Vattenfall Schiedsgericht lehnt Übertragung von Achmea Urteil auf Intra-EU Schiedsverfahren nach dem ECT ab. Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein.
Vattenfall tribunal declines to apply Achmea ruling to intra-EU investment arbitration under the ECT. It may not have been the final word on this issue (English version available here).
Am 6. März 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Achmea Urteil, dass Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) zwischen EU-Mitgliedsstaaten mit EU-Recht nicht vereinbar sind. Nach dem EuGH-Urteil stellte sich die Frage, ob die Entscheidung auch Auswirkungen auf Intra-EU Streitigkeiten hat, die auf multilateralen Investitionsschutzabkommen beruhen, insbesondere auf Streitigkeiten aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT).
Seit Erlass des EuGH-Urteils haben zwei Schiedsgerichte entschieden, dass das Achmea Urteil ihre auf dem ECT beruhende Zuständigkeit nicht beeinträchtigt. In Masdar ./. Spanien entschied das Schiedsgericht über diese Frage in seinem Schiedsspruch. In dem noch laufenden Verfahren Vattenfall ./. Deutschland erließ das Schiedsgericht eine umfassende Entscheidung über die Achmea Frage („Decision on the Achmea Issue“), in der es ausführlich darlegt, auf welcher Grundlage Investitionsschiedsgerichte weiterhin von ihrer Zuständigkeit für Intra-EU Streitigkeiten nach dem ECT ausgehen können.
Weitere ECT-Schiedsgerichte könnten ihre Zuständigkeit auf ähnlicher Grundlage bejahen. Intra-EU Investoren, die sich auf die Schutzstandards des ECT stützen können, dürfte dies zuversichtlich stimmen. Langfristig ist die Frage damit noch nicht abschließend geklärt.
Hintergrund der Vattenfall Entscheidung
Das Vattenfall Schiedsgericht erließ seine Entscheidung in dem Schiedsverfahren zwischen verschiedenen Tochtergesellschaften der schwedischen Vattenfall-Gruppe und der Bundesrepublik Deutschland, das die Entscheidung Deutschlands über den Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe betrifft (ICSID Case No. ARB/12/12).
Vor Erlass des Achmea Urteils hatte Deutschland die „Intra-EU Zuständigkeitsrüge“ zunächst nicht erhoben, wohl aber die EU-Kommission, die – wie so oft – als amicus curiae intervenierte. Nach Achmea erhob auch Deutschland die Intra-EU Zuständigkeitsrüge. Ebenso wie die EU-Kommission wandte Deutschland ein, dass die Entscheidung des EuGH nicht nur für Intra-EU-BITs gelte, sondern auch für multilaterale Abkommen wie den ECT.
Die Schiedskläger argumentierten, dass Deutschlands Zuständigkeitsrüge – sechs Jahre nach Beginn des Schiedsverfahrens im Jahr 2012 und 18 Monate nach der mündlichen Verhandlung im Oktober 2016 – verspätet sei. Das Schiedsgericht sah dies anders. Seiner Ansicht nach ist das Achmea Urteil vom März 2018 als neue Tatsache („new fact“) einzustufen, die Deutschland zu dieser späten Zuständigkeitsrüge berechtige. Das Schiedsgericht wies zudem darauf hin, dass es Zuständigkeitsfragen von Amts wegen zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens prüfen dürfe.
EU-Recht und das Achmea Urteil im Kontext des ECT
Das Schiedsgericht untersuchte, ob und in welcher Form EU-Recht und das Achmea Urteil für seine Zuständigkeit relevant sein könnten.
Erstens entschied es, dass Artikel 26 Abs. 6 ECT, wonach ein Schiedsgericht über den Streitgegenstand („issues in dispute“) gemäß den Vorschriften des ECT und den einschlägigen Vorschriften und Grundsätzen des internationalen Rechts entscheiden muss, nur auf die materiell-rechtlichen Schutzstandards des ECT Anwendung finde. Auf die Vorschriften zur Streitbeilegung des ECT sei die Vorschrift nicht anwendbar.
