25. November 2021
Untersagung Absage Weihnachtsmarkt
Dispute Resolution

Erneute Absage von Weihnachtsmärkten (Teil 1)

Erneut sind in Sachsen und Bayern die Weihnachtsmärkte zur Eindämmung des Coronavirus abgesagt worden. Ein Überblick zur Rechtslage.

Wegen der hohen Anzahl an Corona-Infektionen und der drohenden Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser gilt in Sachsen seit dem 22. November 2021 eine neue Corona-Verordnung, die einschneidende Schutzmaßnahmen mit sich bringt: die „Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Regelung von Notfallmaßnahmen zur Brechung der vierten Coronavirus SARS-CoV-2-Welle“ vom 19. November 2021 (Sächsische Corona-Notfall-Verordnung, SächsCoronaNotVO).

Untersagung von Weihnachtsmärkten durch die SächsCoronaNotVO

Die Dramatik der Lage, die der Verordnungsgeber sieht, hat er bereits durch den Titel der neuen Verordnung klargestellt: Abweichend vom sonst üblichen Sprachgebrauch ist nicht die Rede von einer (weiteren) „Corona-Schutz-Verordnung“, sondern von einer „Corona-Notfall-Verordnung“. Sie regelt eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen, die faktisch auf einen „Lockdown“ für Ungeimpfte hinauslaufen. Aber auch Geimpften und Genesenen werden – erneut – weitreichende Einschränkungen auferlegt. Harte Konsequenzen hat die neue Verordnung vor allem für Schausteller, da § 12 SächsCoronaNotVO vorsieht:

Großveranstaltungen, Veranstaltungen und Feste insbesondere Messen, landestypische Veranstaltungen und Weihnachtsmärkte sind untersagt.

Untersagung von Weihnachtsmärkten auch in Bayern

Die bayerische Staatsregierung hat inzwischen angekündigt, dass die Weihnachtsmärkte in Bayern ebenfalls untersagt werden sollen. Eine neue Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (IfSMV), wie Bayern seine Corona-Schutz-Verordnungen nennt, liegt zwar noch nicht vor. Eine Zusammenfassung der neuen Regelungen, die ab 24. November 2021 gelten sollen, lässt sich aber einer Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19. November 2021 entnehmen.

Deutliche Kehrtwenden sowohl in Sachsen als auch in Bayern

Mit der pauschalen Absage bzw. Untersagung der Weihnachtsmärkte vollziehen die Staatsregierungen in Sachsen und Bayern deutliche Kehrtwenden.

In der jüngsten SächsCoronaSchVO waren „landestypische Veranstaltungen“ noch privilegiert worden (siehe § 10 Abs. 5 SächsCoronaSchVO vom 5. November 2021). Gemeint waren damit gerade Weihnachtsmärkte. Zudem sollten die Weihnachtsmärkte ausdrücklich auch bei Erreichen der Vorwarn- und der Überlastungsstufe stattfinden (können). Zur Erläuterung: Sachsen hatte zuletzt zwei Stufen definiert (die Vorwarn- und die Überlastungsstufe), deren Erreichen von verschiedenen epidemiologischen bzw. auf das Krankenhaussystem bezogenen Indikatoren abhing und zur Folge hatte, dass weitergehende Schutzmaßnahmen in Kraft traten (etwa „2G“).

Die Vorwarnstufe galt in Sachsen bereits seit dem 5. November 2021. Am 19. November 2021 wurde die Überlastungsstufe erreicht, wobei dies schon seit einiger Zeit absehbar gewesen war. Gleichwohl entschied sich die sächsische Staatsregierung erst mit der SächsCoronaNotVO für eine endgültige Absage bzw. Untersagung der Weihnachtsmärkte. Zwischenzeitlich hatte sie unklare Signale ausgesandt.

