10. März 2021
Unterlassungsanspruch Betriebsrat Home-Office
Arbeitsrecht

Kein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei mobilem Arbeiten

Der Betriebsrat kann die Anordnung mobilen Arbeitens zum Schutz vor Infektionen am Arbeitsplatz nicht einstweilen verhindern, so das LAG Hessen.

Das Thema mobiles Arbeiten hat spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie erheblich an Bedeutung zugenommen. Insbesondere die Tätigkeit im Home-Office kann zum Schutz der Belegschaft angebracht sein und einen Beitrag zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 leisten. Entsprechend sieht die aktuelle Corona-Arbeitsschutzverordnung in § 2 Abs. 4 bei Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten eine Pflicht des Arbeitgebers vor, den Beschäftigten anzubieten, ihre Arbeit im Home-Office auszuüben, sofern keine zwingenden betrieblichen Gründe entgegenstehen.

Für den Arbeitgeber stellt sich hier die Frage, inwiefern der Betriebsrat bei der Anordnung mobilen Arbeitens zu beteiligen ist. Das LAG Hessen (Beschluss v. 18. Juni 2020 – 5 TaBVGa 74/20) hat sich mit den einzelnen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates bei der Einführung mobilen Arbeitens auseinandergesetzt.

Betriebsrat behauptete Missachtung der Mitbestimmungsrechte bei Entscheidung über Homeoffice 

Der Entscheidung zugrunde lag ein vom Betriebsrat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemachter Anspruch auf Unterlassung der Durchführung mobilen Arbeitens wegen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte. Die am Verfahren beteiligten Arbeitgeber hatten dieses Arbeitsmodell aufgrund der aktuellen Pandemiesituation zum Schutz der Beschäftigten* vor Infektionen am Arbeitsplatz eingeführt.

Das Modell war so ausgestaltet, dass die Beschäftigten zwischen mobiler Arbeit und einer Tätigkeit vom Büro aus frei entscheiden konnten. Mobiles Arbeiten wurde mit den Beschäftigten zunächst für den Zeitraum von einer Woche vereinbart, konnte aber bei Bedarf verlängert werden. Folglich sollte der Schwerpunkt der Leistungserbringung weiterhin im Büro liegen.

LAG Hessen: Keine Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten bei mobilem Arbeiten

Das LAG Hessen sah durch die Einführung mobilen Arbeitens das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt. Danach hat der Betriebsrat über Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer mitzubestimmen. Die Einführung mobilen Arbeitens sei dagegen untrennbar mit der Erbringung der Arbeitsleistung verknüpft und deshalb mitbestimmungsfrei.

Auch wird das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG durch die Einführung mobilen Arbeitens grundsätzlich nicht berührt. Denn hierbei bleiben die betrieblichen Regelungen zu Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage in der Regel unverändert.

Darüber hinaus kommt bei der Ausgestaltung des mobilen Arbeitens grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 oder Nr. 7 BetrVG in Betracht. Dieses greift aber nur dann ein, wenn mit dem mobilen Arbeiten neue technische Einrichtungen eingeführt werden. Werden dagegen bei der mobilen Tätigkeit dieselben technischen Geräte verwendet, die auch bei der Arbeit im Büro genutzt werden, kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht in Frage.

Weiterhin bestehen zwar Beteiligungsrechte des Betriebsrates vor der Einführung mobilen Arbeitens (vgl. §§ 80 Abs. 2, 90, 92a BetrVG). Aus diesen folge jedoch nach Ansicht des LAG Hessen kein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates.

Anordnung von mobiler Arbeit als Versetzung?

Wesentlicher Gegenstand der Entscheidung ist die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärte Frage, ob die Einführung mobilen Arbeitens eine mitbestimmungspflichtige Versetzung i.S.v. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG darstellt.

