Die kontoführende Bank haftet nicht nach § 13c UStG, solange die Kreditlinie des Kontokorrentkontos des Steuerschuldners eingehalten wird.
Eine Bank führt das Geschäftskonto einer GmbH und räumt ihr auf dem Kontokorrentkonto eine Kreditlinie ein. Zur Sicherung der Forderungen der Bank tritt die GmbH der Bank im Wege der Globalzession ihre Forderungen aus Lieferung und sonstigen Leistungen ab. Die GmbH gerät in eine wirtschaftliche Krise. Das Kontokorrentkonto befindet sich durchgehend im Soll, die Kreditlinie wird in diesem Zeitraum aber nicht überschritten.
Derweil gehen Zahlungen auf das Kontokorrentkonto ein, mit denen Forderungen der GmbH aus Lieferung und Leistung beglichen werden. Diese Forderungen werden durch die GmbH in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen als steuerpflichtige Umsätze angemeldet. Die Bank kündigt den Kreditvertrag und richtet ein Abwicklungskonto ein. Die in den Beträgen, die auf dem Kontokorrentkonto eingingen, enthaltene Umsatzsteuer führt die GmbH nicht mehr ab. Im Anschluss an eine Außenprüfung erlässt das Finanzamt einen Haftungsbescheid, mit dem sie die Bank für die nicht abgeführte Umsatzsteuer der GmbH nach § 13c UStG in Anspruch nimmt.
Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid bleiben erfolglos. Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt legt die Bank Revision ein.
§ 13c UstG ist unionsrechtskonform
Im Rahmen der Revisionsentscheidung (BFH, Urteil v. 29. November 2022 – XI R 2/22) bekräftigt der XI. Senat des Bundesfinanzhofs zunächst die Unionsrechtskonformität von § 13c UStG (bereits BFH, Urteil v. 20. März 2013 – XI R 11/12). Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) berechtigt die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen eine andere Person zu bestimmen, die als Steuerschuldner die Umsatzsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Von dieser Möglichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland mit § 13c UstG Gebrauch gemacht.
Die Vorschrift begründet eine verschuldensunabhängige Haftung des Zessionars für die in der abgetretenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer, wenn dieser eine Forderung vereinnahmt, hinsichtlich derer der abtretende Unternehmer bei Fälligkeit keine Umsatzsteuer entrichtet hat. Der Zessionar haftet dabei gem. § 44 AO neben dem Steuerschuldner gesamtschuldnerisch für die gesamte von diesem geschuldeten Steuer. Hierdurch soll Umsatzsteuerausfällen vorgebeugt werden, die dadurch entstehen, dass der abtretende Unternehmer finanziell nicht mehr in der Lage ist, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer zu entrichten, weil der Zessionar die Forderung eingezogen hat (Regierungsentwurf zum StÄndG 2003 – BT-Drs. 15/1562, 46).
Vereinnahmung der abgetretenen Forderung nach § 13c UstG
Tritt ein Geschäftskunde eine Forderung aus einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung an die Bank ab, kommt es für eine Haftung der Bank nach § 13c UstG insbesondere darauf an, ob die Bank die entsprechenden Beträge und die darin enthaltene Umsatzsteuer vereinnahmt hat.
Als maßgebliches Kriterium für die Vereinnahmung der abgetretenen Forderung nach § 13c UStG benennt der Bundesfinanzhof die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den vereinnahmten Betrag
und stellt im Übrigen auf die Voraussetzungen der Vereinnahmung ab, die bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten in § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Satz 4 oder lit. b UStG bei der Ist-Besteuerung bestehen. Danach muss der Zessionar eine Zahlung aus der abgetretenen Forderung erhalten. Wesentlich ist der Entzug des Forderungsbetrags aus dem Verfügungsbereich des Zedenten in einer Weise, dass er nicht mehr zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden zur Verfügung steht. Der Betrag muss dem Zessionar zugänglich gemacht worden sein, so dass dieser und nicht der Zedent darüber frei verfügen kann. Für die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gem. § 13 UStG stellt der Bundesfinanzhof klar, dass es bei Überweisungen grundsätzlich auf den Zeitpunkt der erfolgten Gutschrift auf dem Konto ankommt.
