26. März 2025
anonymer Hinweis Durchsuchung
Corporate / M&A Compliance

Anonyme Hinweise als Auslöser einer Durchsuchung

Das LG Nürnberg-Fürth bestätigt, dass anonyme Hinweise zu Durchsuchungen führen können. Die Entscheidung stärkt die Bedeutung von Hinweisgebersystemen allgemein. 

Das LG Nürnberg-Fürth hat sich in seiner aktuellen Entscheidung vom 14. Februar 2024 (18 Qs 49/23) mit der Frage beschäftigt, ob anonyme Whistleblower-Hinweise aus externen Hinweisgebersystemen als tragfähige Verdachtsgrundlage für Durchsuchungsanordnungen nach § 102 StPO dienen können. Eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie der Person und der ihm:r gehörenden Sachen, kann nach § 102 StPO grundsätzlich dann angeordnet werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Als Verdachtsgrad genügt dabei grundsätzlich der Anfangsverdacht, also der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und dass der/die Verdächtige als Täter:in oder Teilnehmer:in der Tat in Betracht kommt. Es muss demzufolge ein greifbarer Verdacht vorliegen, der über vage Anhaltspunkte und eine damit einhergehende „Ausforschungsdurchsuchung“ hinausgeht. 

Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth ist mit Blick auf die Praxis des am 2. Juli 2023 in Kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) und den damit verbundenen, aus Hinweisen resultierenden internen Untersuchungen in Unternehmen von nicht unerheblicher Bedeutung. Das HinSchG sieht unter anderem die Verpflichtung zur Errichtung von Meldestellen vor. So verpflichtet § 12 HinSchG bestimmte Unternehmen, interne Meldestellen zu errichten und zu betreiben, an die sich Beschäftigte wenden können, um einen Verstoß im Sinne des § 2 HinSchG direkt innerhalb des Unternehmens zu melden. Das Unternehmen hat nach Prüfung der Stichhaltigkeit der Meldung sodann die in § 18 HinSchG genannten Folgemaßnahmen, insbesondere eine interne Untersuchung durchführen. Neben den internen Meldestellen sieht § 19 HinSchG auch vom Bund durch das Bundesamt für Justiz betriebene externe Meldestellen vor. Diese nehmen gleichermaßen Meldungen von Missständen in Unternehmen auf, die dann bearbeitet und an die entsprechende Ermittlungsbehörde weitergeleitet werden können. Der Whistleblower hat sowohl das Recht, zwischen einer Meldung bei der internen und externen Meldestelle zu wählen, als auch, anonym zu bleiben.

Anonymer Hinweis führte zur Durchsuchung bei Apothekerin

Anlass für das Gerichtsverfahren vor dem LG Nürnberg-Fürth waren Beschwerden einer Apothekerin gegen zwei gegen sie erlassene Durchsuchungsbeschlüsse, aufgrund derer Durchsuchungen in ihren beiden Apotheken und Wohnräumen vollzogen wurden.

Das Amtsgericht Nürnberg hatte die Durchsuchungsbeschlüsse am 1. Oktober 2023 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg aufgrund eines anonymen Whistleblower-Hinweises erlassen, der über das öffentliche Hinweisgebersystem der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) eingegangen war. Die anonyme Quelle zeigte dabei an, die Apothekerin habe Privatpatient:innen Quittungen für tatsächlich nicht ausgehändigte Medikamente ausgestellt und in bar bezahlte Medikamente von Kassenpatient:innen selbst bei den Krankenkassen abgerechnet, ohne den Kassenpatient:innen zuvor mitgeteilt zu haben, dass diese bei den Krankenkassen abgerechnet werden können. 

Anonyme Hinweise können Verdachtsgrundlage für Durchsuchungen sein 

Die Apothekerin machte unter anderem geltend, die Voraussetzungen für die Durchsuchung gemäß § 102 StPO hätten nicht vorgelegen, da anonyme Hinweise per se nicht geeignet seien, den dafür erforderlichen Verdachtsgrad (Anfangsverdacht) zu begründen. Das LG Nürnberg-Fürth teilte diese Auffassung nicht und berief sich insbesondere auf die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in ähnlich gelagerten Fällen (BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14BVerfG, Beschluss v. 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05). Demnach würde eine solche pauschale Ablehnung der Tauglichkeit als Verdachtsgrundlage für eine Durchsuchungsanordnung die Ermittlung der materiellen Wahrheit behindern, der Gewährleistung des Schuldprinzips entgegenstehen und somit grundlegenden Zielen des Strafverfahrens widersprechen. Stattdessen müsse bei anonymen Anzeigen die Eingriffsvoraussetzungen des § 102 StPO wegen der erhöhten Gefahr einer falschen Verdächtigung sowie des erheblichen Grundrechtseingriffs bei Durchsuchungen von Wohnräumen besonders sorgfältig geprüft werden. 

