28. Juni 2019
Verbrauchsgüterkauf Nacherfüllungsort
Commercial

Der Nacherfüllungsort beim Verbrauchsgüterkauf

Der EuGH hat Kriterien zur Bestimmung des Nacherfüllungsorts aufgestellt und die Vorschusspflicht des Verkäufers nach § 475 Abs. 6 BGB eingeschränkt.

Immer wieder streiten sich Verbraucher und Unternehmer darüber, an welchem Ort ein gekauftes, mangelhaftes Verbrauchsgut zum Zweck der Nacherfüllung bereitzustellen ist. Denkbare Orte sind der Wohnsitz des Verbrauchers, der Sitz des Verkäufers oder der Belegenheitsort der Sache.

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 23. Mai 2019 (Az. C52/18) konkrete Maßstäbe aufgestellt, anhand derer im Einzelfall der Nacherfüllungsort zu bestimmen ist. Zugleich schränkte der EuGH die von § 475 Abs. 6 BGB statuierte Pflicht des Verkäufers zur Zahlung eines Transportkostenvorschusses an den Käufer erheblich ein.

AG Norderstedt fragt EuGH: Nacherfüllung am Geschäftssitz des Verkäufers möglich?

Der Entscheidung ging ein Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Norderstedt voraus. Grundlage des Rechtsstreits war ein Fall, in welchem ein Verbraucher ein 5×6 Meter großes Zelt bei einem Unternehmer gekauft hatte. Der Verbraucher war der Ansicht, dass das Zelt mangelhaft sei. Er forderte daher den Verkäufer dazu auf, an seinem Wohnsitz den vertragsgemäßen Zustand des Zelts herzustellen. Der Verkäufer verlangte demgegenüber, das Zelt zum Zweck der Nacherfüllung an seinen Geschäftssitz zu verschicken, was der Käufer aber nicht tat.

Das Amtsgericht Norderstedt wandte § 269 BGB an und schlussfolgerte, dass der Nacherfüllungsort am Geschäftssitz des Verkäufers liege, der Verbraucher das Zelt also zurücksenden müsse. Es hatte jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Auslegung mit Art. 3 Abs. 3 RL 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie), da die Rücksendung des sperrigen Verbrauchsguts hier mit „erheblichen Unannehmlichkeiten“ verbunden war. Aus diesem Grunde fragte das Amtsgericht den EuGH unter anderem, ob als Ort der Nacherfüllung stets nur der Belegenheitsort des Verbrauchsguts oder der Geschäftssitz des Verkäufers in Betracht komme oder – falls beides zu verneinen ist – wie der Ort der Nacherfüllung sonst ermittelt werden kann.

Darüber hinaus fragte das Amtsgericht Norderstedt, ob in Fällen, in denen der Nacherfüllungsort am Sitz des Verkäufers liegt, der Käufer stets einen Anspruch auf Vorschusszahlung für Transportkosten habe.

Kriterien zur Bestimmung des Nacherfüllungsorts

Der EuGH stellt zunächst klar, dass der Nacherfüllungsort nicht durch das EU-Recht, sondern durch das Recht der Mitgliedsstaaten bestimmt wird. Dennoch müssten hierbei bestimmte Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie beachtet werden.

Diese Vorgaben leitet der EuGH aus Art. 3 Abs. 3 RL 1999/44/EG ab. Demnach ist ein Ort nur dann tauglicher Nacherfüllungsort, wenn dort die Nacherfüllung unentgeltlich, innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer erfolgen kann.

Da die Nacherfüllung für den Käufer stets kostenlos ist, sind lediglich die Kriterien der angemessenen Frist sowie der fehlenden erheblichen Unannehmlichkeiten dazu geeignet, den Ausschlag für einen bestimmten Nacherfüllungsort zu geben.

Kriterium der „angemessenen Frist“ zur Bestimmung des Nacherfüllungsortes

Die Länge der Zeit, welche zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands benötigt wird, kann davon abhängen, wo das Verbrauchsgut zur Nacherfüllung bereitgestellt wird. Entsprechend sind Fälle denkbar, in denen die Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes schneller erfolgt, wenn das Verbrauchsgut an den Sitz des Verkäufers gesendet wird. Dies kommt z.B. dann in Betracht, wenn sich das Verbrauchsgut in einem anderen Land als der Geschäftssitz des Verkäufers befindet. Hier kann es eine erhebliche Zeit dauern, bis der Verkäufer eine Untersuchung des Verbrauchsguts und eine Ersatzlieferung durchführen kann. In solchen Fällen kann daher das Kriterium der „angemessenen Frist“ für eine Lokalisierung des Nacherfüllungsorts am Geschäftssitz des Verkäufers sprechen.