Werben für einen freiwilligen Verzicht in Sachsen

Zunächst hatte die Staatsregierung für einen freiwilligen Verzicht auf die Durchführung von Weihnachtsmärkten geworben. Dieses Ansinnen sorgte nicht unter Schaustellern, sondern auch beim Sächsischen Städte- und Gemeindetag für Empörung. Ein wesentlicher Grund: Zumeist sind es die Kommunen, die die Weihnachtsmärkte veranstalten. Hätten sie „freiwillig“, d.h. ohne ein entsprechendes Verbot durch das Land, auf die Durchführung der Weihnachtsmärkte verzichtet, hätten allein sie sich – neben der Verärgerung in der Bevölkerung – etwaigen Haftungsansprüchen der Standbetreiber ausgesetzt gesehen. Die Kommunen hatten daher den Eindruck, dass ihnen der „schwarze Peter“ zugeschoben werden sollte.

Wohl gerade deshalb hatte der sächsische Ministerpräsident, Michael Kretschmer, bereits am 11. November 2021 in einem Fernsehinterview gefordert, Bund und Länder sollten den Marktbetreibern die schwierige Entscheidung nun abnehmen. Dabei beschrieb er die Dramatik der Lage schon damals mit den Worten:

Man kann sich doch nicht vorstellen, dass man auf dem Weihnachtsmarkt steht, Glühwein trinkt – und in den Krankenhäusern ist alles am Ende, und man kämpft um die letzten Ressourcen.

Dennoch schuf die Staatsregierung erst mit der SächsCoronaNotVO vom 19. November 2021 rechtliche Klarheit.

Enttäuschtes Vertrauen auch in Bayern

Auch in Bayern wurde das Vertrauen, das Weihnachtsmarktveranstalter und Standbetreiber in die Ankündigungen der Staatsregierung gesetzt hatten, enttäuscht. So hieß es in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 19. Oktober 2021, dass es für Christkindl- und Weihnachtsmärkte

keine generelle 3G- und Maskenpflicht, keine Umzäunung der Marktfläche, kein Verbot von Alkoholausschank

geben werde. Unter freiem Himmel solle überhaupt keine Maskenpflicht gelten. Auf den Tag genau einen Monat später wurde dann jedoch in der Pressemitteilung vom 19. November 2021 die gänzliche Untersagung der Weihnachtsmärkte in Bayern ankündigt.

Schausteller haben weitreichende Dispositionen getroffen, die nun entwertet werden

Vor diesem Hintergrund trifft die Absage der Weihnachtsmärkte die Schausteller in diesem Jahr noch härter als im vergangenen Jahr: Gerade auch im Vertrauen auf die Ankündigungen der Politik bzw. der Behörden haben sie weitreichende Dispositionen getroffen, die nun entwertet werden. Sie haben ihre Stände bereits aufgebaut, Mitarbeiter eingestellt, Hygienekonzept erarbeitet, Waren und Zutaten eingekauft usw., werden nun aber gehindert, Geld zu verdienen. Dadurch sind zahlreiche Existenzen bedroht. Zum Teil sitzen Betreiber von Glühweinständen nun beispielsweise auf Tausenden Litern Glühwein, die sie absehbar nicht werden verkaufen können.

Bundesrechtlicher Hintergrund: Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, aber Übergangsregelung für umfassende Schutzmaßnahmen bis 15. Dezember 2021 nach § 28a Abs. 9 IfSG n.F.

Die Verzögerungen bei der Absage bzw. Untersagung der Weihnachtsmärkte stehen auch im Zusammenhang damit, dass bis zuletzt nicht klar war, wie sich die bundesrechtlichen Rechtsgrundlagen für die entsprechenden Schutzmaßnahmen verändern würden. Maßgeblich ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Inzwischen herrscht insoweit Klarheit, aber auch nur vorerst und mit Abstrichen im Detail.

SPD, Grüne und FDP haben zwar an ihrer Absicht festgehalten, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG nicht zu verlängern, sondern zum 25. November 2021 auslaufen zu lassen. Dadurch werden zugleich die Befugnisse der Bundesländer zum Erlass von Schutzmaßnahmen (erheblich) eingeschränkt, weil sie grundsätzlich nicht mehr auf den Maßnahmenkatalog nach § 28a Abs. 1 IfSG zurückgreifen können. Allerdings sieht § 28a Abs. 9 IfSG n.F. nunmehr eine Übergangsregelung vor, die die bereits angeordneten Untersagungen der Weihnachtsmärkte in jedem Fall befristet weiterhin ermöglicht. Hiernach bleiben alle Schutzmaßnahmen, die die Länder nach § 28a Abs. 1 IfSG bis zum Tag vor der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ergreifen, längstens bis zum Ablauf des 15. Dezember 2021 in Kraft.

