30. November 2018
Nacherfüllungsanspruch Haftung Kosten
Commercial

BGH zum Nacherfüllungsanspruch: Haftung für Sachverständigen- und Rechtsanwaltskosten

Ein Verkäufer haftet verschuldensunabhängig für Kosten, die zur Durchsetzung eines Nacherfüllungsanspruchs angefallen sind.

Mit Urteil vom 24. Oktober 2018 (VIII ZR 66/17) nimmt der BGH zur verschuldensunabhängigen Haftung des Verkäufers für Rechtsanwaltskosten des Käufers einer mangelhaften Sache Stellung. Laut dem BGH kann der Käufer außergerichtliche Rechtsanwaltskosten – im Einklang mit der bisherigen BGH-Rechtsprechung – nicht nur dann gemäß § 439 Abs. 2 BGB verschuldensunabhängig von dem Verkäufer verlangen, wenn die Rechtsanwaltskosten zur Ermittlung des Nacherfüllungsanspruchs entstanden sind. Nach dem neuen Urteil des BGH kann er sie auch dann gelten machen, wenn die Beauftragung eines Rechtsanwalts geboten war, um das Vertragsziel der Lieferung einer mangelfreien Sache zu erreichen.

Der BGH entscheidet sich somit für einen weiten Anwendungsbereich von § 439 Abs. 2 BGB, was zu einer Stärkung der Käuferrechte führt. Die Argumente des BGH dürften sich auch auf andere in der Praxis relevante Kostenpositionen, wie z.B. Kosten für Sachverständigengutachten, übertragen lassen und haben somit erhebliche Praxisrelevanz.

Rechtsanwaltskosten zur Durchsetzung von Nacherfüllungsansprüchen

Im zu entscheidenden Fall kaufte der Käufer ein Fahrzeug bei der Beklagten. Dieses Fahrzeug wies einen Mangel auf, der auch im Rahmen von Serviceeinsätzen der Beklagten nicht behoben werden konnte. Nach den gescheiterten Serviceeinsätzen beauftragte der Käufer einen Rechtsanwalt mit der Erstellung eines Forderungsschreibens. Mit diesem Forderungsschreiben begehrte der Käufer die Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs. Vor der Beauftragung des Rechtsanwalts setzte der Käufer die Beklagte hinsichtlich des Ersatzlieferungsverlangens jedoch nicht in Verzug. Dennoch verlangte er die Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Verschuldensunabhängiger Erstattungsanspruch

Gemäß § 439 Abs. 2 BGB hat der Verkäufer alle zur Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen. Dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig und somit nicht davon abhängig, ob der Verkäufer den Mangel schuldhaft verursacht hat oder er sich hinsichtlich des konkreten Nacherfüllungsverlangens in Verzug befand. Der Verkäufer muss somit verschuldensunabhängig insbesondere die Material- und Transportkosten einer Ersatzlieferung oder die Arbeitskosten für die Reparatur der mangelhaften Sache tragen.

Schäden sind nur im Rahmen von Schadensersatzansprüchen erstattungsfähig

In der Praxis entstehen im Zusammenhang mit der Lieferung von mangelhaften Sachen häufig auch Schadenspositionen. Schäden kann der Käufer nicht verschuldensunabhängig gemäß § 439 Abs. 2 BGB geltend machen. Sie können nur unter den Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen ersetzt verlangt werden, die in der Regel ein Verschulden des Verkäufers voraussetzen. Typische Schäden – für die § 439 Abs. 2 BGB somit nicht anwendbar ist – resultieren z.B. aus Beschädigungen anderer Gegenstände durch die mangelhafte Sache (z.B. Materialausschuss), aus Beschädigungen von Maschinen, mit denen die mangelhaften Sachen bearbeitet wurden, aus Fertigungsstillständen sowie aus wirtschaftlich nachteiligen Deckungskäufen.

Kosten zur Ermittlung der Nacherfüllungsansprüche sind erstattungsfähig

Der BGH hatte daher bereits in der Vergangenheit entschieden, dass Rechtsanwaltskosten verschuldensunabhängig erstattungsfähig sind, soweit diese die Beauftragung eines Rechtsanwalts „zur Auffindung des zu beseitigenden Mangels notwendig″ war (vgl. BGH, Urt. v. 17.02.1999 – Az. X ZR 40/96). Konsequenterweise hatte der BGH entschieden, dass auch die Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens gemäß § 439 Abs. 2 BGB verschuldensunabhängig von dem Verkäufer zu tragen sind, falls diese Sachverständigenkosten anfielen, um die Ursache der Mangelerscheinungen der Kaufsache aufzufinden und auf diese Weise – zur Vorbereitung eines Nacherfüllungsanspruchs – die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären (BGH, Urt. v. 30.04.2014 – Az. VIII ZR 275/13).

