1. Oktober 2020
LCIA-Schiedsordnung Digitalisierung
Dispute Resolution

Aktualisierung der LCIA-Schiedsordnung: Klar, effizient und zukunftsorientiert

Der London Court of International Arbitration (LCIA) wappnet sich für die Zukunft. Die aktualisierte Schiedsordnung ermöglicht weitere Effizienzsteigerungen der Verfahren.

Am 1. Oktober 2020 treten die neuen LCIA Rules 2020 in Kraft und gelten für alle ab diesem Datum eingeleiteten Verfahren. Die Aktualisierung stellt keine umfassende Neuordnung, sondern eine Evolution des letztmalig 2014 aktualisierten Regelwerks dar. Mit der Überarbeitung wurde die Verfahrensordnung zielgerichtet modernisiert und für neue Herausforderungen vorbereitet.

Neben der Kodifikation bestehender Praxis setzen die LCIA Rules 2020 auf elektronische Kommunikation, ohne die Flexibilität von Schiedsgerichten und Parteien einzuschränken. Paula Hodges QC, Präsidentin des LCIA sagt hierzu:

The update to the LCIA Rules has enabled us to clarify a number of procedural issues, to emphasise the broad discretion for Tribunals to conduct arbitrations expeditiously and to reflect the ever evolving nature of arbitration including the use of electronic means of communication and virtual hearings. We have endeavoured to do this with a light touch and hope that parties will view the updated rules as a modern, user-friendly means to resolve their international disputes.

Frühzeitige Abweisung von unzulässigen oder unbegründeten Schiedsklagen möglich

Neu ist die ausdrückliche Befugnis des Schiedsgerichts, Schiedsklagen, für die das Schiedsgericht offensichtlich nicht zuständig ist sowie die offensichtlich unzulässig oder unbegründet sind, frühzeitig per Beschluss oder Teilurteil abzuweisen (Early Determination, Art. 22 (viii)). Diese Befugnis besteht selbst ohne Antrag der Gegenseite, allerdings nicht, ohne den Parteien zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Soweit die Parteien nichts anderes vereinbart hatten, stand zwar auch nach der bisherigen Fassung der LCIA Rules die Durchführung des Verfahrens und damit auch Reihenfolge der Entscheidungen im Ermessen des Schiedsgerichts. Somit wären frühzeitige Entscheidungen auch zuvor möglich gewesen. Schiedsgerichte waren diesbezüglich jedoch sehr zurückhaltend, da die Befürchtung bestand, dass der Schiedsspruch im Anschluss aufgrund eines Verstoßes gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren/die Gewährung des rechtlichen Gehörs oder die Verletzung des ordre public angefochten werden könnte.

Die ausdrückliche Klarstellung dürfte die Bereitschaft von Schiedsgerichten, von der Möglichkeit einer frühzeitigen Abweisung Gebrauch zu machen, erhöhen. Dies kann sich insbesondere in komplexen Verfahren mit vielfachen Klage- und Widerklageanträgen anbieten, um zu verhindern, dass der Prozessstoff und somit der Umfang des Verfahrens uferlos werden.

Solch explizite Befugnisse enthalten die Regeln der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS Regeln) zum Beispiel nicht. Sie ist international aber in den letzten Jahren vermehrt in verschiedene Schiedsordnungen integriert worden ((siehe Art. 41 (5) der Regeln des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID Regeln); Art. 43 der Regeln des Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC Regeln); Regel 29 der Regeln des Singapore International Arbitration Centre (SIAC Regeln)).

Mehrere Ansprüche und Mehrparteienverfahren gleichzeitig möglich

Aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung des Commercial Court aus dem Jahr 2017 (A v. B [2017] EWHC 3417 (Comm)) war es unter der bisherigen Fassung der LCIA Rules nicht möglich, ein einzelnes Schiedsverfahren in Bezug auf Streitigkeiten aus mehreren Verträgen einzuleiten. Vielmehr mussten stattdessen mehrere getrennte Anträge eingereicht und im Anschluss eine Konsolidierung angestrebt werden.

Da dies die Einleitung des Schiedsverfahrens unnötig kompliziert machte, ist gemäß Art. 1.2 der LCIA Rules 2020 nun vorgesehen, dass (unter bestimmten Umständen) mehrere Schiedsverfahren auf einmal eingeleitet werden können. Entsprechend sieht Art. 2.2 die Möglichkeit für den Beklagten vor, eine umfassende Klagebeantwortung einzureichen.