Weiterhin erweiterte Eingriffsmöglichkeiten für die Länder nach § 28a Abs. 8 S. 1 IfSG n.F.

Darüber hinaus haben die Länder künftig die Möglichkeit, nach § 28a Abs. 7 IfSG n.F. weiterhin in eingeschränktem Umfang Schutzmaßnahmen anzuordnen. Sollte das dort vorgesehene Instrumentarium nicht ausreichen, ist ihnen außerdem ermöglicht worden, sich nach § 28a Abs. 8 IfSG n.F. durch Landtagsbeschluss erweitere Eingriffsbefugnisse zu verschaffen, die aber dennoch hinter den bislang bestehenden Möglichkeiten zurückbleiben werden.

Nach § 28a Abs. 8 S. 1 IfSG n.F. können die Absätze 1–6 des § 28a IfSG auch angewendet werden, soweit und solange die konkrete Gefahr einer epidemischen Ausbreitung von COVID-19 in einem Land besteht und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1–6 für das Land feststellt. Bestimmte Schutzmaßnahmen dürfen dabei jedoch nach § 28a Abs. 8 S. 1 Hs. 2 IfSG n.F. nicht mehr angeordnet werden. Insbesondere betrifft das nach § 28a Abs. 8 S. 1 Nr. 3 IfSG n.F.

die Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften.

Nach § 28a Abs. 8 S. 1 Nr. 4 IfSG n.F. dürfen überdies die in § 28a Abs. 1 Nr. 11–14 genannten Schutzmaßnahmen nicht mehr angeordnet werden. Darunter fallen unter anderem auch die „Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen“ (Nr. 13) sowie die „Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel“ (Nr. 14).

Ausgehend hiervon könnte man annehmen, dass Untersagungen von Weihnachtsmärkten nach dem 15. Dezember 2021 nicht mehr möglich sind. Zu bedenken ist jedoch, dass die „Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen“ in § 28a Abs. 1 Nr. 5 IfSG speziell geregelt ist. Diese Regelung wird von § 28a Abs. 8 S. 1 Hs. 3 IfSG gerade nicht für unanwendbar erklärt. Entsprechende Veranstaltungen können also weiterhin untersagt werden.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass unter § 28a Abs. 1 Nr. 5 IfSG unter anderem „Volksfeste aller Art“fielen (Kießling, in: Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 28a Rn. 52). Insofern erscheint es prima vista naheliegend, auch Weihnachtsmärkte unter diese Nummer zu subsumieren. Zweifelsfrei ist dies freilich nicht. Insbesondere lassen sich die einzelnen Betriebe auf einem Weihnachtsmarkt durchaus auch § 28a Abs. 1 Nr. 13 und/oder Nr. 14 IfSG zuordnen, die nunmehr durch § 28a Abs. 8 S. 1 Hs. 3 IfSG n.F. privilegiert werden. Folgt man dem, wären Untersagungen von Weihnachtsmärkten künftig grundsätzlich nicht mehr möglich.

Im Gesetzgebungsverfahren sind sowohl § 28a Abs. 8 IfSG n.F. als auch § 28a Abs. 9 IfSG n.F. erst nachträglich eingefügt worden. Im ursprünglichen Gesetzesentwurf waren sie nicht enthalten. Auch dies erschwert die Auslegung.

Die aufgezeigten Unsicherheiten hinsichtlich der rechtlichen Zuordnung von Weihnachtsmärkten mögen auch ein Grund gewesen sein, weshalb die aktuelle sächsische Verordnung vorerst nur bis 12. Dezember 2021 gilt (vgl. § 23 Abs. 2 SächsCoronaNotVO).

Wie es nach dem 15. Dezember 2021 im Hinblick auf die Weihnachtsmärkte weitergeht, ist demnach offen. Es trifft insofern nicht zu, wenn insbesondere in der Presse behauptet wird, Weihnachtsmärkte könnten in Sachsen dieses Jahr gar nicht stattfinden. Dies ist zu undifferenziert. Jedenfalls aber bedürfte es zur Fortführung der Untersagung der Weihnachtsmärkte über dieses Datum hinaus einer Beschlussfassung durch den Landtag nach § 28a Abs. 8 S. 1 Hs. 2 IfSG n.F.

