Eine lehrreiche Entscheidung des BGH zur Beweislastumkehr für das Merkmal der Pflichtverletzung in § 280 Abs. 1 BGB.
Zumindest die noch nicht im Zeitalter der Elektromobilität angekommenen Traditionalisten unter uns werden wissen, dass gerade der Kaltstart die Mechanik des Verbrennungsmotors stark beansprucht. Und wer das Leben seines fahrbaren Untersatzes verlängern möchte, wird darauf achten, gerade jetzt in der kalten Jahreszeit ein Motoröl mit einer Viskositätsklasse zu verwenden, die ausreichende Schmierfähigkeit auch bei niedrigen Temperaturen verspricht.
Einer lehrreichen Entscheidung (III ZR 4/16), die der III. Zivilsenat in Karlsruhe veröffentlicht hat, kann der nicht mit der equitatio vertraute Leser entnehmen, dass nicht nur Verbrennungsmotoren, sondern auch die biologischen Vorgänger dieser Fahrzeugantriebe Probleme mit einem Kaltstart haben können – die sich zudem wohl nicht durch eine geeignete Viskositätsklasse des Pferdefutters lindern lassen.
Haftungstatbestand in § 280 Abs. 1 BGB
In dem Urteil aus Januar 2017 finden sich neben Beobachtungen zum Kaltstartverhalten von Wallachen und einer Einführung in die Rechtsnatur von Verträgen zur Überlassung einer Pferdebox, Pferdepensionsverträgen (deren Schwerpunkt offenbar Gegenstand reger Debatten unter Pferderechtlern ist) sowie Verträgen über den Vollberitt, vor allem auch wohlformulierte Aussagen zu den Konturen der sog. „Gefahrenbereichslehre″ in dem seit nunmehr 15 Jahren geltenden „neuen″ Schuldrecht.
Bekanntlich ersetzte zum 1. Januar 2002 der neue Haftungstatbestand in § 280 Abs. 1 BGB die frühere Lehre von der positiven Vertragsverletzung. Aufgrund des klaren Wortlauts der Norm dürfte allgemein anerkannt sein, dass es grundsätzlich dem Anspruchsteller obliegt, sowohl eine schuldrechtliche Sonderbeziehung, als auch die Verletzung einer Pflicht aus derselben darzulegen und zu beweisen. Erst dann trifft den Anspruchsgegner eine Entlastungspflicht im Hinblick auf das Vertretenmüssen – meist also den Nachweis fehlenden Verschuldens.
Zu Ansprüchen aus dem nicht gesetzlich geregelten Tatbestand der positiven Vertragsverletzung hatten Reichsgericht und Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, der Unternehmer müsse sich entlasten, wenn sich aus der Sachlage der Schluss rechtfertige, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliege. Das gelte speziell dann, wenn die Schadensursache aus dem Gefahrenbereich komme, für den der Unternehmer verantwortlich sei. Die für diese Rechtsprechung prägenden Entscheidungen beziehen sich allerdings vor allem auf das Verschulden und differenzieren kaum zwischen letzterem und einer Pflichtverletzung.
BGH hält an Gefahrenbereichslehre fest
Dennoch gab der Bundesgerichtshof bereits in einigen jüngeren Entscheidungen zu erkennen, dass er an dieser sog. „Gefahrenbereichslehre″ festhalten wolle, um damit in den einschlägigen Fällen eine Beweislastumkehr zur Pflichtverletzung zu begründen. Die juristische Literatur bietet teils überzeugende Begründungen für die so erzielten Ergebnisse an; Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass es in bestimmten Fällen erhebliche Überschneidungen bei den Merkmalen der Pflichtverletzung und des Verschuldens geben kann (vgl. etwa Schwarze, in: Staudinger, zu § 280 BGB).
Die bisher in dieser Frage zum „neuen″ Schuldrecht ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen überzeugten eher nicht durch eine besonders prägnante Begründung. So hieß es etwa in einem häufiger zitierten Urteil aus dem Jahr 2008 (XII ZR 148/06), die Beweislastumkehr in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB umfasse – jedenfalls bis zu einer bestimmten Grenze – auch die objektive Pflichtverletzung. Diese Herangehensweise verkehrte geradezu die neue gesetzliche Systematik und war nicht geeignet, die Konturen der sog. „Gefahrenbereichslehre″ im heute geltenden Schuldrecht zu präzisieren. Das mag ein Grund dafür sein, weshalb auch die Kommentarliteratur bisher überwiegend eher vage Aussagen zu der Frage vorhält, in welchen Fällen die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr vorliegen.
Voraussetzungen für Beweislastumkehr hinsichtlich einer Pflichtverletzung
Hiervon hebt sich das Urteil vom 12. Januar 2017 wohltuend ab. In dessen Entscheidungsgründen wird ausgeführt:
Zwar trägt bei einem Schadensersatzanspruch wegen Vertragspflichtverletzung grundsätzlich der Anspruchsteller die Beweislast dafür, dass der Anspruchsgegner eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat. Ist die Schadensursache jedoch aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Anspruchsgegners hervorgegangen und rechtfertigt die Sachlage den Schluss, dass dieser die ihm obliegende Sorgfalt verletzt hat, so muss er sich vom Vorwurf der Vertragsverletzung entlasten; er hat hierfür darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass ihn kein Pflichtverstoß trifft.
Eine Beweislastumkehr für das Element der Pflichtverletzung hat also zwei Voraussetzungen:
- Schadensursache im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Anspruchsgegners (beispielsweise klassische Obhutsfälle) und
- Feststellung einer Sachlage, die den Schluss darauf rechtfertigt, dass der Anspruchsgegner die ihm obliegende Sorgfalt verletzt hat.
Der unbefangene Leser könnte sich hier allenfalls noch die Frage stellen, ob mit der zweiten Voraussetzung nur solche Fälle gemeint sind, in denen ein Sorgfaltsverstoß mittelbar bewiesen ist. So ist die Formulierung aber nicht zu verstehen. Es geht dem Gericht erkennbar um Beweisanzeichen, also nach allgemeiner Definition um tatsächliche Hinweise, die für sich allein oder in einer Gesamtschau mit anderen einen (Rück-)Schluss auf das Vorliegen einer Tatsache rechtfertigen. Man könnte also auch formulieren: Es müssen zumindest Indizien vorliegen, die für eine Verletzung von Sorgfaltspflichten sprechen.