Ob jedoch die Verfahren in der Folge tatsächlich zusammengelegt oder getrennt verhandelt werden, wird vom Schiedsgericht und/oder dem LCIA Court entschieden. Auch diesbezüglich sehen die neuen Regeln weitergehende Möglichkeiten vor. So erlaubt Art. 22.7 (ii) die Konsolidierung im Falle von kompatiblen Schiedsvereinbarungen zwischen

denselben Streitparteien oder aus derselben Transaktion oder einer Reihe zusammenhängender Transaktionen.

Die Möglichkeit, die Konsolidierung auch bei (nur) kompatiblen Schiedsvereinbarung aus verwandten Transaktionen durchzuführen, eröffnet Möglichkeiten für eine Konsolidierung in einem viel größerem Umfang als zuvor.

Interessant ist zudem die Möglichkeit in Art. 22.7(iii), separate Schiedsverfahren, die aber ähnliche Umstände betreffen, parallel durchzuführen und ggf. dasselbe Schiedsgericht zu berufen. Dies ermöglicht sowohl für das Schiedsgericht als auch die Parteien Synergieeffekte, die die Effizienz der Verfahren steigern dürfte.

Umfassende Nutzung von Informationstechnologie während des gesamten Verfahrens

In den vergangenen Jahren wurde der Einsatz elektronischer Kommunikation in Schiedsverfahren weiterestgehend etabliert. Das Bedürfnis zur flexiblen Verfahrensgestaltung durch den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel wächst zunehmend, nicht zuletzt in internationalen Schiedsverfahren. Dieser Tendenz tragen die LCIA Rules 2020 Rechnung und etablieren den verstärkten Einsatz von Informationstechnologie zur langfristigen Steigerung der Verfahrenseffizienz.

Art. 19. 2 der LCIA Rules 2020 sieht ausdrücklich die Durchführung mündlicher Verhandlungen auch virtuell per Konferenzschaltung, Videokonferenz oder unter Verwendung anderer Kommunikationstechnologien mit Teilnehmern an einem oder mehreren Orten (oder auch in kombinierter Form) vor. Die tatsächliche Ausgestaltung des Verfahrens obliegt jedoch nach wie vor dem Verfahrensermessen des Schiedsgerichts.

Die Formalisierung der Möglichkeit virtueller mündlicher Verhandlungen ist zu begrüßen und fügt sich insbesondere in die von der COVID-19 Pandemie geprägten Entwicklungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ein. Dabei handelt es sich nicht um eine durch die Pandemie veranlasste Anpassung der Regeln. Die Öffnung gegenüber virtuellen Hearings wurde bereits vor dem Ausbruch der Pandemie diskutiert und stellt daher die Umsetzung bisheriger Entwicklungen der internationalen Schiedsverfahrenspraxis dar. Nichtsdestotrotz erlaubt gerade die Öffnung einen noch besseren Umgang mit den Herausforderungen der COVID-19 Pandemie.

Darüber hinaus etablieren die LCIA Rules 2020 den Vorrang elektronischer Kommunikation in LCIA Verfahren.

Nach Art. 4.1 der LCIA Rules 2020 sind bereits die Schiedsklage und die Schiedsklageerwiderung in elektronischer Form einzureichen. Abweichungen von dieser Regel, beispielsweise zur Sicherstellung bestimmter Zustellungserfordernisse, bedürfen der vorheriger Zustimmung durch den LCIA Court. Gleiches gilt auch für jede sonstige schriftliche Kommunikation im Schiedsverfahren, wobei die Kompetenz, Abweichungen hiervon zuzulassen, nach seiner Konstituierung dem Schiedsgericht obliegt, Art. 4.2.

Die LCIA Rules 2020 ebnen nunmehr auch den Weg für elektronische Schiedssprüche. Art. 26.2 sieht hierfür ausdrücklich die Möglichkeit elektronisch signierter Schiedssprüche vor, sofern nicht die Parteien etwas anderes vereinbart haben oder das Schiedsgericht oder der LCIA Court etwas anderes anordnen.

Insoweit unterscheiden sich die LCIA Rules 2020 von anderen Regelwerken. Sowohl die DIS Regeln als auch die Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC Regeln), sehen die Übersendung der Schiedsklage (Art. 4.2 DIS Regeln, Art. 4, 3(1) der ICC Regeln) und des Schiedsspruchs (Art. 39 DIS Regeln, Art. 35 ICC Regeln) in Papierform vor. Die HKIAC Regeln bestimmen dies jedenfalls im Hinblick auf den Schiedsspruch (Art. 35 HKIAC Regeln).