Erneute Untersagung der Weihnachtsmärkte wirft Frage nach Staatshaftungsansprüchen auf

Die erneute Absage bzw. Untersagung von Weihnachtsmärkten wirft erneut die Frage nach Staatshaftungsansprüchen auf, insbesondere von Standbetreibern.

Die Frage, ob Unternehmern, die von Betriebsschließungen bzw. -beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus betroffen waren, Staatshaftungsansprüche zustehen, ist in den vergangenen anderthalb Jahren in der juristischen Fachöffentlichkeit kontrovers diskutiert worden. Inzwischen liegen auch erste Gerichtsentscheidungen vor. Dabei wurden Ansprüche geschädigter Gewerbetreibender bzw. Kulturschaffender jeweils verneint und die entsprechenden Klagen abgewiesen.

Keine einschlägigen Entschädigungsregelungen im IfSG

Das zentrale Problem: Das IfSG sieht für flächendeckende Betriebsschließungen und -beschränkungen trotz ihrer erheblichen Grundrechtsrelevanz (sowohl im Hinblick auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG als auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG) bis heute keine Entschädigungsregelungen vor. Mit einer Entschädigung für infektionsschutzrechtliche Maßnahmen befassen sich im Kern drei Vorschriften des IfSG, nämlich § 56 Abs. 1§ 60 und § 65 Abs. 1.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer aufgrund des IfSG als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.d. § 31 S. 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Gleiches gilt nach § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG für eine Person, die nach § 30 IfSG, auch in Verbindung mit § 32 IfSG, abgesondert wird oder sich aufgrund einer nach § 36 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung absondert. Eine Entschädigung § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG erhalten vor allem Personen, für die wegen des Verdachts einer Infektion mit dem Coronavirus eine Quarantänepflicht angeordnet worden ist (wobei Ungeimpfte zuletzt im Allgemeinen von einer Entschädigung ausgeschlossen wurden).

§ 60 IfSG gewährt eine Entschädigung insbesondere im Zusammenhang mit Impfschäden.

Nach § 65 Abs. 1 IfSG ist grundsätzlich eine Entschädigung in Geld zu leisten, soweit aufgrund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird.

Nach überwiegender Meinung werden flächendeckende Betriebsschließungen und -beschränkungen allerdings von keiner dieser Anspruchsgrundlagen erfasst. Dementsprechend helfen sie auch bei der Absage bzw. Untersagung von Weihnachtsmärkten nicht weiter.

§ 56 Abs. 1 IfSG erfasst nur infektionsschutzrechtliche „Störer“

Problematisch kann hinsichtlich § 56 Abs. 1 IfSG bereits sein, dass diese Vorschrift nach ganz überwiegender Auffassung nur mit Blick auf natürliche Personen anwendbar ist. Soweit ein Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person geführt wird (etwa in Form einer GmbH), scheidet ein Entschädigungsanspruch auf dieser Grundlage schon deshalb aus. Wichtiger dürfte im Hinblick auf die Weihnachtsmärkte jedoch eine andere Einschränkung sein: Entschädigungsberechtigt nach § 56 Abs. 1 IfSG ist nur, wer gerade als sog. infektionsschutzrechtlicher „Störer“ in Anspruch genommen wird („als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2“, vgl. hierzu auch die Legaldefinitionen in § 2 Nr. 5-7 IfSG).

Bei Unternehmern, die von flächendeckenden Betriebsschließungen bzw. -beschränkungen betroffen sind, ist dies nicht der Fall. Sie werden entweder als sog. „Nichtstörer“ oder als „polizeirechtlicher Jedermann“ in Anspruch genommen: Ihre Tätigkeit wird beschränkt, um Kontakte zu reduzieren und dadurch allgemein Infektionsrisiken zu minimieren. Die jeweiligen Unternehmer sind aber nicht deshalb Adressaten infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen, weil sie selbst in verstärktem Maße namentlich als ansteckungsverdächtig und deshalb als infektionsschutzrechtliche „Störer“ angesehen werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Absage bzw. Untersagung der Weihnachtsmärkte.

