11. Dezember 2018
Nacherfüllung unverhältnismäßig
Commercial

BGH zum Anspruch auf Nacherfüllung – Nachträglicher Wechsel zwischen Nacherfüllungsarten und Einrede der Unverhältnismäßigkeit

Der Käufer ist an die Wahl der Nacherfüllungsart nicht gebunden. Software-Updates könnten zur Unverhältnismäßigkeit der begehrten Ersatzlieferung führen.

Mit Urteil vom 24. Oktober 2018 (VIII ZR 66/17) konkretisiert der BGH das Recht des Käufers auf Nacherfüllung bei Sachmängeln. Der Käufer darf eine Ersatzlieferung auch dann verlangen, wenn er zunächst Mängelbeseitigung geltend gemacht hatte. Dies gilt selbst dann, wenn zwischenzeitlich der Mangel durch den Verkäufer im Rahmen einer unabgestimmten Mängelbeseitigung behoben wurde. Die Einrede der Unverhältnismäßigkeit kann auch bei Sachmängeln von erheblicher Bedeutung berechtigt sein.

Die Wertungen des BGH dürften Ausstrahlungswirkung weit über den vorliegenden Fall haben. Dies gilt zum Beispiel branchenübergreifend für alle Kaufverträge über Maschinen im B2B-Bereich.

Warnmeldung des Fahrzeugs und Geltendmachung des Nacherfüllungsanspruchs

Der Kläger kaufte von der Beklagten im September 2012 ein Fahrzeug. Dieses Fahrzeug hatte gemäß den damaligen Serienstandards eine Software, die bei drohender Überhitzung der Kupplung eine Warnmeldung einblendete. Im Textdisplay des Bordcomputers erschienen ab Januar 2013 regelmäßig Warnmeldungen, die den Fahrer dazu aufforderten, das Fahrzeug abzustellen und die Kupplung auskühlen zu lassen. Der Käufer beanspruchte gegenüber der Beklagten zunächst die Mängelbeseitigung (hier: Reparatur). Die Warnmeldungen leuchteten auch nach mehreren Serviceeinsätzen in Werkstätten der Beklagten weiterhin auf.

Aufforderung zur Ersatzlieferung und etwaige Mängelbeseitigung

Nach der fehlgeschlagenen Mängelbeseitigung verlangte der Kläger im Juli 2013 die Ersatzlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs. Die Beklagte wies einen Sachmangel zurück und teilte mit, dass die Warnmeldung nicht auf eine tatsächliche Gefahr hinweise, sondern die Kupplung auch im laufenden Fahrbetrieb abgekühlt werden könne. Im Oktober 2014 hatte die Beklagte nach eigener Aussage den etwaigen Mangel behoben. Sie hatte hierfür im Rahmen eines routinemäßigen Kundendienstes ein zwischenzeitlich zur Verfügung stehendes Softwareupdate mit einer korrigierten Warnmeldung aufgespielt. Der Beklagte verlangte weiterhin die Lieferung eines Ersatzfahrzeugs und erhob Klage.

BGH bestätigt das Berufungsurteil teilweise und hebt es dennoch auf

Das OLG Nürnberg (Urt. v. 20. Februar 2017 – 14 U 199/16) hat die Beklagte zur Ersatzlieferung eines Fahrzeugs verurteilt. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein. Der BGH hat die rechtliche Würdigung des OLG Nürnbergs zwar an wesentlichen Stellen bestätigt. Insgesamt hob er das Berufungsurteil jedoch auf und verwies es zurück an die Berufungsinstanz.

Warnmeldung stellt einen Sachmangel dar

Zunächst weist der BGH darauf hin, dass die wiederholte Warnmeldung in dem Fahrzeug einen Sachmangel darstellt. Das Fahrzeug habe sich aufgrund der ständigen Warnmeldung weder für die gewöhnliche Verwendung geeignet noch die Beschaffenheit aufgewiesen, die für ein Fahrzeug der vorliegenden Art üblich sei. Dies würde aus Sicht des BGH selbst dann gelten, wenn der Warnmeldung keine tatsächliche Gefahr zu Grunde gelegen haben sollte und ein Auskühlen der Kupplung im regulären Fahrbetrieb möglich gewesen wäre.

