20. Juni 2022
100 Jahre Frauen in juristischen Berufen Rechtsanwältinnen
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100 Jahre Frauen in juristischen Berufen: Rechtsanwältinnen

Die ersten Rechtsanwältinnen ebneten den Weg für viele. Auch wenn die Rechtsanwaltschaft noch heute überwiegend männlich ist, beginnen bei CMS ebenso viele Frauen wie Männer.

Frauen hatten im Deutschen Kaiserreich keinen Zugang zu den klassischen juristischen Berufen. Die Universitäten des Deutschen Reiches gewährten den Frauen seit dem frühen 20. Jahrhundert nach und nach Zugang zu dem Studium der Rechtswissenschaften. Doch die Berufe einer Juristin durften sie anschließend nicht ausüben. Die fehlende Gleichberechtigung von Frauen war tief in der traditionellen Geschlechterordnung und dem Staatsaufbau verankert.

Die Juristinnen ohne Berufszulassung im Kaiserreich und der Wendepunkt in der Weimarer Republik 

Obwohl lange keine Aussicht auf eine Zulassung für die juristischen Berufe bestand, entschieden sich Frauen für ein Studium der Rechtswissenschaft. Aber ohne Zulassung zum Ersten Juristischen Staatsexamen blieb ihnen der Weg in die juristische Berufswelt versperrt. 

Eine von ihnen und Vorkämpferin für den Zugang von Frauen zur Justiz war Margarete Berent. Zusammen mit Marie Munk, Margarete Edelheim geb. Meseritz (später Edelheim Muehsam) und anderen Juristinnen gründete sie im Jahr 1914 den Deutschen Juristinnen-Verein; dieser gilt als Vorläufer des heutigen Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb). Erklärtes Ziel des Deutschen Juristinnen-Vereins war es, die juristischen Berufe für Frauen zu öffnen und für gleiche Rechte der Geschlechter zu sorgen. Noch während des Ersten Weltkrieges setzten sie sich dafür ein, dass Frauen der Zugang zum Ersten Juristischen Staatsexamen und zum Referendariat gewährt wurde. 

Die unmittelbare Nachkriegszeit ab 1918 war ein Wendepunkt in der Berufszulassung von Frauen für die juristischen Berufe. Auf Grundlage der Weimarer Reichsverfassung von 1919 argumentierten Juristinnen nunmehr für eine geschlechtergerechte Auslegung der Gesetze, namentlich auch der Rechtsanwaltsordnung. So kam es schließlich im Jahr 1922 nach einem langen Weg zu der Verabschiedung des „Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“ (RGBl. 1922 I, S. 573).

Die erste zugelassene Rechtsanwältin Deutschlands: Maria Otto

Als erste Rechtsanwältin wurde Maria Otto im Dezember 1922 bei den Landgerichten München I und München II sowie dem Oberlandesgericht München zugelassen. 

Aber bevor es zu diesem historischen Schritt kam, bedurfte es als Frau – das zeigt ihre Geschichte eindrücklich – viel Motivation, Mut und Willen, um sich auf den juristischen Berufspfad zu begeben. Es ist die Geschichte einer Pionierin. Unermüdlich kämpfte sie um die Zulassung zum Referendariat und zum Zweiten Juristischen Staatsexamen. Zunächst wurde sie 1920 nur „informatorisch“ zum Vorbereitungsdienst zugelassen. Damit absolvierte Maria Otto das Referendariat allein zum eigenen Vergnügen. 

Nach dem Abschluss des seinerzeit dreijährigen Referendariats hätte sie, wie ihre männlichen Referendarskollegen, eigentlich zum Zweiten Juristischen Staatsexamen zugelassen werden müssen. Dass die Zulassung von Frauen für die juristischen Berufe aber noch auf sich warten ließ, hat Maria Otto nicht davon abgehalten, immer und immer wieder Anträge auf Zulassung zu stellen. So stellte sie regelmäßig den Antrag darauf, dass ihr informatorischer Status im Referendariat in einen regulären gewandelt würde. 