§ 65 Abs. 1 IfSG erfasst keine Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten

Obwohl gerade § 65 Abs. 1 Var. 4 IfSG („ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil“) den vorliegenden Fall prima facie erfassen könnte, ist auch diese Vorschrift nach ganz überwiegender Auffassung nicht einschlägig. Nach ihrem Wortlaut bezieht sie sich nämlich nur auf infektionsschutzrechtliche Maßnahmen nach §§ 16 und 17 IfSG. Dabei geht es um sog. Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten, d.h. um Maßnahmen, die im Vorfeld eines Krankheitsausbruchs angeordnet werden. Die Schutzmaßnahmen aufgrund der Corona-Verordnungen stellen aber durchweg Maßnahmen zur Bekämpfung übertagbarer Krankheiten dar, die nach dem Ausbruch der Pandemie ergriffen und ausdrücklich (und zudem ausschließlich) auf §§ 28 ff. IfSG gestützt wurden. Hinzu kommt, dass nach vielfach vertretener Ansicht auch § 65 Abs. 1 Var. 4 IfSG „gegenstandsbezogen“ sein soll, d.h. eine Entschädigung soll auch in diesem Fall nur bei der Schädigung eines konkreten Gegenstandes gewährt werden. Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wie sie bei Betriebsschließungen und -beschränkungen im Raum stehen, sollen hingegen nicht erfasst sein.

Nach überwiegender Auffassung können § 56 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 IfSG im vorliegenden Zusammenhang mangels planwidriger Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage auch nicht analog angewendet werden. Dagegen spreche vor allem, dass dem Gesetzgeber bei seinen jüngsten Novellierungen des IfSG das Fehlen einschlägiger Entschädigungsregelungen bekannt gewesen, er aber dennoch untätig geblieben sei.

Rückgriff auf das Polizei- und Ordnungsrecht der Länder und das allgemeine Staatshaftungsrecht: Prinzipiell möglich, aber ebenfalls problematisch

Es bleibt deshalb nur ein Rückgriff auf das Polizei- und Ordnungsrecht der Länder und das allgemeine Staatshaftungsrecht, wobei Letzteres in Deutschland kaum kodifiziert und im Wesentlichen richterrechtlich geprägt ist.

Der Versuch, flächendeckende Betriebsschließungen und -beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus mithilfe der Haftungstatbestände des Polizei- und Ordnungsrechts und des allgemeinen Staatshaftungsrechts zu erfassen, führt aber ebenfalls zu zahlreichen Schwierigkeiten. Problematisch ist dabei insbesondere auch, dass einen Anspruchsteller im Fall von Staatshaftungsansprüchen aufgrund rechtswidriger Maßnahmen grundsätzlich die Obliegenheit trifft, zunächst Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen: Er muss erst alle erfolgversprechenden und zumutbaren Rechtsbehelfe ergreifen, um sich gegen die Maßnahmen zur Wehr zu setzen, ggf. auch im vorläufigen Rechtsschutz (Kein Dulde und liquidiere“).

Rechtmäßigkeit der neuerlichen Untersagungen von Weihnachtsmärkten zweifelhaft

Die jüngsten Absagen bzw. Untersagungen von Weihnachtsmärkten veranschaulichen, wie misslich diese Obliegenheit für Betroffene sein kann. Für sie stellt sich deshalb nun auch im Hinblick auf die Möglichkeit, zumindest Staatshaftungsansprüche geltend machen zu können, die Frage, ob die Untersagungen angesichts der hohen Corona-Fallzahlen und der damit einhergehenden starken Belastung der Krankenhäuser in Sachsen und Bayern wirklich rechtmäßig sind, insbesondere auch unter Berücksichtigung der (wahrscheinlichen) epidemiologische Bedeutung der Weihnachtsmärkte. Hätte es nicht mildere, aber ebenfalls hinreichend effektive Mittel gegeben (etwa Umfriedungen, noch größere Abstände, „2G“ oder „2G+“, ggf. ein Verbot des Alkoholausschanks)? Dabei ist auch zu bedenken, dass die Weihnachtsmärkte zumindest im Wesentlichen im Freien stattfinden, wo das Ansteckungsrisiko nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Aerosolforschung generell niedriger, ggf. sogar unwesentlich ist. So hat einer der angesehensten Experten auf diesem Gebiet, Herr Prof. Gerhard Scheuch, gegenüber der „Welt“ mit Blick auf die jüngsten Absagen bzw. Untersagungen erklärt:

Aus aerosolphysikalischer Sicht macht ein Verbot von Weihnachtsmärkten absolut keinen Sinn. Im Freien finden nur sehr wenige Ansteckungen statt.