Anonyme Hinweise müssen von beträchtlicher sachlicher Qualität sein

Eine solche Prüfung verlange sowohl hinsichtlich des Verdachtsgrads als auch der Verhältnismäßigkeitsabwägung insbesondere, den Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität des Whistleblowers zu ermitteln.

Maßgeblich erforderlich sei dabei, dass der anonyme Hinweis 

von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist.

Das LG Nürnberg-Fürth stützte sich im streitgegenständlichen Fall bei seiner Beurteilung unter anderem auf Detailreichtum, Insidergehalt und Sachkunde der ersten getätigten Aussagen des Whistleblowers und attestierte diesen bereits eine außerordentliche sachliche Qualität. Durch gezielte Nachfragen der Ermittlungsbehörden, welche von der anonymen Quelle zuverlässig und differenziert beantwortet worden seien, habe man aussagekräftige Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit und Erlebnisfundiertheit des Vorgetragenen ziehen können. Die Ermittlungsbehörden hätten außerdem auf Basis der Aussagen weitere eigene Ermittlungen durchführen können, welche den Wahrheitsgehalt der Hinweise weiter bekräftigt hätten. 

Meldestellen für anonyme Hinweise müssen mit Fingerspitzengefühl geführt werden

Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth zeigt einmal mehr, dass Hinweisgebersysteme mittlerweile eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung und anschließenden Aufklärung von Fehlverhalten und Missständen spielen. Wenngleich dies keine Neuigkeit sein sollte, unterstreicht der Beschluss, dass auch anonyme Hinweise ernst zu nehmen sind und durchaus schwerwiegende (strafprozessuale) Maßnahmen auslösen können. Maßgeblich kommt es dabei auf den Gehalt der Anzeige an. Nicht anders ist die Situation bei der Behandlung anonymer Meldungen an die internen Meldestellen von Unternehmen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt hier, dass viele Hinweise (jedenfalls zunächst) anonym abgegeben werden, da die Whistleblower Sorge vor Repressalien haben. 

Für Unternehmen ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen: 

Unternehmen sollten ihre internen Meldestellen so einrichten, dass diese auch anonyme Meldungen entgegennehmen und bearbeiten. Hierzu bietet sich insbesondere der Einsatz digitaler Hinweisgebertools an, mit denen die interne Meldestelle auch mit anonym bleibenden Whistleblowern Kontakt halten und Nachfragen stellen kann. Wie der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth zeigt, können auch anonyme Meldungen substantiiert sein und sehr konkrete Anhaltspunkte auf Fehlverhalten liefern. In solchen Fällen wird die Geschäftsführung schon unter dem Gesichtspunkt der Legalitätspflicht dem Hinweis nachgehen müssen. Eine interne Meldestelle, die substantiierten anonymen Meldungen nachgeht, schafft Vertrauen in die Compliance des Unternehmens und bewegt vielleicht so manchen Whistleblower, von einer Meldung an die externe Meldestelle abzusehen und sich stattdessen an die unternehmenseigene interne Meldestelle zu wenden. Dies ist aus Unternehmenssicht in aller Regel zu begrüßen. 

Bei der Bearbeitung einer anonymen Meldung hat die interne Meldestelle indes gründlich zu prüfen, ob diese von hinreichender sachlicher Qualität ist oder ob zusätzlich schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wird. Soweit möglich, sollte die interne Meldestelle zudem versuchen, durch gezielte, konkrete Nachfragen und ggf. weitere Untersuchungshandlungen dem Hinweis nachzugehen. Bei eindeutig unsubstantiierten oder unschlüssigen anonymen Meldungen ist hingegen darauf zu achten, dass die durch die Meldung betroffenen (beschuldigten) Personen nicht durch eine unnötig durchgeführte Untersuchung beschädigt werden. Denn dies kann die Akzeptanz des Hinweisgebersystems im Unternehmen massiv beeinträchtigen. Es ist also Fingerspitzengefühl gefragt.

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