Nach zahlreichen Absagen schränkte sie ihren letzten Antrag so ein, dass sie keine Position im Staatsdienst anstrebte. So wurde sie im Februar 1922 und damit noch vor der Verabschiedung des „Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“ ausnahmsweise zum Zweiten Juristischen Staatsexamen zugelassen und bestand im Juni 1922 als erste Frau das Assessorexamen. Anschließend praktizierte Maria Otto ca. 55 Jahre in ihrem Beruf als Rechtsanwältin. Sie starb am 20. Dezember 1977 in München. 

Wissbegierig und richtungsweisend: Marie Munk und Margarete Berent 

Marie Munk, geboren im Jahr 1892, wuchs in Berlin in einer typisch bildungsbürgerlichen Familie als jüngstes von drei Kindern auf. Ihr Vater war Landgerichtspräsident, die Mutter Hausfrau. Nach einer Ausbildung zur Sozialarbeiterin und ihrer Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern entschied sie sich, eine akademische Ausbildung zu beginnen. Nach einem Jurastudium in Bonn und an der liberalen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg schrieb Marie Munk 1911 ihre Doktorarbeit „Die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung“. Ohne Zulassung sah sie sich jedoch gezwungen, sich nach anderen Arbeitsmöglichkeiten umzusehen.

In den folgenden Jahren arbeitete sie u.a. als Volontärin, als zweite Vorsitzende einer Frauenrechtsschutzstelle in München, als juristische Hilfskraft und unterrichtete. Sie legte 1924 als erste Frau in Preußen das Zweite Juristische Staatsexamen ab – dies zog sogar die Aufmerksamkeit der ausländischen Presse auf sich. Daraufhin wurde sie Assistentin des Preußischen Justizministers. Sie beantragte erfolgreich als erste Frau in Preußen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und es folgte die Eröffnung einer eigenen Kanzlei in Berlin.

Ihr Engagement in den folgenden Jahren für eine Familienrechtsreform kann als richtungsweisend beschrieben werden. Sie wollte die Stellung von Frauen (Ehefrauen und Müttern) im BGB von 1900 verbessern. Sie engagierte sich etwa in den Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine und sprach auf dem 33. Deutschen Juristentag im Jahr 1924 über die Reform des ehelichen Güterrechts und war damit die erste Frau, die dort je ein Hauptreferat hielt. Sie veröffentlichte u.a. zum Ehe-, Ehegüter- und Scheidungsrecht. Seit 1929 war sie zunächst als Hilfsrichterin am Amtsgericht Charlottenburg, dann als Richterin am Amtsgericht Charlottenburg und am Landgericht III in Berlin tätig, während sie weiterhin Rechtskunde für Frauen unterrichtete und Vorträge hielt. 

Auch Margarete Berent, geboren 1887, wuchs in Berlin in einem großbürgerlichen Haushalt auf. Sie studierte an der Juristischen Fakultät der Berliner Universität und in Erlangen. Das Thema ihrer viel beachteten Dissertation lautete „Die Zugewinngemeinschaft der Ehegatten“. Sie begann u.a. eine Tätigkeit als juristische Hilfskraft, arbeitete in der Charlottenburger Rechtsschutzstelle für Frauen und unterrichtete. Margarete Berent legte ihr Zweites Juristisches Staatsexamen im Jahr 1925 ab und wurde daraufhin Gerichtsassessorin.

Aufgrund von Vorbehalten gegen weibliche Rechtsanwältinnen entwickelte sich ihre Kanzlei zunächst nur langsam, doch mit der Zeit konnte sie sich als Expertin für Familienrecht etablieren. Margarete Berent, die in weiblichen akademischen Kreisen ein hohes Ansehen genoss, gründete gemeinsam mit der Pädagogin und Sozialpolitikerin Erna Corte und anderen Frauen im Jahr 1926 zudem den Deutschen Akademikerinnenbund.

Nach der Machtergreifung Hitlers stellte der Deutsche Juristinnen-Verein seine Arbeit ein.  

