BAG: Die Unwirksamkeit eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Nr. 1 AÜG tritt erst bei tatsächlicher und nicht bei nur geplanter Überlassung ein.
Umstritten war bislang die Frage, wann die Fiktion des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer bei einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung eintritt. Schon dann, wenn die Überlassung nur geplant ist oder muss diese tatsächlich schon durchgeführt werden?
Hierzu hat das BAG Anfang des Jahres Stellung genommen (Urt. v. 20. Januar 2016 – 7 AZR 535/13).
Im Orientierungssatz des Gerichts heißt es wörtlich:
„Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit tritt nicht schon aufgrund der Vereinbarungen der Beteiligten über eine beabsichtigte Überlassung des Arbeitnehmers an einen Entleiher, sondern erst dann ein, wenn der Arbeitnehmer einem Entleiher tatsächlich zur Arbeitsleistung überlassen wird.″
Arbeitsverhältnis aufgrund der illegalen Arbeitnehmerüberlassung?
Die Arbeitnehmerin war bei der Beklagten, die über keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt, als Sekretärin tätig. In einer nachträglich zum Arbeitsvertrag getroffenen Zusatzabrede wurde vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember 2012 „fest geschlossen ist″.
Die Beklagte und die M GmbH vereinbarten sodann einen Dienstleistungsvertrag, nach dem die Beklagte gegenüber der M GmbH „Büroservice″ und andere Dienstleistungen erbringt; es wurde verabredet, dass die Arbeiten ausschließlich durch die Klägerin erbracht werden. Diese wurde schließlich ab dem 1. Januar 2009 auf Grundlage des Dienstvertrags bei der M GmbH tätig, dessen Geschäftsführer sie weisungsunterworfen war.
Die M GmbH beendete den Dienstleistungsvertrag mit Wirkung zum 31. Dezember 2011. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2011. Ein von der M GmbH gestellter Insolvenzantrag wurde mangels Masse abgelehnt.
Im Rahmen der von der Arbeitnehmerin angestrengten Kündigungsschutzklage stritten die Parteien als zu klärende Vorfrage darum, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung überhaupt noch ein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten bestanden hat.
Das LAG Baden-Württemberg hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Das BAG hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
BAG verweist zurück – bisher keine Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG feststellbar
Die Beklagte habe nach Meinung des BAG die Klägerin der M GmbH zur Arbeitsleistung überlassen. Bis zum 1. Dezember 2011 habe keine Erlaubnispflicht bestanden, da der Verleih nicht gewerbsmäßig betrieben worden sei. Bei der Beklagten habe die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht gefehlt, indem sie der M GmbH nur die entstandenen Personalkosten in Rechnung gestellt habe; ab der zum 1. Dezember 2011 erfolgten Gesetzesänderung sei dagegen eine Erlaubnispflicht zu bejahen. Die Überlassung sei ab diesem Zeitpunkt „im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit″ der Beklagten erfolgt.
Allein das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und der Fortbestand des Dienstleistungsvertrags zwischen der Beklagten und der M GmbH bis zum 31. Dezember 2011 habe nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags der Parteien nach § 9 Nr. 1 AÜG und damit zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses geführt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Klägerin ab dem Zeitpunkt der Erlaubnispflicht der Arbeitnehmerüberlassung (hier: ab dem 1. Dezember 2011) tatsächlich an die M GmbH überlassen worden wäre. Hierzu habe das LAG Baden-Württemberg bislang allerdings keine Feststellungen getroffen.
Verfassungswidrigkeit von § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG?
Das BAG schließt sich damit der herrschenden Meinung an. Der 7. Senat stützt sich bei seinen Ausführungen auf den systematischen Zusammenhang von § 9 Nr. 1 und § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG sowie den Sinn und Zweck der Regelungen. Richtigerweise sollen diese kein „Gesinnungsunrecht″ oder einen bereits geplanten Verstoß gegen die Vorschriften des AÜG, sondern erst die tatsächliche Durchführung einer dann illegalen Arbeitnehmerüberlassung sanktionieren.
Interessant sind auch die „Hausaufgaben″, die das BAG dem LAG Baden-Württemberg mit auf den Weg gibt. Es muss zunächst festgestellt werden, ob ein Arbeitsverhältnis mit der M GmbH zu Stande gekommen ist. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die in § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG angeordneten Rechtsfolgen mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind, da der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit hat, dem Arbeitgeberwechsel zu widersprechen. Diesen Gedanken hat das BAG – freilich in Zusammenhang mit den Rechtsfolgen einer nicht mehr vorübergehenden Überlassung – bereits schon einmal herangezogen (BAG v. 10. Dezember 2013 – 9 AZR 51/13).
Der Gesetzgeber hat die vom BAG geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken ebenfalls aufgenommen. Dem Zeitarbeitnehmer wird im Rahmen der geplanten Reform des AÜG ein „Festhaltensrecht″ eingeräumt, dessen Ausübung es ihm ermöglicht, dass Arbeitsverhältnis mit dem illegalen Verleiher fortzusetzen (§ 9 Nr. 1 a.E. AÜG-E).
Verfassungskonforme Auslegung zu prüfen
Im Ergebnis dürfte das BAG jedoch wohl nicht von einer Verfassungswidrigkeit ausgehen. Die Richter führen aus, dass das LAG Baden-Württemberg sämtliche Möglichkeiten einer verfassungskonformen Auslegung in Betracht zu ziehen habe. Dabei könne zu erwägen sein, ob den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG dadurch Rechnung getragen werden könne, dass der Arbeitnehmer die in § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG angeordneten Rechtsfolgen durch Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts bis zur Erfüllung der Informations- und Nachweispflichten des Verleihers nach § 11 Abs. 1, 2 AÜG verhindern könne.
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