Zweitens merkte das Schiedsgericht an, dass Ausgangspunkt seiner Auslegung nicht EU-Recht, sondern Artikel 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) sei. Danach ist ein Vertrag im Einklang mit der gewöhnlichen Bedeutung seiner Bestimmungen, deren Kontext und im Lichte von Ziel und Zweck des Vertrages auszulegen. Auch wenn die EU-Verträge internationales Recht darstellten und EU-Recht bei Auslegungsfragen eine Rolle spielen könne, dürfe die Anwendung von EU-Recht nicht dazu führen, dass die Vertragsauslegung der gewöhnlichen Bedeutung der vertraglichen Bestimmungen widerspreche.
Das Schiedsgericht hielt es zudem für äußerst schwierig, aus dem Achmea Urteil des EuGH einen einschlägigen Grundsatz internationalen Rechts („relevant rule of international law“) abzuleiten, und nannte es eine offene Frage, ob die Überlegungen des EuGH auch auf den ECT Anwendung fänden. Ebenso wie das Masdar-Schiedsgericht nahm es an, dass das EuGH-Urteil keine Aussage zur Vereinbarkeit von EU-Recht und den Streitbeilegungsvorschriften des ECT für Intra-EU Investoren treffe und deshalb keinen einschlägigen Rechtsgrundsatz aufstelle. Das Schiedsgericht kam daher zu dem Ergebnis, dass es EU-Recht bei seiner Auslegung von Artikel 26 ECT gemäß dem WÜRV nicht berücksichtigen könne.
Was das Vattenfall Schiedsgericht entschied
Bei der Bestimmung der gewöhnlichen Bedeutung von Artikel 26 ECT fand das Schiedsgericht keine Anhaltspunkte in Wortlaut, Kontext, Ziel oder Zweck dieser Vorschrift, dass Intra-EU Streitigkeiten ausgeschlossen werden sollten. Nach Ansicht des Schiedsgerichts wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, Artikel 26 ECT so zu fassen, dass er auf Intra-EU Streitigkeiten keine Anwendung fände. Es deute jedoch nichts darauf hin, dass ein Ausschluss beabsichtigt gewesen sei.
Das Schiedsgericht wandte sich anschließend Artikel 16 ECT zu, wonach frühere oder spätere Verträge von auf dem ECT beruhenden Rechten nicht abweichen dürfen, soweit diese Rechte für den Investor günstiger sind. Sofern die EU-Verträge denselben Gegenstand beträfen wie der ECT, würde Artikel 16 ECT zweifelsfrei bestätigen, dass Artikel 26 ECT Intra-EU Investoren nicht vom Zugang zu Schiedsgerichten ausschließe. Nach Ansicht des Schiedsgericht fungiert Artikel 16 ECT zudem als lex specialis im Sinne einer Kollisionsvorschrift; die Vorschrift sei ein unüberwindliches Hindernis („insurmountable obstacle“) gegenüber dem Argument, dass EU-Recht dem ECT vorgehe.
Schließlich hielt das Schiedsgericht es für bedeutsam, dass der ECT keine Trennungsklausel enthält, die sicherstellt, dass Bestimmungen in gemischten Verträge nur gegenüber Dritten und nicht zwischen EU-Mitgliedsstaaten gelten. Insbesondere die Tatsache, dass die EU ursprünglich eine Trennungsklausel vorgeschlagen hatte, dieser Vorschlag aber letztlich fallengelassen wurde, veranlasste das Schiedsgericht zu der Schlussfolgerung, dass die Klausel bewusst nicht in den ECT aufgenommen wurde.
Was das Vattenfall Schiedsgericht nicht entschied
Das Vattenfall Schiedsgericht geht in seiner Entscheidung nicht auf den Inhalt des Achmea Urteils ein. Es stellt fest, dass Achmea ein bilaterales Investitionsschutzabkommen betrifft und konzentriert sich auf die Auslegung des ECT.