Fraglich erscheint auch, ob ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, wenn Weihnachtsmärkte pauschal, insbesondere ungeachtet der örtlichen Gegebenheiten, verboten werden, während die Innengastronomie geöffnet bleiben darf – wenngleich ebenfalls mit einigen Einschränkungen wie, etwa in Sachsen, einer Verpflichtung auf „2G“ und einer Sperrstunde (§ 10 Abs. 1 SächsCoronaNotVO). In Regensburg hat ein Weihnachtsmarktveranstalter bereits angekündigt, gerichtlich gegen eine Untersagung vorgehen zu wollen.

Vertritt man die Auffassung, dass die Untersagung eines Weihnachtsmarktes rechtswidrig ist, könnten Betroffene, sofern die Untersagung durch Rechtsverordnung erfolgt ist, dagegen insbesondere mithilfe eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorgehen, mit dem Ziel, die jeweilige Regelung vorläufig außer Vollzug zu setzen.

Gerade das Fehlen einschlägiger Entschädigungsregelungen im IfSG könnte verfassungswidrig sein

Dabei könnten bereits die Ermächtigungsgrundlagen des IfSG, die bislang flächendeckende Betriebsschließungen und -beschränkungen einschließlich einer pauschalen Untersagung von Weihnachtsmärkten zulassen, (inzwischen) verfassungswidrig sein – und zwar gerade deshalb, weil der Gesetzgeber auch nach mehr als anderthalb Jahren Pandemie noch immer keine korrespondierenden Entschädigungsregelungen geschaffen hat. In der juristischen Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass es sich bei diesen Ermächtigungsgrundlagen um sog. „ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen“ i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG handele. Zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müsse der Gesetzeber daher selbst Regelungen zur Entschädigung treffen. Ein Ausgleich könne nicht über die ungeschriebenen Haftungsinstitute des allgemeinen Staatshaftungsrechts erfolgen. Namentlich eigneten sich hierzu die richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitute des enteignenden und des enteignungsgleichen Eingriffs nicht, weil sie nicht für den Ausgleich „massenhaft“ auftretender Schadensfälle gedacht seien. Auch das Landgericht Stuttgart hat in einer Entscheidung bereits zu erkennen gegeben, dass es der Auffassung zuneigt, dass es sich um ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen handelt, die ohne Entschädigungsregelung unverhältnismäßig sind. Dennoch hat es die Klage im konkreten Fall abgewiesen (LG Stuttgart, Urteil vom 26. Januar 2021, Az.: 7 O 285/20).

Den entsprechenden Rechtsstandpunkt hat erst kürzlich auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, nochmals anschaulich in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ erläutert. Er sagte:

Betriebsschließungen und Berufsausübungsverbote über eine gewisse Zeit sind vielfach existenzvernichtend oder zumindest existenzgefährdend. Sie stellen in jedem Fall ganz schwerwiegende Grundrechtseingriffe dar. Den Betroffenen wird zum Wohl der Allgemeinheit ein Sonderopfer abverlangt. Das setzt voraus – und das entspricht meinen Gerechtigkeitsvorstellungen –, dass der Gesetzgeber selbst gewisse Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche regelt, die dieses Sonderopfer in angemessenem Maße abfedern. Das ist aber nicht erfolgt.

Auf den Einwand des „Handelsblattes“, es seien über die staatlichen Hilfsprogramme doch Milliarden geflossen, entgegnete er weiter:

Unabhängig davon, ob diese Finanzmittel überhaupt richtig adressiert waren und ob sie auch angekommen sind: Es waren freiwillige Leistungen nach staatlichem Ermessen und nach bestehender Haushaltslage. Gerichtlich durchsetzbare Rechtsansprüche sind nicht geschaffen worden. Es wird zu klären sein, ob solche massiven Eingriffe in die Berufs- und Eigentumsfreiheit ohne gleichzeitige gesetzlich geregelte Abfederung zulässig sind. Bei den Gerichten sind dazu zahlreiche Verfahren anhängig. Dies bedarf der höchstrichterlichen Klärung, denn es geht darum, inwiefern für künftige Fälle eine bessere rechtsstaatliche Ausgestaltung dieses Instrumentariums notwendig ist.

