Der BGH zur Besorgnis der Befangenheit von gerichtlich bestellten Sachverständigen nach vorheriger Tätigkeit als Privatgutachter.
Mit zunehmender Komplexität kommt dem Einsatz von Sachverständigen bei streitigen Sachverhalten eine besondere Bedeutung zu. Nach einer neueren Entscheidung des BGH kann eine vorherige Tätigkeit als Privatgutachter eine gerichtliche Bestellung für ähnlich gelagerte Sachverhalte jedoch ausschließen.
Sachverständige werden sich daher zukünftig eher als bisher entscheiden müssen, ob sie als Gutachter in privatem Auftrag oder als öffentlich beeidigte Sachverständige in Gerichtsverfahren tätig werden wollen. Aber nicht nur Sachverständige werden durch die BGH-Entscheidung vor besondere Herausforderungen gestellt, sondern gleichermaßen Gerichte wie auch Prozessparteien.
Privatgutachten zur außerprozessualen Beurteilung komplexer Sachverhalte
Im Rahmen von komplexen Streitigkeiten vermitteln Sachverständige jene besondere Sachkunde, welche der jeweilige Entscheidungsträger selbst nicht innehat. Außerprozessual kann ein Sachverständiger beispielsweise einem Unternehmen die nötige Sachkunde vermitteln, die es zur Beurteilung eines gegen das Unternehmen geltend gemachten Anspruches benötigt. Insbesondere Versicherungen sind dabei bei der Beurteilung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines Haftungsfalles eingetreten sind, auf besonderen Sachverstand angewiesen (beispielsweise bei Brandschäden oder Verkehrsunfällen).
Diese sog. Privatgutachten dienen der außerprozessualen Beurteilung des Sachverhaltes. Wenn ein Rechtsstreit über etwaige Ansprüche jedoch unumgänglich wird, tragen Sachverständige auch im gerichtlichen Verfahren dazu bei, den streitigen Sachverhalt zu beurteilen und vermitteln dem Gericht damit die qualifizierte Sachkunde, die es zur Entscheidungsfindung benötigt.
Besorgnis der Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen bei vorheriger Tätigkeit als Privatgutachter in gleichartigen Fällen
Dabei kann im Rahmen eines Zivilverfahrens jede der Parteien die Ablehnung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit beantragen. Es muss ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (vgl. § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO).
Diese Besorgnis ist gegeben, wenn der Sachverständige bereits für eine der am Prozess beteiligten Parteien als Privatgutachter tätig war. Das ist allgemein anerkannt.
Mit seinem Beschluss vom 10. Januar 2017 (VI ZB 31/16) hat der BGH das Ablehnungsrecht wegen Besorgnis der Befangenheit aber auf die Vorbefassung des Sachverständigen in allen gleichartigen Fällen ausgedehnt. Ob die Vortätigkeit des Sachverständigen als Privatgutachter für eine am konkreten Gerichtsverfahren beteiligte Partei erfolgte, ist dabei nicht (mehr) relevant.
Nach Ansicht der Karlsruher Richter bestehe die generelle Sorge, dass ein Sachverständiger von seinen früheren Feststellungen als Privatgutachter nicht abweichen werde. Das schon deshalb nicht, um sich mit genau diesen Feststellungen – für die er vergütet worden ist – nicht in Widerspruch zu setzen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige müsste sich sonst den Vorwurf seines früheren Auftraggebers gefallen lassen, das Privatgutachten seinerzeit nicht ordnungsgemäß erstellt zu haben.
Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein Sachverständiger an die gleichgelagerte Fragestellung unbefangen herantreten und sie in einem gerichtlichen Verfahren anders begutachten werde, als zuvor in seinem Privatgutachten. Ausreichend ist allerdings die berechtigte Befürchtung einer Partei, dass der Sachverständige sich an seinen früheren Feststellungen orientieren könnte – auf eine tatsächlich bestehende Befangenheit komme es nicht an.
Neue Herausforderungen für Parteien, Gerichte und Sachverständige
Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Sie trägt zur Rechtssicherheit und richtigen Urteilsfindung bei. Gleichzeitig stellt sie die Praxis jedoch vor neue Herausforderungen:
Die Parteien eines (drohenden) Rechtsstreites werden in Zukunft sorgfältiger abwägen müssen, ob sie einen Sachverständigen – und wenn ja welchen und in welchem Umfang – bereits vorgerichtlich mit der Sachverhaltsermittlung beauftragen möchten.