Eine Versetzung setzt danach die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches voraus. Hierfür muss sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit so verändern, dass die neue Tätigkeit als eine andere anzusehen ist. Aufgrund der Ausgestaltung des mobilen Arbeitens in dem konkreten Fall könne aus Sicht des LAG Hessen nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die mobile Tätigkeit tatsächlich eine „andere″ sei. Wegen der Freiwilligkeit des mobilen Arbeitens und dessen zeitlicher Begrenzung sei jedenfalls zweifelhaft, ob sich das Gesamtbild der Tätigkeit überhaupt verändert habe.

Folglich konnte bei der im einstweiligen Rechtsschutz allein vorzunehmenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten nicht ohne Weiteres festgestellt werden, ob der Arbeitgeber bei der Einführung mobilen Arbeitens die (personellen) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates grob verletzt hat. Nur dann hätte der Betriebsrat über einen Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG verfügt. Denn dem Betriebsrat steht kein davon unabhängiger, allgemeiner Unterlassungsanspruch zu, um personelle Einzelmaßnahmen zu verhindern, die (vermeintlich) gegen Mitbestimmungsrechte verstoßen.

Auswirkungen der gegenwärtigen Pandemie-Lage auf die Mitbestimmung

Schließlich führt das LAG Hessen am Ende seiner Entscheidung aus, dass angesichts der gegenwärtigen Pandemielage und der damit verbundenen gravierenden Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten sowie der Gefahr enormer wirtschaftlicher Auswirkungen auf den Betrieb die Interessen an einer zügigen Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit gegenüber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates überwiegen sollen. Es sei dem Arbeitgeber selbst im Falle einer Mitbestimmungspflichtigkeit nicht zuzumuten, bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle mit der Einführung mobilen Arbeitens zu warten.

Durch die Einführung des mobilen Arbeitens werde gravierenden Gefahren für die Gesundheit der Belegschaft durch die Corona-Pandemie entgegengewirkt. Demgegenüber würden mit der Durchführung mobilen Arbeitens nur marginale Nachteile eintreten und der Schutz der Beschäftigten werde – bis zum Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung vor der Einigungsstelle – weder gefährdet noch vereitelt.

Rat: Dauer begrenzen und Beschäftigte entscheiden lassen

Folgt man den Ausführungen des Gerichts, so kann der Arbeitgeber mobiles Arbeiten immer dann ohne Beteiligung des Betriebsrates einführen, wenn

  • die Beschäftigten autonom darüber entscheiden können, ob sie mobil oder vom Büro aus arbeiten möchten (der Arbeitgeber also hierauf keinen Einfluss nimmt) und
  • die Dauer des mobilen Arbeitens zeitlich begrenzt wird (jedenfalls weniger als einen Monat).

Dies ist nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch aus infektionsschutzrechtlichen Gründen zu begrüßen, weil Arbeitgeber hierdurch handlungsfähig bleiben und im Interesse des Gesundheitsschutzes zeitnah entsprechende Maßnahmen ergreifen können. Arbeitgebern ist demnach anzuraten, die mobile Tätigkeit zur freien Disposition der Beschäftigten zu stellen und zeitlich zunächst auf einen kurzen Zeitraum zu begrenzen, sofern die Zustimmung des Betriebsrates nicht (zeitnah) eingeholt werden kann.

Indem das Gericht das Abwarten einer Entscheidung durch die Einigungsstelle für unzumutbar erklärt, wird Arbeitgebern ein noch weiterer Gestaltungsspielraum bei der Einführung mobilen Arbeitens eröffnet. Insoweit könnte letztlich sogar gegen den Willen des Betriebsrates mobiles Arbeiten zumindest vorläufig eingeführt werden. Ob dieser Auffassung andere Gerichte folgen werden, bleibt abzuwarten. Auch ob eine solche Vorgehensweise angesichts der notwendigen weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ratsam erscheint, sollte für jeden Einzelfall genau betrachtet und abgewogen werden. Hierbei spielt insbesondere die Dringlichkeit der Durchführung mobilen Arbeitens aufgrund der pandemischen Entwicklungen eine entscheidende Rolle, da dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wesentliche Bedeutung zukommt. 

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Betriebsrat Home-Office Mitbestimmung Mobile Arbeit Unterlassungsanspruch