Die Ampel hat sich die Einführung von Commercial Courts auf die Fahne geschrieben. Damit sollen deutsche Gerichte international wettbewerbsfähig werden.
Das Bundesjustizministerium hat am 16. Januar 2023 ein Eckpunktepapier zur Einführung sog. Commercial Courts in Deutschland veröffentlicht. Demnach ist eine Justizreform geplant, wonach an deutschen Gerichten englischsprachige Spruchkörper für internationale Handelsstreitigkeiten mit der Bezeichnung Commercial Courts geschaffen werden sollen. Was steckt dahinter?
Deutsche Gerichte als Forum für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten?
Die deutsche Zivilgerichtsbarkeit genießt zwar international große Anerkennung. Vor allem Aspekte wie Effizienz, Leistungsfähigkeit und Unabhängigkeit der Gerichte werden immer wieder hervorgehoben und sind auch im Ausland sehr geschätzt. In puncto Internationalität und Einsatz moderner Technik besteht jedoch noch Verbesserungspotenzial. Insbesondere der Umstand, dass deutsche Gerichtsverfahren grundsätzlich auf Deutsch geführt werden müssen, hindert ausländische Parteien daran, in Deutschland zu prozessieren. In internationalen Handelsverträgen entscheiden sie sich daher oftmals entweder für einen ausländischen Gerichtsstandort oder für ein privates Schiedsgericht.
Will die deutsche Justiz daher Forum sein für die Austragung großer, internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten und sich auch insoweit ein entsprechendes Renommee aufbauen, besteht Handlungsbedarf. Chancen für Deutschland, sich als attraktiver Gerichtsstandort für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten zu etablieren, sind in jedem Fall gegeben. Angesichts der zunehmenden Globalisierung gibt es immer mehr Wirtschaftsstreitigkeiten mit internationalem Bezug. Gleichzeitig haben bedeutende internationale Konzerne ihren Sitz in Deutschland und dementsprechend grundsätzlich ein Interesse daran, vor ihrem Heimatgericht zu stehen. Schließlich könnten sich deutsche Commercial Courts die Lücke zunutze machen, die sich durch die abnehmende Bedeutung des Londoner Commercial Courts nach dem Brexit Anfang 2020 aufgetan hat.
Commercial Courts – der Name und seine Vorgeschichte
Anders, als man aufgrund der Bezeichnung vermuten könnte, sollen mit den geplanten Commercial Courts allerdings keine neuen Handelsgerichte entstehen. Es geht vielmehr „nur“ um die Einführung spezieller internationaler Kammern für Handelssachen an den Landgerichten und spezieller Senate an den Oberlandesgerichten. Lediglich Letztere sollen laut dem Eckpunktepaper den Namen Commercial Courts tragen. Vor diesen Spruchkörpern soll zukünftig die Durchführung eines effizienten, auf die Bedürfnisse internationaler Wirtschaftsparteien zugeschnittenen Gerichtsverfahrens möglich sein, einschließlich einer Verfahrensführung komplett auf Englisch.
Neu ist das Thema keineswegs. Der Bundesrat hat zu Commercial Courts in den vergangenen zehn Jahren bereits mehrere Gesetzentwürfe in das Parlament eingebracht. Auf die Agenda kamen diese jedoch nie, sodass sie schließlich der Diskontinuität des Bundestages zum Opfer fielen. In der Zwischenzeit haben einige Länder, insbesondere Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, selbst das Zepter in die Hand genommen und haben im Rahmen des geltenden Rechts mögliche Spezialkammern und -senate für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten errichtet.
Englische Verfahrensführung als zentraler Aspekt
Vor diesen in Deutschland bereits existierenden Commercial Courts ist es bisher schon teilweise – das heißt innerhalb der Schranken des § 184 GVG – möglich, das Gerichtsverfahren auf Englisch zu führen. Beispielsweise kann die mündliche Verhandlung in englischer Sprache ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers geführt werden, wenn die Parteien dies übereinstimmend erklären und alle Beteiligten der englischen Sprache mächtig sind, vgl. § 185 Abs. 2 GVG. Auch kann das Gericht die Vorlage von Urkunden, also z.B. Vertragsdokumenten, auf Englisch akzeptieren, vgl. § 142 Abs. 3 S. 1 ZPO.
