1. April 2022
Betriebsrat Briefwahl
Arbeitsrecht

Update Betriebsratswahlen 2022: Augen auf bei der Briefwahl!

Bundesarbeitsgericht hält Betriebsratswahl wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 3 WahlO BetrVG – Anordnung einer Briefwahl – für unwirksam.

Die Betriebsratswahlen 2022 (1. März bis 31. Mai 2022) sind in vollem Gange. Viel diskutiert wurde im Lichte der Coronapandemie, ob die Betriebsratswahlen anstatt in Form der klassischen Urnenwahl mittels einer generellen Briefwahl („Briefwahl für alle“) durchgeführt werden können. 

Diese Diskussion – und möglicherweise die ein oder andere bereits stattfindende Wahl – durchkreuzt die neueste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Frage der Zulässigkeit einer Briefwahl (Beschluss v. 16. März 2022 – 7 ABR 29/20). Vor dem Hintergrund, dass im Zuge der Coronapandemie verstärkt auf die Briefwahl gesetzt wird, eine besonders aktuelle Entscheidung.

Das Ergebnis vorweg: Bei unzulässiger Briefwahl droht erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl 

Verstößt eine Betriebsratswahl gegen wesentliche Wahlvorschriften, kann sie gem. § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten werden. Wesentliche Wahlvorschriften sind solche, die elementare Grundprinzipien der Betriebsratswahl enthalten oder tragende Grundsätze des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) berühren. Dabei war bereits anerkannt, dass die Art und Weise der Stimmenabgabe ein elementares Prinzip der Betriebsratswahl darstellt, sodass z.B. die generelle Zulassung einer Briefwahl ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WahlO BetrVG) deren Anfechtbarkeit begründet. Nach dieser Norm kann der Wahlvorstand für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, die schriftliche Stimmabgabe beschließen.

Das BAG hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass es für die Frage der Entfernung zwischen Betriebsteil bzw. Kleinstbetrieb zum Hauptbetrieb nur auf die Distanz bis zur Grenze des Hauptbetriebes ankomme. Der innerhalb eines Betriebsgeländes zurückzulegende Weg sei irrelevant. Die allgemeine Briefwahl nach § 24 Abs. 3 WahlO BetrVG besitzt Ausnahmecharakter – nur dann, wenn es den Arbeitnehmern* wegen der Distanz zum Betriebsgelände nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, ihre Stimme persönlich im Wahllokal abzugeben, komme eine schriftliche Stimmabgabe in Betracht. Bei der Beurteilung dieser Frage hat der Wahlvorstand zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum – ein Ermessen bzgl. der Anordnung der Briefwahl habe er aber nur dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm objektiv erfüllt sind. 

Dem Argument, die Briefwahl sei keine „schlechtere“ Form der Wahl, erteilt das Gericht eine Absage. Die schriftliche Stimmenabgabe schränke einen zentralen Wahlgrundsatz, nämlich den Grundsatz der Wahlgleichheit, ein. 

Die Briefwahlunterlagen würden häufig schon mehrere Wochen vor der Urnenwahl an den Wahlvorstand zurückgesandt – damit bestünde die latente Gefahr, dass das in den Briefwahlunterlagen enthaltene Meinungsbild am Tag der Urnenwahl bereits überholt sei und daher eher ein politisches Stimmungsbild als eine abschließende politische Meinung darstelle (so bereits im Beschluss v. 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92). 

Im Hinblick auf die möglichst weitgehende Wahrung der allgemeinen demokratischen Wahlgrundsätze der Unmittelbarkeit, der Freiheit und der Geheimhaltung der Wahl erscheine es daher – so bereits das LAG Niedersachsen (Beschluss v. 3. September 2020 – 4 TaBV 45/19) – geboten, die Voraussetzungen der Briefwahl restriktiv zu handhaben.

Rechtliche Konsequenzen bei rechtswidriger Briefwahl können erheblich sein 

Ob eine Betriebsratswahl im Ergebnis wegen des Rechtsverstoßes gegen § 24 WahlO BetrVG unwirksam ist, hängt zusätzlich davon ab, ob der Fehler das Wahlergebnis beeinflussen kann (§ 19 Abs. 1 BetrVG). Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein anderes Wahlergebnis ohne den Verstoß denkbar wäre. 

Die Rechtsprechung ist hier durchaus streng: So hatte das LAG Niedersachsen die Ursächlichkeit des Fehlers bereits deswegen bejaht, weil bei einer Briefwahl typischerweise die Wahlentscheidung vor dem eigentlichen Wahltag getroffen wird und sich die Meinung eines Wählers bis zum Wahltag selbst ändern könne. Folgt man dieser Argumentation, wirkt sich eine unzulässig beschlossene Briefwahl praktisch immer aus, sodass nur noch mit der geringen Anzahl der per Briefwahl abzugebenden Stimmen der Ursächlichkeit entgegengetreten werden kann.

Die erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl als Ganzes entzieht dem Betriebsrat die Grundlage für sein weiteres Bestehen und führt zu einem betriebsratslosen Betrieb. Dann kann direkt erneut gewählt werden. Wichtig ist aber: Die Anfechtung wirkt nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft. Alle bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Anfechtung vom Betriebsrat vorgenommenen Rechtshandlungen, einschließlich abgeschlossener Betriebsvereinbarung, bleiben gültig! 

Anders wäre dies, wenn eine Betriebsratswahl nichtig wäre. Das erfordert, dass gegen wesentliche Grundsätze der Wahl in einem so hohen Maße verstoßen worden ist, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt. Das wird bei einer fehlerhaft beschlossenen Briefwahl selten der Fall sein.

Unser Fazit zu Betriebsratswahlen: Augen auf bei der Briefwahl

Für Wahlen des Personalrats hatte der Gesetzgeber mit § 19a WO zum Bundespersonalvertretungsgesetz befristet die Möglichkeit geschaffen, rechtssicher ergänzende oder ausschließliche Briefwahlen durchzuführen. Diese Option bestand und besteht für die Betriebsratswahl nicht. Man mag es kritisieren – die Briefwahl ist und bleibt nur in den engen Grenzen des § 24 WahlO BetrVG zulässig.

Nun wird die Betriebsratswahl nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch den eingesetzten Wahlvorstand geleitet, § 1 Abs. 1 WahlO BetrVG. Der Arbeitgeber hat auf den Beschluss des Wahlvorstandes, eine Briefwahl durchzuführen, rechtlich keine Einflussmöglichkeit. Daher empfehlen wir in Zweifelsfällen, schnellstmöglich das Gespräch mit dem Wahlvorstand zu suchen. Dieser sollte vor dem Hintergrund der drohenden Konsequenzen ein erhebliches Interesse haben, die Richtigkeit der Wahl zu gewährleisten. Schön ist doch, dass nach der Rechtsprechung des BAG grds. alle Wahlfehler im laufenden Wahlverfahren reparabel sind (vgl. BAG, Beschluss v. 19. September 1985 – 6 ABR 4/85). Bis zum Wahltag sind also noch einige Korrekturen möglich. 

Und schließlich, auch das sei gesagt, bleibt die Hoffnung, dass der Gesetzgeber in den kommenden Jahren aktiv wird und die Wahlordnungen der Betriebsräte mittels digitaler Wahlen aus der „digitalen Steinzeit“ in das 21. Jahrhundert katapultiert.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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