Zum Abschluss seiner Entscheidung unterstrich das Schiedsgericht, dass es dem EU-Recht nicht die Wirksamkeit versagen wolle; es zog vielmehr eine Grenze zwischen der Aufgabe des Schiedsgerichts, das einschlägige Abkommen auf einen laufenden Rechtsstreit anzuwenden, und politischen Überlegungen über künftige Streitbeilegung. Sollten die EU-Kommission oder die Mitgliedsstaaten Artikel 26 ECT für mit dem EU-Recht nicht vereinbar halten, sei es an ihnen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um der Situation abzuhelfen („incumbent upon them to take the necessary action to remedy that situation“); es könne nicht Aufgabe des Schiedsgerichts sein, das Abkommen umzuschreiben.
Ausblick in die Zukunft: Rechtssicherheit für Intra-EU-Investoren?
Diese Aussage des Vattenfall Schiedsgerichts könnte den möglichen Weg in die Zukunft andeuten. Kurzfristig dürften die Entscheidungen der Schiedsgerichte in Masdar und Vattenfall diejenigen Intra-EU-Investoren freuen, die sich auf ECT Schutzstandards stützen können.
Hierbei wird es jedoch möglicherweise nicht bleiben. Deutschland argumentierte in Vattenfall, dass eine Bejahung der Zuständigkeit durch das Schiedsgericht zu Problemen bei der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs führen könnte. Im Gegensatz zum Achmea Verfahren sind Vattenfall und auch Masdar ICSID-Verfahren, deren Schiedssprüche gemäß den besonderen Vorschriften der ICSID-Konvention zu vollstrecken sind. Das heißt, den Staaten steht kein Rechtsbehelf offen, der es nationalen Gerichten erlauben würde, die Entscheidung des Schiedsgerichts über seine eigene Zuständigkeit noch einmal zu überprüfen. Aus diesem Grund werden weder Masdar noch Vattenfall zu einem weiteren Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH führen.
Eine Vorabentscheidung des EuGH zu dieser Frage ist dennoch zu erwarten. Anstoß könnte der Schiedsspruch im SCC Verfahren Novenergia ./. Spanien geben, der sich derzeit im Aufhebungsverfahren beim zuständigen Gericht Svea in Stockholm befindet. Spanien hat das Gericht bereits ersucht, eine Vorabentscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit von Artikel 26 ECT mit EU-Recht einzuholen.
Ob sich der EuGH der Auffassung der EU-Kommission anschließen wird, ist offen. Die EU-Kommission bestätigte kürzlich in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat ihre Ansicht, dass die dem Achmea Urteil zugrunde liegenden Überlegungen auch für Intra-EU Streitigkeiten aus dem ECT gelten. Ihrer Meinung nach werden Intra-EU Investitionen durch EU-Recht vollumfänglich geschützt und dieser Schutz kann innerhalb der Gerichtssysteme der EU und ihrer Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden.
Diese Entwicklung ist auch vor dem Hintergrund der Kritik an der Investor-Staat Streitbeilegung in ihrer derzeitigen Form zu sehen, die in den letzten Jahren besonders in Europa laut geworden ist.
Die EU-Kommission verfolgt langfristig das Ziel, Investor-Staat Schiedsverfahren abzuschaffen und einen multilateralen Investitionsgerichtshof zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zu errichten. Kurz nach Erlass des Achmea Urteils des EuGH hat der EU-Rat Verhandlungsrichtlinien zur Errichtung eines multilateralen Gerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten verabschiedet.
Vattenfall gibt Intra-EU-Investoren, die sich auf den Schutz des ECT stützen, zunächst Rückhalt. Die Frage der Zulässigkeit von Intra-EU Schiedsverfahren ist damit jedoch nicht abschließend geklärt. Es bleibt abzuwarten, was die Zukunft für den wirksamen Schutz von Intra-EU Investitionen bereithält.
Zum CMS Blog-Beitrag über das ursprüngliche Achmea Urteil hier (Achmea Ruling: English version available here).