EU-ProspektVO: Bereits kurz nach dem Inkrafttreten der Verordnung müssen einige Ausnahmeregelungen von den Kapitalmarktteilnehmern beachtet werden.
Am 30. Juni 2017 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union die EU-Prospektverordnung (EU-ProspektVO) formal veröffentlicht. Als Bestandteil des sogenannten „Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion″ vom 30. September 2015 nimmt sich die EU-ProspektVO zum Ziel, den Anlegerschutz und die Markteffizienz sicherzustellen. Gleichzeitig soll der Kapitalbinnenmarkt gestärkt werden.
Mit unmittelbarer Geltung des neuen Regelungsregimes werden die Prospektrichtlinie 2003/71/EG sowie die darauf aufbauenden nationalen Regelungen schrittweise aufgehoben. In Deutschland betrifft dies das Wertpapierprospektgesetz (WpPG).
Seit dem formalen Inkrafttreten der EU-ProspektVO am 20. Juli 2017 ist die EU-Kommission befugt, delegierte Rechtsakte unter den in der Verordnung genannten Bedingungen zu erlassen. Die Verordnung sieht jedoch vor, dass einzelne Bestimmungen zu verschiedenen Stichtagen wirksam werden. Der Großteil der Regelungen gilt erst ab dem 21. Juli 2019, was auf die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen auf nationaler sowie auf Unionsebene zurückzuführen ist.
Darüber hinaus gibt es Regelungen, die seit dem 20. Juli 2017 unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten wirksam sind oder zum 21. Juli 2018 in Kraft treten werden.
Ausnahmeregelungen mit sofortiger Geltung
Unmittelbar mit Inkrafttreten der EU-ProspektVO sind die Änderung und Neufassung von drei Ausnahmevorschriften wirksam geworden, welche in bestimmten Konstellationen von einer Prospektpflicht befreien.
Ausnahme von Prospektpflicht für Wertpapiere aus 20%-Kapitalerhöhungen
Gemäß Art. 1 Abs. 5 Unterabsatz 1 Buchstabe a EU-ProspektVO werden solche Wertpapiere im Zuge ihrer Zulassung von der Prospektpflicht befreit, die mit bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind. Allerdings nur sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20% der Zahl der Wertpapiere ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind.
Diese Regelung ersetzt § 4 Abs. 2 Nr. 1 WpPG. Der wesentliche Unterschied liegt in der Ausweitung des bisherigen prospektbefreienden Schwellenwerts von bis zu 10% auf bis zu 20%. Fraglich ist, inwieweit diese Erhöhung eine praktische Relevanz für den deutschen Eigenkapitalmarkt haben wird. Denn ein Ausschluss des Bezugsrechts ist unter vereinfachten Voraussetzungen bei einer Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen gem. § 186 Abs. 3 Satz 4 Aktiengesetz auf 10% des Grundkapitals (sogenannter „erleichterter Bezugsrechtsausschluss″) beschränkt.
Sobald aber im Rahmen einer Kapitalerhöhung den Aktionären Bezugsrechte eingeräumt werden, geht die EU-ProspektVO von einem öffentlichen Angebot aus. Dieses öffentliche Angebot löst die Prospektpflicht auch dann aus, wenn für die Zulassung die vorgenannte 20%-Ausnahme greift.
Ausnahme von Prospektpflicht für Wertpapiere aus Umwandlungen oder Tausch
Von einer Prospektpflicht im Rahmen ihrer Zulassung ebenfalls entbunden sind gemäß Art. 1 Abs. 5 Unterabsatz 1 Buchstabe c EU-ProspektVO Wertpapiere, die aus der Umwandlung oder dem Tausch anderer Wertpapiere, Eigenmittel oder anrechnungsfähiger Verbindlichkeiten durch die Abwicklungsbehörde aufgrund der Ausübung einer Befugnis gemäß Richtlinie 2014/59/EU resultieren. Diese regelt den Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen.
Eine vergleichbare Ausnahmeregelung war im Wertpapierprospektgesetz bislang nicht enthalten. Die Abwicklungsbehörde wird von jedem Mitgliedsstaat benannt und ist zuständig für die Instrumente sowie deren Ausübung auf nationaler Ebene. In Deutschland wurden die Aufgaben als Abwicklungsbehörde der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) zugeteilt.
Ausnahme auch für Wandel-, Options- und Umtauschanleihen
Die dritte bereits anzuwendende Ausnahmeregelung findet sich in Art. 1 Abs. 5 Unterabsatz 1 Buchstabe b EU-ProspektVO wieder. Darin werden solche Aktien von einer Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts im Rahmen ihrer Zulassung befreit, die aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder aus der Ausübung der mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechte resultieren. Jedoch nur, sofern
- es sich dabei um Aktien derselben Gattung wie die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Aktien handelt und
- sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20% der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind.
Damit gemeint sind in erster Linie Wandel-, Options- und Umtauschanleihen. Diese Regelung ersetzt § 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG, welche in der Praxis für die Zulassung von Aktien, die nach Ausübung von Wandlungs- und Bezugsrechten aus anderen Wertpapieren ausgegeben wurden, von großer Bedeutung war.
Der wesentliche Unterschied zur bisher gültigen Regelung im Wertpapierprospektgesetz liegt in der Einführung eines prospektbefreienden Schwellenwerts von bis zu 20% über einen Zeitraum von 12 Monaten. Da auch in diesen Fällen die aktienrechtlichen Regelungen zum erleichterten Bezugsrechtsausschluss anwendbar sind, wird die Zukunft zeigen müssen, inwieweit diese Vorschrift für den Eigenkapitalmarkt relevant sein wird.