Besonderheiten des Kontokorrentkontos
Ein Girokonto wird in aller Regel als Kontokorrentkonto geführt. Das Charakteristikum des Kontokorrents („laufende Rechnung“) besteht in der Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche. Die aus der Geschäftsverbindung entspringenden beiderseitigen Ansprüche und Leistungen nebst Zinsen werden in einer einheitlichen Rechnung zusammengestellt und in regelmäßigen Zeitabschnitten durch Verrechnung und Feststellung des für den einen oder anderen Teil sich ergebenden Überschusses (Saldos) ausgeglichen (§ 355 Abs. 1 HGB).
Im Anwendungsbereich der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gem. § 13 UstG ist umstritten, ob bereits das Einstellen der Forderung in ein Kontokorrent zur Vereinnahmung führt, oder eine Vereinnahmung erst mit der Verrechnung und Saldofeststellung vorliegt.
Keine Vereinnahmung der Bank, solange die Kreditlinie des Kontokorrentkontos des Steuerschuldners eingehalten wird
Befindet sich ein Kontokorrentkonto wie im Streitfall dauerhaft im Soll, ist laut dem Bundesfinanzhof für die Zwecke des § 13c UstG wie folgt zu unterscheiden: Nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Verfügungsmacht liegt keine Vereinnahmung der Bank i.S.v. § 13c UStG vor, wenn der Zedent bei Gutschrift auf das Konto hinsichtlich des Überweisungsbetrags in der Weise verfügungsberechtigt ist, dass er den Betrag abheben oder für frei gewählte Überweisungen nutzen kann. Eine Vereinnahmung der Bank ist dem gegenüber zu bejahen, wenn sie eine ihr zustehende Rechtsmacht ausübt und dies verhindert. Denn dann entscheidet die Bank, wie mit den Zahlungseingängen auf dem debitorisch geführten Konto umgegangen wird, sodass sie als wirtschaftlich Verfügungsberechtigte anzusehen ist (BFH, Urteil v. 22. Juni 2021 – V R 16/20).
Verfügt der Zedent daher innerhalb einer ihm eingeräumten Kreditlinie über das Konto, ist dieser und nicht die Bank wirtschaftlich verfügungsberechtigt. Daraus folgert der Bundesfinanzhof, dass die Bank dann nicht nach § 13c UStG haftet, wenn der Zedent wie im Streitfall die Kreditlinie des Kontokorrentkontos einhält. Anders als es das Finanzgericht angenommen hatte, gewährt die Bank nach Auffassung des Bundesfinanzhofs im Rahmen der vereinbarten fortlaufenden Verrechnung auch keine jeweils neuen Kredite. Der Umstand, dass den Verrechnungen eine einheitliche Kreditlinienentscheidung vorausgeht, verhindert Kreditneuvergaben.
Vereinnahmung der Bank durch Kündigung des Kreditvertrags?
Die Frage, ob die Kündigung des Kreditvertrags durch die Bank zu einer Vereinnahmung der abgetreten umsatzsteuerpflichtigen Forderungen führen kann, wird nach den von dem Bundesfinanzhof aufgestellten Kriterien zu bejahen sein. Mit der Kündigung des Kreditvertrags geht die wirtschaftliche Verfügungsmacht über Zahlungseingänge von dem Kontoinhaber auf die Bank über.
Festigung der bisherigen Rechtsprechung zur Haftung der kontoführenden Bank nach § 13c UStG bei debitorischen Kontokorrentkonten
Das Urteil des XI. Senats vom 29. November 2022 (XI R 2/22) stellt eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Haftung der kontoführenden Bank nach § 13c UStG bei debitorischen Kontokorrentkonten dar.
Im Juni 2021 hatte der V. Senat einen Fall zu entscheiden, in dem der Steuerschuldner Forderungen an seine Bank abgetreten und die Kreditlinie im Rahmen seines Kontokorrentkontos erheblich überschritten hatte (BFH, Urteil v. 22. Juni 2021 – V R 16/20). Damals wurde die Haftung der Bank wegen ihrer wirtschaftlichen Verfügungsberechtigung bejaht.
Zur Vermeidung von Haftungsrisiken ist für Banken daher Vorsicht geboten, wenn eine neue Kreditentscheidung getroffen wird und nach der Kündigung eines Kontokorrentkontos weiterhin Umsatzsteuer auf das Konto eingeht. Insolvenzverwalter sollten im Falle einer Sicherungsabtretung von umsatzsteuerpflichtigen Forderungen an die Bank nicht vorschnell von einem insolvenzfesten Absonderungsrecht der Bank ausgehen.