Im Jahr 1933 wurde sowohl Margarete Berent als auch Marie Munk als Jüdinnen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen. Die wenigen gesetzlichen Ausnahmekriterien, namentlich eine Tätigkeit vor 1914 oder die Inanspruchnahme des Frontkämpferprivilegs, konnten sie als Frauen nicht erfüllen. 

Margarete Berent war noch fünf Jahre in der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden in Berlin tätig, bevor sie 1939/1940 über Chile nach New York auswanderte. Nach Tätigkeiten als Stubenmädchen, Haushälterin und Aushilfe im Postversand konnte sie mit Hilfe von Verwandten erneut ein Jurastudium aufnehmen. Nach einem langwierigen Studium an der New York University wurde sie im Jahr 1949 im Alter von 62 Jahren als Rechtsanwältin zugelassen. Sie blieb ihr Leben lang wissbegierig und besuchte kontinuierlich Vorlesungen und Lesungen. Margarete Berent verstarb am 23. Juni 1965 in New York. 

Marie Munk emigrierte ebenfalls in die USA und erhielt dort die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach bestandener Anwaltsprüfung, ohne zuvor erneut eine Law School absolviert zu haben. Ab 1945 unterstützt sie deutsche Opfer in den USA in den Wiedergutmachungsverfahren nationalsozialistischen Unrechts gegenüber Rechtsanwälten in Deutschland. Engagiert trat sie für Demokratie und Gleichberechtigung auch auf zahlreichen Reisen durch Europa und Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Sie verstarb im Jahr 1978 in den USA. 

Engagiert für Frauenrechte: Hildegard Gethmann

In den jungen Jahren der Bundesrepublik Deutschland waren Frauen in den juristischen Berufen weiterhin eine Ausnahme. Unter ihnen war Hildegard Gethmann, die 1934 als Rechtsanwältin zugelassen wurde und gegen Vorbehalte der NS-Behörden und männlicher Kollegen erfolgreich einen Mandantenstamm aufbauen konnte, zu dem unschuldig Verfolgte gehörten.

Nachdem sie 1943 als Juristin bei der Dortmunder Stadtverwaltung zwangsverpflichtet wurde und nur wenige Mandate bearbeiten konnte, war sie in der Nachkriegszeit politisch und lange Zeit als einzige Rechtsanwältin Dortmunds aktiv. Auf ihre Initiative wurde dort im Jahr 1948 der djb gegründet. Sie engagierte sich für eine Stärkung der Frauenrechte, indem sie bspw. eine Verfassungsbeschwerde gegen den im BGB festgeschriebenen „Stichentscheid“ einlegte. Dieser besagte, dass dem Vater als Oberhaupt der Familie das Alleinentscheidungsrecht in allen familiären Angelegenheiten zufiel – obwohl Männer und Frauen laut Grundgesetz auch zu dieser Zeit gleichberechtigt waren. Der „Stichentscheid“ wurde im Jahr 1959 aus dem BGB gestrichen.

1957 wurde Hildegard Gethmann eine der ersten Notarinnen der Bundesrepublik Deutschland. Sie erhielt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse im Jahr 1973 und verstarb 1988. 

Blick in die Gegenwart: Anteil der Rechtsanwältinnen nimmt zu 

Noch heute ist die Rechtsanwaltschaft in Deutschland überwiegend männlich geprägt. Auch wenn sich in den jüngeren Zulassungsjahrgängen die Zahlen positiv entwickelt haben, ist erst seit dem Jahr 2015 mehr als ein Drittel der Rechtsanwaltschaft weiblich. Im Jahr 2022 verzeichnen wir immerhin 60.057 zugelassene Rechtsanwältinnen, was einem Anteil von 36,27 % entspricht. 

Dies stimmt positiv, wenn man bedenkt, dass es im Jahr 1970 gerade einmal 1.035 Rechtsanwältinnen gab (4,52 %).

In unserer Blogreihe skizzieren wir Leben und Werk inspirierende RechtsanwältinnenRichterinnen und Juristinnen im Staatsdienst, die andere Frauen ermutigten und ihnen Wege bahnten, und geben einen historischen Überblick über die Berufszulassung für Frauen in juristischen Berufen in Europa. 

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