3. Juni 2019
Vorenthalten Arbeitsentgelt strafbar
Compliance Arbeitsrecht

Ein (lohnender) Blick in das Strafrecht: (Kein) Vorsatz beim Vorenthalten von Arbeitsentgelt

BGH kündigt Änderungen der Rechtsprechung an. Die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB kann Tatbestandsirrtum begründen.

Nach § 266a Abs. 1 StGB steht das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen unter Strafe. Genauer gesagt kann derjenige, der vorsätzlich als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers* zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, vorenthält und zwar unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden. Dies gilt gem. § 266a Abs. 2 StGB auch für Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.

Dieser Straftatbestand kommt regelmäßig ins Spiel, wenn (vermeintlich) selbständig tätige Personen, z.B. Freelancer oder Gewerbetreibende, eingesetzt werden, deren Tätigkeit sich aber de facto als „scheinselbständig“ herausstellt, da sie nicht frei von Weisungen, sondern gerade weisungsabhängig und bei dem „Auftraggeber“ eingegliedert in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig werden.

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Strafverfolgung möglich

Der Auftraggeber (und de facto Arbeitgeber) hat aufgrund der angenommenen Selbständigkeit regelmäßig keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt und könnte sich daher im Falle einer Scheinselbständigkeit nicht nur einer Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch einer Strafverfolgung nach § 266a StGB ausgesetzt sehen.

Diese Fragen beschäftigen im Übrigen auch Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Freelancern an Dritte spezialisiert haben – nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Praxis eine trennscharfe und rechtssichere Abgrenzung, ob tatsächlich noch eine selbständige Tätigkeit oder schon eine abhängige Beschäftigung vorliegt, in vielen Fallgestaltungen schlichtweg nicht möglich ist. Dies liegt insbesondere an den zahlreichen, von der Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten entwickelten Kriterien und der im Einzelfall immer noch vorzunehmenden wertenden Gesamtschau. Die Ergebnisse erscheinen daher – zumindest in gewissen Konstellationen – mitunter „beliebig“ bzw. zumindest nicht belastbar und damit nicht prognostizierbar zu sein.

Strafbarkeitsrisiko bei Arbeitnehmerüberlassung

Das Risiko einer Strafbarkeit nach § 266a StGB ist aber nicht nur auf den Einsatz vermeintlicher Freelancer beschränkt, wenngleich dies in der Praxis eine häufig anzutreffende Konstellation sein wird. Nicht aus dem Auge gelassen werden darf nämlich folgender Sachverhalt: Wird vorgeblich ein „echter“ Werk-/Dienstvertrag abgeschlossen, in dessen Abwicklung sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer des Auftragnehmers eingesetzt werden, handelt es sich de facto aber um eine Arbeitnehmerüberlassung (durch die weisungsgebundene Eingliederung der Arbeitnehmer des Auftragnehmers in den Betrieb des Auftraggebers), wird damit bei Erlaubnisinhabern in der Regel die Offenlegungs-/Konkretisierungspflicht gem. § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG bzw. bei einer fehlenden Erlaubnis zumindest § 1 AÜG verletzt. Im Ergebnis wird ein Arbeitsverhältnis zwischen den eingesetzten Arbeitnehmern und dem vermeintlichen Auftraggeber fingiert (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG).

Das Problem: Der Auftraggeber hat aufgrund der Annahme, dass ein „echter“ Werk-/Dienstvertrag vereinbart und durchgeführt wird, für diese Mitarbeiter, die zu ihm nunmehr in einem Arbeitsverhältnis stehen, keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese vom faktischen Verleiher gezahlt worden sind; relevant ist im Anwendungsbereich des § 266a StGB nur, dass der rechtlich „eigentliche“ Arbeitgeber (hier: der Auftraggeber) für seine Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat. Die Vorschrift setzt keinen Schaden voraus, so dass die von dem Auftragnehmer abgeführten Beiträge nicht zugunsten des Auftraggebers angerechnet oder gar gutgeschrieben werden können.