Schließlich würde auch diese Warnmeldung die Nutzung des Fahrzeugs beeinträchtigen. Aus Sicht des BGH würde ein durchschnittlicher Fahrer einer solchen Warnung zur Vermeidung von Schäden nachkommen. Er würde somit gemäß der Warnung anhalten und die Kupplung auskühlen lassen.

Käufer darf von Mängelbeseitigung zu Ersatzlieferung wechseln

Eine weitere Frage drehte sich um den Wechsel der Art der Nacherfüllung. Gemäß § 439 Abs. 1 BGB hat der Käufer bei der Nacherfüllung die Wahl zwischen Mängelbeseitigung und Ersatzlieferung. Laut dem BGH darf der Käufer diese Wahl auch nach einem Scheitern des zunächst geltend gemachten Mängelbeseitigungsverlangen noch ändern. Anders als bei einer Rücktritts- oder Minderungserklärung sei die Geltendmachung des Wahlrechts nicht bindend.

Ersatzlieferung darf auch nach Mängelbeseitigung verlangt werden

Dem vorliegenden Fall lag die Besonderheit zu Grunde, dass der Beklagte den Mangel zumindest nach eigener Aussage zwischenzeitlich behoben hatte – und zwar, nachdem der Kläger sein Verlangen auf Ersatzlieferung umgestellt hatte. Diese Mängelbeseitigung ändert laut dem BGH jedoch nichts an dem weiterhin bestehenden Recht des Käufers, die Ersatzlieferung verlangen zu dürfen. Der Verkäufer dürfe dem Käufer somit im Rahmen der Nacherfüllung das Wahlrecht nicht einseitig durch die faktische Mängelbeseitigung nehmen. Dies soll zumindest dann gelten, wenn der Mangel ohne Zustimmung des Käufers beseitigt wird.

Geforderte Ersatzlieferung könne unverhältnismäßig sein

Gemäß § 439 a.F. (jetzt: § 439 Abs. 4 n.F.) darf der Verkäufer die gewählte Art der Nacherfüllung jedoch verweigern, wenn die Nacherfüllung hierdurch mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre. Zunächst weist der BGH darauf hin, dass die Einrede der Unverhältnismäßigkeit auch noch im Rahmen eines Gerichtsverfahrens geltend gemacht werden darf.

Die Frage der Unverhältnismäßigkeit muss laut dem BGH aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung und Würdigung aller maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls und unter Berücksichtigung der in § 439 Abs. 4 BGB n.F. genannten Kriterien beantwortet werden. Die Kriterien sind hiernach insbesondere:

  • Kostenverhältnis der beiden Arten der Nacherfüllung zueinander,
  • Wert der Kaufsache in mangelfreiem Zustand,
  • Bedeutung des Mangels und
  • die Bewertung der Nachteile für den Käufer durch die andere Art der Nacherfüllung.

Teurere Art der Nacherfüllung ist nicht immer unverhältnismäßig

Das OLG Nürnberg hatte angenommen, dass die Ersatzlieferung um „ein Vielfaches″ teurer wäre als die Mängelbeseitigung. Die von der Beklagten genannten, aber bestrittenen Kosten der Ersatzlieferung waren ca. um den Faktor 4 höher als die angeblichen Kosten der Mängelbeseitigung. Das OLG Nürnberg wies die Einrede der Unverhältnismäßigkeit dennoch zurück und sah es auch gar nicht als notwendig an, die konkreten Kostenverhältnisses zu ermitteln.