Nimmt man an, dass die Ermächtigungsgrundlagen des IfSG für die Untersagungen der Weihnachtsmärkte ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen darstellen, ohne dass gesetzliche Ausgleichsregelungen bestehen, hat dies zur Folge, dass die Untersagungen – eigentlich – rechtwidrig sind und verwaltungsgerichtliche Eilverfahren dagegen Erfolg haben müssten, und zwar selbst dann, wenn sie epidemiologisch gerechtfertigt wären. Zur Annahme einer Rechtswidrigkeit würde es bereits genügen, dass es an den aus Verhältnismäßigkeitsgründen gebotenen gesetzlichen Entschädigungsregelungen fehlt.

Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz erscheint unzumutbar

Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass die Verwaltungsgerichte diese Konsequenz tatsächlich ziehen – erst recht nicht im vorläufigen Rechtsschutz, in dem im Allgemeinen lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache erfolgt.

Insgesamt spricht viel dafür, dass ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen gegen die Untersagungen der Weihnachtsmärkte angesichts der stark zurückgenommenen Prüfungsmaßstäbe, die die Verwaltungsgerichte bislang in der Pandemie angelegt haben, weder hinreichend erfolgversprechend noch zumutbar ist. Verzichten Betroffene auf ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen, lässt sich freilich nicht gänzlich ausschließen, dass ihnen die ordentlichen Gerichte, die über Staatshaftungsansprüche entscheiden, dies später dennoch als vermeintliches Versäumnis vorhalten werden. Betroffenen Gewerbetreibenden dürfte deshalb gleichwohl zu raten sein, zunächst vorsorglich verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Bisherige ablehnende Entscheidungen der Gerichte zu Staatshaftungsansprüchen dürften sich nicht ohne weiteres übertragen lassen

Die bisherigen ablehnenden Entscheidungen der ordentlichen Gerichte zu Staatshaftungsansprüchen dürften sich nicht ohne weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen lassen. Diese Entscheidungen betreffen typischerweise die Anfangszeit der Pandemie, als insbesondere auch das Fehlen einschlägiger Entschädigungsregelungen im IfSG noch verständlicher gewesen sein mag, weil es um eine neuartige Problematik ging. Inzwischen haben aber alle Beteiligte viel „Pandemieerfahrung“ gesammelt. Mit Blick auf die jüngsten Untersagungen kommt hinzu, dass der Staat bis zuletzt selbst den Anschein erweckt hatte, die Weihnachtsmärkte würden stattfinden können. Dieses Vertrauen hat er (vorwerfbar) enttäuscht. Vor diesem Hintergrund erschiene es umso fragwürdiger, betroffene Unternehmer erneut entschädigungslos zu stellen bzw. auf staatliche Hilfen zu verweisen, die die erlittenen Ausfälle in der Regel allenfalls ansatzweise kompensieren.

Weitere Bundesländer dürften bei der Untersagung von Weihnachtsmärkten nachziehen

Auch wenn der vorliegende Beitrag vor allem Sachsen und Bayern im Blick hat, lassen sich die Überlegungen grundsätzlich auf sämtliche Bundesländer übertragen, in denen Weihnachtsmärkte durch Rechtsverordnung untersagt werden. Dabei zeichnet sich ab, dass weitere Bundesländer beim Verbot der Weihnachtsmärkte nachziehen dürften: Die brandenburgische Landesregierung hat etwa am 22. November 2021 ankündigt, die Weihnachtsmärkte in Brandenburg ebenfalls untersagen zu wollen – nur Tage, nachdem dort die ersten Märkte eröffnet worden waren.

Die Frage nach einer Staatshaftung werden die Autoren in Kürze in einem weiteren Beitrag vertiefen. Darin werden sie die wichtigsten in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen vorstellen und die zentralen Problemfelder näher erläutern.

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