Während die Erstellung eines Privatgutachtens im vorgerichtlichen Verfahren für eine einvernehmliche Lösung durchaus förderlich sein kann, stünde der beauftragte Privatgutachter nach der neueren Entscheidung des BGH in sämtlichen ähnlich gelagerten Gerichtsverfahren nicht mehr als Gerichtssachverständiger zur Verfügung. Die Parteien würden sich durch die außerprozessuale Beauftragung damit ihren Wunschgutachter „verbrennen“. Dies nicht nur, wie bisher, für den konkreten Fall, sondern für alle ähnlich gelagerten Fälle. Dabei stehen für die Beurteilung bestimmter Fragestellungen ohnehin nur eine begrenzte Anzahl ausgewiesener Experten zur Verfügung.
Die Parteien eines Rechtsstreites werden in ihren strategischen Überlegungen daher bereits weit vor einem möglichen Gerichtsprozess – insbesondere, wenn eine Vielzahl gleich gelagerter Verfahren drohen – berücksichtigen müssen, dass privat beauftragte Sachverständige für spätere Gerichtsverfahren nicht mehr herangezogen werden können.
Demgegenüber werden auch Gerichte in der Auswahl tauglicher Sachverständiger erheblich eingeschränkt. Überspitzt gesagt könnte das zu einem Mangel an gerichtlichen Sachverständigen oder zu schlechteren Begutachtungsergebnissen führen. Jedenfalls bleiben Gerichte auch weiterhin gehalten, einen fachkundigen und neutralen Sachverständigen mit der Begutachtung zu betrauen. Die aus der BGH-Entscheidung gegebenenfalls resultierenden erhöhten Auswahlanstrengungen des Gerichts sind im Interesse objektiver Begutachtung zur Wahrheitsermittlung vor Gericht hinzunehmen.
Schließlich werden auch Sachverständige sich auf die BGH-Entscheidung einstellen und eher als bisher abwägen müssen, ob sie als öffentlich beeidigte Sachverständige in Gerichtsverfahren oder als Gutachter in privatem Auftrag tätig werden wollen. Aufgrund der damit verbundenen strengen Exklusivität freilich eine Einschränkung, der Privatgutachter auf Vergütungsebene Rechnung tragen könnten. Sie werden zudem gehalten sein, das Gericht vor Übernahme der Begutachtung auf ihre Vorbefassung mit jeder hinreichend vergleichbaren Sache hinzuweisen. Unterlassen Sie einen solchen Hinweis, kann dies – ungeachtet der Frage einer tatsächlich bestehenden oder nicht bestehenden Befangenheit – zum Verlust des Vergütungsanspruches führen.
Gerichtliche Vorbefassung eines Sachverständigen: Weitere Ausweitung der BGH-Rechtsprechung in Sicht?
Eine spannende, sicherlich aber nicht abschließende Entwicklung. Dabei wird man nicht nur die Folgen der BGH-Entscheidung mit Aufmerksamkeit verfolgen, sondern sich auch die Frage stellen müssen, ob diese Rechtsprechung nicht ihrerseits nunmehr auch auf den bislang unproblematischen Fall einer gerichtlichen Vorbefassung auszudehnen sein wird.
Denn das entscheidend Neue der BGH-Entscheidung ist gerade, dass ein Sachverständiger zuvor in einem ähnlich gelagerten Fall von einem Dritten beauftragt wurde. Diese vorherige Beauftragung ist aber bei einer gerichtlichen Vorbefassung ebenfalls gegeben. Auch bei einer gerichtlichen Vorbefassung liegt der Verdacht nahe, dass der Sachverständige sich zu den damals ermittelten Befunden nicht in Widerspruch setzen wird. Nicht weniger als der privat beauftragte Sachverständige wird auch der gerichtlich bestellte Sachverständige sich bei abweichender Beurteilung dem Verdacht aussetzen, sein damaliges Gutachten nicht sorgfältig erstellt zu haben.
Ob zur Ausräumung etwaiger Besorgnis der Umstand allein genügt, dass der staatliche Auftraggeber seinen Anspruch gegen den Sachverständigen (womöglich) nicht geltend machen wird, ist zweifelhaft und wird aufmerksam zu beobachten sein.