Ausnahme unterliegt bestimmten Einschränkungen
Gemäß Art. 1 Abs. 5 Unterabsatz 2 EU-ProspektVO findet der soeben beschriebene Schwellenwert von bis zu 20% über einen Zeitraum von 12 Monaten bei Vorliegen einer der folgenden Fälle keine Anwendung und könnte demnach auch höher liegen:
- wenn im Rahmen des Angebots oder der Zulassung zum Handel der Wertpapiere an einem geregelten Markt bereits ein Prospekt erstellt wurde,
- wenn die Begebung der Wertpapiere bereits vor dem 20. Juli 2017 erfolgte,
- wenn die Aktien zu den Posten des harten Kernkapitals eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma gerechnet werden kann und aus der Umwandlung von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals durch dieses Institut resultieren und
- wenn die Aktien zu den anrechnungsfähigen Eigenmitteln oder den anrechnungsfähigen Basiseigenmitteln im Sinne der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit gerechnet werden können und aus der Umwandlung anderer Wertpapiere resultieren, die zur Erfüllung der Solvenzkapitalanforderung oder der Mindestkapitalanforderung oder der Solvenzanforderung der Gruppe gemäß genannter Richtlinie benötigt wurden.
Ausnahmeregelung mit Wirksamkeit zum 21. Juli 2018
Zum 21. Juli 2018 werden Art. 1 Abs. 3 EU-ProspektVO und Art. 3 Abs. 2 EU-ProspektVO wirksam werden.
Ersterer regelt in Unterabsatz 1 die Nichtanwendbarkeit der EU-ProspektVO bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als einer Million Euro. Wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von 12 Monaten zu berechnen ist.
Im Wertpapierprospektgesetz findet sich zurzeit noch eine vergleichbare Regelung unter § 1 Abs. 2 Nr. 4 WpPG. Diese beinhaltet jedoch eine Schwelle von fünf Millionen Euro und darf lediglich von CRR-Kreditinstituten oder Emittenten, deren Aktien bereits zum Handel an einen organisierten Markt zugelassen waren, angewendet werden. Art. 1 Abs. 3 Unterabsatz 2 EU-ProspektVO gibt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, auf nationaler Ebene für öffentliche Angebote bis zu einer Million Euro andere Offenlegungspflichten vorzusehen, sofern diese keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung darstellen.
Art. 3 Abs. 2 EU-ProspektVO eröffnet den Mitgliedsstaaten ferner die Möglichkeit, einen individuellen Beschluss zu fassen, öffentliche Angebote von Wertpapieren von einer Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts auszunehmen. Jedoch nur sofern die Angebote nicht der Notifizierung gemäß Art. 25 EU-ProspektVO unterliegen und der Gesamtgegenwert des öffentlichen Angebots in der Union über einen Zeitraum von 12 Monaten nicht acht Millionen Euro überschreitet. Hierzu können die Mitgliedsstaaten einen Schwellenwert festlegen, der sich unterhalb der acht Millionen Euro bewegt und den nationalen Bedürfnissen näherkommt.
Die Mitgliedsstaaten sind dazu verpflichtet, die EU-Kommission und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) darüber zu unterrichten, ob und in welcher Weise sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, insbesondere im Hinblick auf die national festgesetzte Obergrenze.
Erforderliche Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedsstaaten
Das schrittweise Inkrafttreten einzelner Regelungen ist darauf zurückzuführen, dass neben der Verabschiedung europäischer Normen durch die EU-Kommission und ESMA den einzelnen Mitgliedsstaaten ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um auf nationaler Ebene den entsprechenden Rahmen für das neue Regelungsregime festzulegen. Folgende Maßnahmen müssen die Mitgliedsstaaten gemäß der EU-ProspektVO umsetzen:
- Sicherstellung, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haftung für jene Personen gelten, die für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben verantwortlich sind (je nach Fall kann dies der Emittent, dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan, der Anbieter, der Zulassungsantragssteller oder ein Garantiegeber sein).
- Sicherstellung, dass die nationalen Vorschriften über die Haftung der zuständigen Behörde nur für die Billigung von Prospekten durch die zuständigen Behörden gelten.
- Benennung der zuständigen Verwaltungsbehörde, die für die aus der Verordnung erwachsenden Pflichten verantwortlich ist.
- Sicherstellung, dass die zuständige Behörde mit allen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Aufsichts- und Ermittlungsbefugnissen ausgestattet sind.
- Sicherstellung, dass die zuständige Behörde die Befugnis hat, bestimmte verwaltungsrechtliche Sanktionen und andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen zu verhängen.
- Sicherstellung, dass die in Anwendung dieser Verordnung getroffenen Entscheidungen ordnungsgemäß begründet sind und gegen sie Rechtsmittel eingelegt werden können.
Fahrplan bis zum endgültigen Inkrafttreten
In den kommenden zwei Jahren wird der durch die Verordnung gesetzte harmonisierte Rahmen für Prospekte durch die Union unter Zuhilfenahme der EU-Kommission wie auch der ESMA kontinuierlich ausgeweitet. Nationale Umsetzungsmaßnahmen erfolgen durch die Mitgliedsstaaten und über die von ihnen benannte Behörde.
Für die Kapitalmarktteilnehmer in der Union gilt es, bis zur endgültigen Umsetzung des gesamten Regelungsregimes der EU-ProspektVO zum 21. Juli 2019 sicherzustellen, dass die jeweils geltende Regelung eingehalten wird und die nationalen Maßnahmen beachtet werden.
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