herstellung vom Geltungsbereich des TV BZ ME erfasst

Das BAG bestätigt diese Argumentation im Wesentlichen. Die Tätigkeit der L-GmbH sei nicht als reine Dienstleistung zu qualifizieren, sondern ebenfalls als unmittelbaren Teil eines Fertigungsprozesses der Automobilindustrie und des Fahrzeugbaus. Dieser wiederum wird vom fachlichen Geltungsbereich des TV BZ ME erfasst.

Bedeutsam für die Praxis ist, dass das BAG nicht nur die Hersteller von Automobilen im engeren Sinne, die letztlich die fertigen Produkte (Kfz) in den Verkehr bringen, als nach TV BZ ME zuschlagspflichtig qualifizieren. Vielmehr sind auch Betriebe in der Fertigungskette, die unmittelbar an der Herstellung des Fahrzeugs oder seiner Bestandteile beteiligt sind, zuschlagspflichtig.

Umfang des Unmittelbarkeitskriteriums nicht abschließend geklärt

Nicht abschließend geklärt ist indes, wie das vom BAG entwickelte Unmittelbarkeitskriterium zu verstehen ist. Nicht als unmittelbar in diesem Sinne sind Tätigkeiten im Bereich der Logistik und Sequenzierung anzusehen, die zwar die Produktion von Fahrzeugen unterstützen, aber gerade nicht in die Fertigungskette eingebunden sind (vgl. BAG v. 22.02.2017 – 5 AZR 453/15; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4; BAG v. 22.02.2017 – 5 AZR 252/16). Letztlich dürfte es nach Ansicht des BAG erforderlich sein, dass in dem Kundenbetrieb selbst eine auf die Herstellung des Automobils oder seiner Bestandteile gerichtete, eigene produzierende Tätigkeit erbracht wird, die sich ihrerseits als Teil der Fertigungskette darstellt.

Dies dürfte – so dürfte die Entscheidung des BAG zu verstehen sein – der Fall sein, wenn einzelne Komponenten hergestellt werden, die im Rahmen der Fertigung in ein Automobil eingebaut werden müssen. Darunter fallen beispielsweise Felgen, Sitze, Klimaanlagen, Autoreifen etc. Dies dürfte zudem auch für Ersatzteile, nicht aber für optionales Zubehör gelten, das nicht zu den zwingenden Bestandteilen eines Automobils gehört.

Sind die Voraussetzungen für die unmittelbare Einbindung in die Fertigungskette nicht erfüllt, liegt kein Betrieb der Automobilindustrie oder des Fahrzeugbaus vor, der von § 1 Nr. 2 S. 2, Hs. 1 TV BZ ME erfasst wird. Unterstützende Tätigkeiten, z.B. im Bereich der Logistik oder Sequenzierung, können aber als Hilfs- oder Nebenbetrieb i.S.v. § 1 Nr. 2 S. 2, Hs. 2 TV BZ ME branchenzuschlagspflichtig sein, so das BAG.

Absoluter Maßstab bei der Ermittlung der „überwiegenden Tätigkeit“

Soweit das BAG verlangt, dass die „überwiegende Tätigkeit″ auf die Fertigung eines Automobils oder seiner Bestandteile gerichtet sein muss, stellt sich die Frage, welcher Maßstab anzulegen ist, um dies zu bestimmen. Reicht dabei bereits ein relatives Überwiegen aus oder ist ein absolutes Überwiegen erforderlich? Letztlich dürfte zunächst unter Berücksichtigung der von den Mitarbeitern erbrachten Arbeitsstunden festzustellen sein, welchen Tätigkeitsschwerpunkt der Betrieb hat.

Sodann dürfte ein absoluter Maßstab anzuwenden sein. Nur wenn mehr als 50% der Tätigkeiten auf die Fertigung des Kfz entfallen, ist der fachliche Geltungsbereich des TV BZ ME nach Maßgabe von § 1 Nr. 2 S. 2, Hs. 1 TV BZ ME eröffnet. Dafür spricht insbesondere die den Tarifvertragsparteien bekannte ganz herrschende Ansicht, die die Branchenzugehörigkeit zur Bestimmung der Anwendung des AEntG auf Grundlage einer absoluten Betrachtung vornimmt (vgl. § 6 AEntG; BAG v. 17. Dezember 2010 – 10 AZR 500/11). Diese Erwägungen sind unserer Ansicht nach auf den TV BZ ME zur Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs uneingeschränkt zu übertragen.