Mit dem geplanten Gesetzesvorhaben besteht nunmehr Aussicht auf eine Änderung des § 184 GVG, der Deutsch als Gerichtssprache bestimmt. Laut dem Eckpunktepapier sollen die Commercial Courts das gesamte Verfahren über alle Instanzen hinweg vollständig in englischer Sprache führen können. Mit dem Wegfall der Sprachbarriere würde wohl die größte Hürde, die internationale Akteure derzeit davon abhält, Deutschland als Forumstaat zu vereinbaren, wegfallen.
Weitere Aspekte des Eckpunktepapiers: Wortprotokoll, Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Einsatz von Videokonferenztechnik
Über den Sprachaspekt hinaus sind weitere Maßnahmen erforderlich, um den Justizstandort Deutschland im Bereich internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten zu stärken. Laut dem Eckpunktepapier ist es das erklärte Ziel, ein „attraktives Gesamtpaket“ für Commercial Courts zu schnüren.
Hierzu nennt das Eckpunktepapier u.a. auch die Möglichkeit der Anfertigung eines Wortprotokolls über die mündliche Verhandlung, wie es in Schiedsverfahren üblich ist. Zudem soll der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ausgeweitet werden und sichergestellt werden, dass als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nicht genutzt oder offengelegt werden können. Schließlich soll der flexible Einsatz von Videokonferenztechnik verstärkt möglich sein.
Wie die Umsetzung dieser Eckpunkte des Papiers in Form eines Gesetzentwurfs konkret aussehen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Die Eckpunkte lassen aber bereits eine grobe Richtung erkennen, die grundsätzlich zu begrüßen ist – vor allem, weil sie Themen aufgreifen, die immer wieder als Vorteil privater Schiedsverfahren ins Feld geführt werden, wie etwa die Nichtöffentlichkeit und der damit einhergehende Schutz vertraulicher Informationen.
Fazit: Erster Schritt auf einem langen Weg zur Einführung von Commercial Courts in Deutschland
Ob die geplante Reform tatsächlich dazu beitragen wird, Deutschland als Gerichtsstandort für große internationale Gerichtsverfahren – auch im Wettbewerb zu Schiedsgerichten – zu etablieren, bleibt abzuwarten. Die geplante Änderung der Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, die eine entsprechend angepasste Durchführung deutscher Gerichtsverfahren überhaupt erst möglich macht, dürfte nur der erste Schritt sein.
In einem zweiten Schritt wäre zu sehen, inwieweit die deutsche Justiz die Änderungen umsetzen wird bzw. in der Lage ist, diese umzusetzen. Denn selbst die gegebene Möglichkeit englischer Verfahrensführung hilft nicht viel, wenn die Sprachkenntnisse der Richterinnen und Richter nicht so weit reichen, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen könnten. Dementsprechend muss auch die Aus- und Weiterbildung der Richterinnen und Richter sowie das Thema Recruiting von Personal mit entsprechenden Kompetenzen mitgedacht und mitbedacht werden.
In einem dritten Schritt müsste man sich schließlich die Frage stellen, wie viel ein vor einem deutschen Gericht – und sei es vor einem Commercial Court – erstrittenes Urteil gerade im Kontext internationaler Verfahren und Parteien wert ist. Insbesondere außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen), des Lugano-Übereinkommens und völkerrechtlicher Verträge ist die Durchsetzung deutscher Gerichtsurteile im Ausland mit Schwierigkeiten und Risiken verbunden. Will ein Gläubiger beispielsweise ein deutsches Gerichtsurteil in den USA durchsetzen, entscheiden US-Gerichte darüber nach nationalem Recht, das von Bundesstaat zu Bundesstaat variiert.
Insoweit konzentriert sich die Hoffnung auf Abhilfe derzeit auf das Haager Urteilsübereinkommen (Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen), das ab dem 1. September 2023 in Kraft treten wird. Ob dieses Übereinkommen, wenn es denn erstmal in Kraft getreten ist, den entscheidenden Durchbruch bringen wird? Dies ist jedenfalls aktuell noch ungewiss.
Neben den Commercial Courts soll auch der Ausweitung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess ein besonderes Augenmerk zukommen.