BGH: Bedingter Vorsatz für Strafbarkeit nach § 266a StGB

Vor dem Hintergrund der beträchtlichen finanziellen und natürlich strafrechtlichen Risiken durch eine mögliche Scheinselbständigkeit (oder eine verdeckte bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung) lässt eine aktuelle strafrechtliche Entscheidung des BGH aufhorchen, die sich mit den Anforderungen an den für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 266a StGB erforderlichen (zumindest bedingten) Vorsatz befasst (Urteil v. 24. Januar 2018 – 1 StR 331/17); eine (etwaig sogar grobe oder gröblichste) Fahrlässigkeit ist in diesem Zusammenhang nicht strafbewehrt.

Der BGH ging in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 266a StGB von einem vermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich aller Voraussetzungen aus (vgl. BGH, Urteil v. 4. September 2013 – 1 StR 94/13). Steuerstrafrechtlich wurde bei einem Irrtum über die Arbeitgeberschaft ein Tatbestandsirrtum angenommen (vgl. BGH, Urteil v. 24. Oktober 1990 – 3 StR 16/90). Da jedoch für die Differenzierung hinsichtlich der Anforderungen an einen Tatbestands- oder Verbotsirrtum kein sachlicher Grund erkennbar sei und es sich jeweils um (normative) Tatbestandsmerkmale handele, erwägt der 1. Senat des BGH, die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln.

Gerichte werden Vorsatz nicht mehr ohne weiteres annehmen können

Zwar ist noch unklar, wie sich die Rechtsprechung des 1. Senats entwickeln wird. Üblicherweise kündigen die Bundesgerichte aber eine anstehende Änderung der Rechtsprechung – wie vorliegend geschehen – durch entsprechende Erwägungen an und setzen diese sodann bei der nächsten Gelegenheit um, wenn ein passender Fall in die letzte Instanz „gespült“ wird.

Bis zu diesem Zeitpunkt verbleibt natürlich nach wie vor eine gewisse Rechtsunsicherheit hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes an den Vorsatz bzw. einen Tatbestandsirrtum im Rahmen von § 266a StGB. Es kann aber auf Grundlage der (absehbaren) Anpassung der Judikatur davon ausgegangen werden, dass sich die Betroffenen unter Umständen erleichtert auf das Vorliegen eines Tatbestandsirrtums und damit zumindest auf eine Straffreiheit berufen können.

Dabei dürfte in diesem Zusammenhang von folgenden Grundsätzen auszugehen sein (vgl. dazu: Floeth, NStZ-RR 2018, 182; Reiserer, DStR 2018, 1624 ff.):

  • Sollten die Indizien für eine Scheinselbständigkeit eindeutig überwiegen und damit klar auf der Hand liegen, dass keine freie, sondern eine abhängige Tätigkeit vorliegt, ist auch zukünftig von einem bedingt vorsätzlichen Verhalten auszugehen. So auch der BGH schon jetzt (Urteil v. 13.12.2018 – 5 StR 275/18), wenn der Geschäftsführer ernsthaft mit der Möglichkeit rechnet, gegen die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu verstoßen, und dies billigend in Kauf nimmt.
  • Keine Auswirkungen wird die angekündigte Änderung der Rechtsprechung ebenfalls auf die strafrechtliche Bewertung von Sachverhalten haben, in denen das Verhalten des vermeintlichen Auftraggebers gerade darauf ausgerichtet ist, die faktisch vorliegende abhängige Beschäftigung zu verschleiern.
  • Sollte hingegen bei einer objektiven Bewertung nicht klar sein, ob eine freie Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung vorliegt, dürfte zukünftig von einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum auszugehen sein. Liegen sowohl gewichtige Indizien für eine freie Tätigkeit als auch für eine abhängige Beschäftigung vor, kann ein Vorsatz nicht ohne weiteres unterstellt werden, selbst wenn das Gericht im Ergebnis objektiv von einer Scheinselbständigkeit ausgeht.
  • Die oben dargestellten Grundsätze bzw. Fallgruppen sind auf den Abschluss eines (vermeintlichen) Werk-/Dienstvertrages zu übertragen, der sodann mit den Mitarbeitern des „Auftragnehmers“ – entgegen der Vereinbarung – als verdeckte oder sogar illegale Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird.