Bereits diese Rechtsprechung wird in der juristischen Kommentarliteratur zum Teil stark kritisiert. Aus Sicht dieser Kritiker stehen die Rechtsanwalts- und Sachverständigenkosten in keinem direkten Zusammenhang mit der Behebung eines Mangels, weshalb § 439 Abs. 2 BGB gar nicht anwendbar sein soll (vgl. MüKoBGB/Westermann, 7. Auflage 2016, BGB § 439 Rn. 17). Gemäß der Kritiker könnten Sachverständigen- und Rechtsanwaltskosten regelmäßig nur im Rahmen von Schadensersatzansprüchen – also verschuldensabhängig – geltend gemacht werden.

BGH entscheidet sich für weiten Anwendungsbereich von § 439 Abs. 2 BGB

Das Berufungsgericht in dem vorliegenden Fall lehnte die verschuldensunabhängige Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten ebenfalls ab, da der BGH bisher darauf abstellte, ob diese Kosten zur Auffindung des zu beseitigenden Mangels oder zumindest zur Ermittlung der Mängelansprüche notwendig waren. Da die Rechtsanwaltskosten im vorliegenden Fall jedoch lediglich daraus resultierten, dass der Rechtsanwalt die Beklagte außergerichtlich zur Ersatzlieferung aufforderte, bestand aus Sicht des Berufungsgerichts kein Zusammenhang zwischen der anwaltlichen Tätigkeit und der Ermittlung der Mangelursache oder der Ermittlung der Verantwortlichkeit für den Mangel zur Vorbereitung eines Nacherfüllungsanspruchs.

Der BGH stellt jetzt aber klar, dass § 439 Abs. 2 BGB nicht nur die Rechtsanwaltskosten zur Ermittlung der Mangelursachen und der Nacherfüllungsansprüche umfasst. Laut dem BGH gilt § 439 Abs. 2 BGB auch für die zur Durchsetzung der Nacherfüllung erforderlichen Rechtsanwaltskosten. Dies soll zumindest dann gelten, wenn der Verkäufer – wie im vorliegenden Fall – die zunächst gewährte Gelegenheit zur Beseitigung des Mangels nicht wahrgenommen hatte.

Erforderlichkeit der Kosten aus ex‑ante‑Sicht zu beurteilen

Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten gemäß § 439 Abs. 2 BGB ist allerdings, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts aus ex‑ante‑Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person geboten war. Dies bejahte der BGH im vorliegenden Fall. Hiernach durfte der Kläger aus Sicht des BGH annehmen, dass es nach den vergeblichen Mangelbeseitigungsversuchen mit Rücksicht auf seine besondere Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig ist, das Vertragsziel der Lieferung einer mangelfreien Sache in Form einer Ersatzlieferung und unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zu erreichen.

Bedeutung für die Praxis und Abdingbarkeit

Der BGH erweitert die verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers im Rahmen von § 439 Abs. 2 BGB. Hierbei dürfte sich die Entscheidung des BGH auch auf andere Maßnahmen zur Durchsetzung der Nacherfüllung übertragen lassen. Auch Sachverständigenkosten könnten hiernach nicht nur dann erstattungsfähig sein, wenn sie zur Erforschung des Mangels dienten. Zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Verkäufers könnte es auf Basis der Argumentation des BGH auch dann kommen, wenn der Käufer in einem vernünftigen Rahmen private Sachverständigengutachten zur weiteren Begründung seines Nacherfüllungsverlangens erstellen lässt (z.B. Gutachten zur Schadensberechnung oder zur Frage der schuldhaften Herbeiführung eines Mangels).

Ferner spricht vieles dafür, dass die Entscheidung auch für den B2B-Bereich relevant ist. Zwar betrifft das vorliegende Urteil Kauf durch einen Verbraucher. Der BGH verweist in seiner Begründung auch auf die Ziele des Verbraucherschutzes gemäß der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Allerdings ergingen die bisherigen Urteile des BGH zu Rechtsanwalts- und Sachverständigenkosten teilweise ebenfalls bereits zum B2B-Bereich, wobei der BGH nicht zwischen Verbrauchern und Unternehmern auf der Käuferseite unterschied. Auch § 439 Abs. 2 und 3 BGB differenzieren nach der Neufassung von § 439 BGB zum 01. Januar 2018 nicht zwischen Verbrauchern und Unternehmern auf der Käuferseite. Es ist daher davon auszugehen, dass die vorliegende Rechtsprechung auch auf den B2B-Bereich übertragen werden kann.

Zumindest im B2B-Bereich besteht jedoch die Möglichkeit, durch individuell vereinbarte Haftungsbeschränkungen die Pflicht des Verkäufers zur Kostentragung zu beschränken oder auszuschließen.

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