Weite Auslegung der TV BZ ME in der Praxis

Die vom BAG entwickelte Auslegung von § 1 Nr. 2 S. 2, Hs. 1 TV BZ ME führt in der Praxis zu der Notwendigkeit einer erweiterten Anwendung des TV BZ ME. Dies hat zur Folge, dass zahlreiche in die Fertigungskette der Automobil(zuliefer)industrie eingebundene Kunden tatsächlich vom fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst werden. Vor diesem Hintergrund haben die dort eingesetzten Zeitarbeitnehmer einen Anspruch auf die Zahlung des tariflichen Branchenzuschlags.

Im Zweifel ist unter Beachtung von tariflichen oder vertraglichen Ausschlussfristen eine Korrektur der Abrechnungen durch den Personaldienstleister vorzunehmen. Dies gilt im Übrigen auch, wenn dieser die dadurch entstehenden finanziellen Belastungen nicht an dessen Kunden weiterreichen kann. Wenn und soweit entsprechende Ansprüche von den Zeitarbeitnehmern in der Vergangenheit nicht geltend gemacht wurden, kann dies maximal einen Zeitraum von 3 Monaten betreffen.

Schwieriger stellt sich die Situation im Umgang mit der Deutschen Rentenversicherung dar, die – unabhängig von einer Inanspruchnahme des Zeitarbeitsunternehmens durch den/die Mitarbeiter – die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf die in der Vergangenheit nicht gewährten Branchenzuschläge verlangen kann. Auch die BA dürfte sich als zuständige Prüfbehörde dafür interessieren, ob die Tarifverträge der Zeitarbeit einschließlich der Branchenzuschläge richtig angewendet und eingehalten wurden oder werden. Ist dies nicht der Fall, drohen erlaubnisrechtliche Schritte.

Konkurrenz zwischen TV BZ ME und anderen Branchenzuschlagstarifverträgen

In der Praxis wird sich zudem das Problem stellen, wie mit durch die erweiterte Anwendung des TV BZ ME zwangsläufig entstehenden Konkurrenzen zu anderen Branchenzuschlagstarifverträgen umzugehen sein wird. Insbesondere bei Automobilzulieferern, die aufgrund ihres Tätigkeitsschwerpunktes (bislang) dem fachlichen Geltungsbereich eines anderen Zuschlagstarifvertrags zugeordnet werden mussten, könnte dies zu Schwierigkeiten führen, z.B. bei Herstellern von Autoreifen (TV BZ Chemie oder TV BZ Kautschuk vs. TV BZ ME).

In diesem Zusammenhang kann vertreten werden, dass – mangels einer in den Tarifverträgen vorgesehenen eigenen Kollisionsregelung – der im Vergleich jeweils höhere Branchenzuschlag zu gewähren ist. Dies dürfte freilich aber nur gelten, wenn sich ein Branchenzuschlagstarifvertrag nicht als der speziellere darstellt, der den allgemeineren Tarifvertrag verdrängt (sog. Spezialitätsprinzip).

TV BZ ME wurde zwischenzeitlich neu verhandelt

Darüber hinaus ist zu beachten, dass der TV BZ ME aufgrund der zum 1. April 2017 in Kraft getretenen AÜG-Reform von den Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit neu verhandelt und inzwischen an die gesetzlichen Änderungen angepasst worden ist. In dem am 8. Mai 2017 abgeschlossenen TV BZ ME n.F. ist nunmehr vorgesehen, dass maßgebliches Bezugsobjekt nicht mehr der Kundenbetrieb, sondern das Kundenunternehmen sein soll. Dies kann rückwirkend zum 1. April 2017 – als dem maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttretens des TV BZ ME n.F. – zur Begründung oder auch zum Wegfall einer Branchenzuschlagspflicht führen (vgl. Protokollnotiz Nr. 1 zu § 1 Abs. 2 TV BZ ME; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4).

Die obigen Ausführungen zur Unmittelbarkeit und zum absoluten Überwiegen gelten ab dem 1. April 2017 konsequenterweise nicht mehr für den Betrieb, sondern sind auf das Kundenunternehmen zu beziehen, das den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit dem Personaldienstleister geschlossen hat, auf dessen Grundlage der Zeitarbeitnehmer schließlich bei diesem eingesetzt wird.

Dieser Beitrag ist angelehnt an einen Artikel der Juli-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“, in dem der Autor jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informiert. Sollten Sie Interesse haben, diesen zu beziehen, schreiben Sie bitte eine kurze E-Mail an: alexander.bissels@cms-hs.com.

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