Damit bereiten die LCIA Rules einerseits den Weg für die weitere Digitalisierung von Schiedsverfahren. Parteien sollten jedoch genau prüfen, ob aufgrund von Formvorschriften am Schiedsort oder in einem möglichen Vollstreckungsstaat strengere Formvorschriften anzuwenden sind. Die LCIA Rules 2020 geben den Parteien und dem Schiedsgericht genügend Handlungsspielraum, um solchen möglicherweise strengeren Formvorschriften gerecht zu werden.

Regelungen zur Rolle von „Tribunal Secretaries″

Die neuen LCIA Rules 2020 enthalten in Art. 14A nunmehr ausdrückliche Regelungen zur Einbindung von Tribunal Secretaries.

Art. 14.8 der LCIA Rules 2020 stellt klar, dass das Schiedsgericht einen Sekretär zur Unterstützung hinzuziehen kann, jedoch unter keinen Umständen seine Entscheidungsbefugnisse auf den Sekretär delegieren darf. Darüber hinaus führt Art. 14.9 das Erfordernis einer ausdrücklichen Erklärung des Sekretärs – ähnlich der eines Schiedsrichters – ein, in der dieser bestätigt, unabhängig und unvoreingenommen zu sein und das Mandat anzunehmen und hinreichend Zeit hierfür aufbringen zu können. Der Sekretär unterliegt zudem der Pflicht, etwaige später eintretende Interessenkonflikte oder sonstige Umstände, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit erwecken können, offenzulegen, Art. 14.14.

Nach Art. 14.10 ist zudem die ausdrückliche Zustimmung der Parteien zum Einsatz, den konkreten Aufgaben und der Vergütung des Sekretärs erforderlich. Soll der Sekretär weitere Aufgaben übernehmen oder dessen Vergütung angepasst werden, ist dies erneut vorab durch die Parteien zu bestätigen, Art. 14.11.

Schließlich ist mit Art. 30.2 klargestellt, dass auch Sekretäre des Schiedsgerichts der Verschwiegenheit unterliegen.

Art. 14A stellt dabei keine neuen Grundsätze auf, sondern formalisiert die bisherige Praxis in Verfahren unter den LCIA Rules. Hierdurch bringen die LCIA Rules 2020 Klarheit hinsichtlich der Rolle und den Aufgaben von Tribunal Secretaries, was gerade auch im Hinblick auf die zunehmenden Diskussionen hierzu zu begrüßen ist.

Ausdrückliche Regeln zum Datenschutz

Auch bezüglich dem Thema Datenschutz passen die LCIA Rules 2020 verfahrenstechnische Fragen an und greifen damit ein für die Zukunft maßgebliches Thema auf.

Nach Art. 30A der LCIA Rules 2020 ist das Schiedsgericht gehalten, bereits in einem möglichst frühen Stadium des Schiedsverfahrens in Absprache mit den Parteien und gegebenenfalls dem LCIA Court, den Einsatz von spezifischen Informationssicherheitsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen. Zur Verwirklichung der Informationssicherheit und dem Datenschutz kann der LCIA Court und das Schiedsgericht den Parteien zudem verbindliche Anweisungen erteilen. Im Fall des Erlasses durch den LCIA Court gilt diese Bindungswirkung auch für die Mitglieder des Schiedsgerichts.

Gerade mit Blick auf die nun formalisierte Möglichkeit der Verlagerung der mündlichen Verhandlung in den virtuellen Raum und den verstärkten Einsatz von Informationstechnologie im Allgemeinen steigt einmal mehr das Bedürfnis nach hinreichendem Datenschutz. Diesem Bedürfnis tragen die LCIA Rules 2020 nunmehr ausdrücklich Rechnung.

Im Wandel der Zeit: Praxisgerechte Fortentwicklung von LCIA Schiedsverfahren

Der Ansatz des LCIA geht auf: Kontinuierliche Fortentwicklung des eigenen Regelwerks, um auf die Bedürfnisse in Schiedsverfahren im Wandel der Zeit angemessen reagieren zu können. Die LCIA Rules 2020 sind mit den neuesten Anpassungen gut gerüstet, um den Bedürfnissen der Parteien und Schiedsgerichten an eine effiziente und zeitgemäße Streitbeilegung gerecht zu werden.

Tags: Datenschutzrecht & Recht der IT-Sicherheit Digitalisierung Klageabweisung LCIA-Schiedsordnung Tribunal Secretaries