Im Ergebnis ist gerade im „Grauzonenbereich“ zukünftig eine (anwaltliche) Beratung unerlässlich, um Strafbarkeitsrisiken zu minimieren, die sich aus der Tätigkeit von Scheinselbständigen oder der verdeckten bzw. illegalen Arbeitnehmerüberlassung ergeben können. Wird aufgrund der Beratung ein rechtlich vertretbares Modell entwickelt, bei dem zumindest gute Gründe angeführt werden können, dass eine selbständige Tätigkeit im Rahmen eines Werk-/Dienstvertrages und gerade keine Scheinselbständigkeit oder eine verdeckte bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, dürfte sich das entsprechend beratene Unternehmen zukünftig auf einen Tatbestandsirrtum und damit auf eine Straflosigkeit berufen können. Dies gilt natürlich nur, wenn es sich nicht lediglich um eine „Gefälligkeitsberatung“ handelt, bei der anwaltlich die rechtlich „saubere Umsetzbarkeit“ attestiert wird, obwohl es sich offensichtlich um Scheinwerk-/Scheindienstverträge bzw. um eine Scheinselbständigkeit handelt.

Die Straffreiheit über einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum wird daher nur derjenige erlangen können, der sich redlich um einen den geltenden Rechtsrahmen beachtenden Fremdpersonaleinsatz bemüht und insoweit eine mit guten Argumenten zu verteidigende Konstruktion schafft. Die angekündigte Rechtsprechungsänderung des BGH soll dabei gerade eine Strafbarkeit ausschließen, die sich aus den objektiv bestehenden Auslegungsspielräumen der Gerichte dahingehend ergeben kann, ob ein Einsatz nun als echte selbständige oder als abhängige Tätigkeit eingestuft wird.

Die oftmals eher zufälligen und nur schwer kalkulierbaren Ergebnisse im Einzelfall sollen – zumindest im Strafrecht – nicht zu Lasten des Rechtsanwenders gehen, der sich im Vorfeld um eine rechtlich vertretbare Lösung bemüht und entsprechenden fachkundigen Rat eingeholt hat.

Änderungen im SchwarzArbG geplant: Das leichtfertige Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge wird Bußgeldbewehrt

Auch der Gesetzgeber reagiert – in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsbetrug“ (BT-Drucksache 19/8691 v. 25. März 2019; s. dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 12. April 2019 und die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucksache 19/9768) soll im SchwarzArbG ein neuer Tatbestand für eine Ordnungswidrigkeit geschaffen werden. Mit einem Bußgeld soll bereits derjenige belangt werden können, der

als Arbeitgeber eine in § 266a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches bezeichnete Handlung leichtfertig begeht und dadurch der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung oder vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, leichtfertig vorenthält.

Ein Schelm, wer dabei Böses denkt – die Änderung des Gesetzes folgt zeitlich sicher nur zufällig auf eine sich abzeichnende Anpassung der Rechtsprechung des BGH. Wird dem Arbeitgeber aufgrund eines Tatbestandsirrtums kein Vorsatz für eine Strafbarkeit nach § 266a StGB nachgewiesen, soll er wegen einer leichter nachzuweisenden (groben) Fahrlässigkeit „wenigstens“ ein Bußgeld erhalten können – eine wirklich „runde Sache“, die sich der Gesetzgeber im höchst komplexen Anwendungsbereich des Fremdpersonaleinsatzes und der dortigen Abgrenzungsschwierigkeiten ausgedacht hat! Die gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Arbeitgeber nach dem Willen des Gesetzgebers noch exkulpieren kann.

In § 8 Abs. 9 SchwarzArbG ist vorgesehen, eine Geldbuße nach § 8 Abs. 3 SchwarzArbG (bis zu EUR 50.000,00) nicht festgesetzt wird, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach gegenüber der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt, er schriftlich darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat, und die vorenthaltenen Beiträge nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Diese Exkulpationsmöglichkeit ist aber derart eng gefasst, dass sie für die Fallgestaltungen der Scheinselbständigkeit bzw. der verdeckten oder gar illegalen Arbeitnehmerüberlassung in der Praxis keine oder allenfalls eine sehr geringe Rolle spielen dürfte.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der Mai-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsentgelt Lohn scheinselbständig strafbar Vorenthalten