Ohne erhebliche Unannehmlichkeiten: Verbraucher darf nicht von Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten werden

Die Bestimmung eines Nacherfüllungsorts hängt weiterhin vom Grad etwaiger Unannehmlichkeiten ab, die mit einer Bereitstellung des mangelhaften Verbrauchsguts verbunden sind.

Unannehmlichkeiten sind aber erst dann erheblich, wenn sie geeignet sind, einen durchschnittlichen Verbraucher von der Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten.

Um festzustellen, ob dieser Grad der Unannehmlichkeit erreicht ist, kommt es auf die Art des Verbrauchsguts sowie den Zweck an, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigt. Entsprechend kann eine Bereitstellung des Verbrauchsguts und damit ein Nacherfüllungsort am Geschäftssitz des Verkäufers zu verneinen sein, wenn das Verbrauchsgut besonders schwer, sperrig oder zerbrechlich ist. Im Gegenzug kann bei kompakten Verbrauchsgütern als Nacherfüllungsort der Geschäftssitz des Verkäufers in Betracht kommen.

Kein uneingeschränkter Kostenvorschuss

Mit Blick auf Fälle, in denen der Verbraucher das Verbrauchsgut am Geschäftssitz des Verkäufers bereitstellen muss, befasste sich der EuGH außerdem mit der Pflicht des Verkäufers zur Zahlung eines Vorschusses für die Transportkosten an den Käufer. Der BGH hat eine derartige Pflicht bisher im Grundsatz bejaht (BGH Urteil v. 13. April 2011 – VIII ZR 220/10; Urteil v. 19. Juli 2017 – VIII ZR 278/16). Auch sieht der neu eingefügte § 475 Abs. 6 BGB nunmehr einen uneingeschränkten Vorschussanspruch zugunsten des Verbrauchers vor.

Der EuGH schränkt die Vorschusspflicht des Verkäufers nunmehr jedoch nicht unerheblich ein: Einen Kostenvorschuss muss der Verkäufer solange nicht leisten, wie die Transportkosten keine Belastung darstellen, welche einen Durchschnittsverbraucher davon abhalten könnten, seine Rechte geltend zu machen. Wann genau diese Schwelle überschritten ist, ließ der EuGH jedoch offen.

Mithin ist nach dem aktuellen Urteil des EuGH eine Vorschusspflicht nur noch in Ausnahmefällen anzunehmen und § 475 Abs. 6 BGB daher richtlinienkonform einschränkend auszulegen.

Freilich ändert das Urteil aber nichts an der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung für den Käufer. In Fällen jedoch, in denen der Verkäufer keinen Vorschuss für die Transportkosten an seinen Geschäftssitz zu leisten hat, kann der Käufer derartige Kosten erst im Nachhinein ersetzt verlangen.

Fazit: Nacherfüllungsort im Einzelfall zu ermitteln

Die in dem aktuellen Urteil des EuGH aufgestellten Kriterien ermöglichen eine differenzierte und ausgewogene Ermittlung des Nacherfüllungsortes. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kriterien sehr wertungsoffen sind und daher im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.

Grundsätzlich können Käufer und Verkäufer auch im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs den Ort der Nacherfüllung vertraglich festlegen. In solchen Fällen ist jedoch darauf zu achten, dass die Wertungen des EuGH zum Schutz des Verbrauchers nicht umgangen werden. Mithin dürften solche Vereinbarungen unwirksam sein, welche auch in Fällen eines schweren, sperrigen oder zerbrechlichen Verbrauchsguts als Nacherfüllungsort den Geschäftssitz des Verkäufers vorsehen.

Eine nicht unbedeutende Erleichterung für Unternehmen stellt demgegenüber die Einschränkung der Pflicht zur Vorschusszahlung an den Verbraucher in Fällen dar, in denen der Nacherfüllungsort am Geschäftssitz des Verkäufers liegt.

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