Der BGH billigte diese Würdigung des OLG Nürnberg. Die gewählte Art der Nacherfüllung (hier: Ersatzlieferung) ist hiernach somit nicht allein schon deswegen unverhältnismäßig, weil sie viermal so teurer ist wie die andere Art der Nacherfüllung (hier: Mängelbeseitigung).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist das Nacherfüllungsverlangen

Umstritten war in der juristischen Kommentarliteratur bisher, auf welchen Zeitpunkt bei der Ermittlung der Kosten der beiden Arten der Nacherfüllung abzustellen ist. Diesbezüglich wurden verschiedene Lösungen vertreten (z. B. Zeitpunkt des Gefahrübergangs der Sache, Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens, Zeitpunkt des Beginns der Mängelbeseitigung und Zeitpunkt des letzten Termins der mündlichen Gerichtsverhandlung). Je nach der technischen Entwicklung kann die Beantwortung dieser Frage erhebliche Unterschiede für die Ermittlung der Kosten machen.

Der BGH hat auch hierzu Stellung genommen und sich für den Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens entschieden. Sofern die Nacherfüllung mit einer Frist verbunden ist, soll das Ende dieser Frist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Kostenfrage sein. Der Käufer hat somit einen maßgeblichen Einfluss auf den relevanten Zeitpunkt für die Ermittlung der Kosten.

Warnmeldung ist Mangel von besonderer Bedeutung

Der BGH führt ferner aus, dass regelmäßige Warnmeldungen durchaus als bedeutende Mängel i. S. von § 439 Abs. 4 BGB n.F. gewertet werden können. Ferner würde auch der Wert der Sache in mangelfreien Zustand im vorliegenden Fall nicht gegen das Nacherfüllungsverlangen sprechen. Dieses Kriterium soll laut dem BGH in der Regel nur bei geringwertigen Kaufsachen relevant sein.

Das Berufungsgericht hat nicht alle Sachverhaltsfragen hinreichend aufgeklärt

Fraglich blieb laut dem BGH jedoch das letzte Kriterium und zwar die Frage, ob der Kläger ohne erhebliche Nachteile auf die andere Nacherfüllungsart (hier: Mängelbeseitigung) verwiesen werden konnte.

Das OLG Nürnberg nahm an, dass eine Mängelbeseitigung für den Käufer im vorliegenden Fall nicht ohne erheblichen Nachteil möglich war. Hierbei unterstellte das OLG Nürnberg, dass der Softwarefehler möglicherweise nicht vollständig von der Beklagten beseitigt worden war. Das OLG Nürnberg wollte es nicht ausschließen, dass die Beklagte eventuell die Funktion der Kupplungskontrolle komplett abgestellt habe, anstatt über eine korrigierte Software eine fehlerfreie Prüfung der Kupplung einzurichten.

Der BGH bestätigte zwar den Ausgangspunkt des OLG Nürnbergs, wonach die Einrede der Beklagten jedenfalls unberechtigt wäre, falls die Beklagte den Mangel durch das Software-Update gar nicht vollständig und nachhaltig beseitigen kann. Die weitere Feststellung des OLG Nürnbergs, dass dies im vorliegenden Fall zumindest nicht auszuschließen ist, war laut dem BGH auf Basis der vorliegenden Sachverhaltsinformationen jedoch nicht zulässig. Aus diesem Grund hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies das Verfahren zur Aufklärung der offenen Sachverhaltsfragen zurück an die Berufungsinstanz.

Dass der BGH das Urteil aus diesem Grund aufhob, dürfte darauf hindeuten, dass der BGH dazu tendiert, die Einrede der Unverhältnismäßigkeit zumindest dann als berechtigt anzusehen, wenn die vollständige Mängelbeseitigung durch ein Software-Update nachweisbar und ohne erhebliche Nachteile für den Käufer möglich war. Eine solche Entscheidung würde die Position des Verkäufers stärken.

Große Ausstrahlungswirkung für die Praxis; auch für den B2B-Bereich

Das Urteil des BGH greift mehrere bisher umstrittene Themen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Nacherfüllung auf und entscheidet diese. Das Urteil dürfte daher über den vorliegenden Fall hinaus auch im B2B-Bereich von erheblicher Bedeutung sein. Die große Praxisbedeutung ergibt sich insbesondere daraus, dass dieses Urteil viele Fälle betreffen dürfte, in denen verkaufte Produkte technische Mängel haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Mängel durch Software-Update behoben werden können.

Tags: Nacherfüllung unverhältnismäßig Software-Update